Der schwarze Mann

Louise hatte einen Koffer. Und ziemlich Mühe. «KEINER DENKT AN DIE ALTEN!» – knurrte sie.

Louise ist mit 88 nicht mehr taufrisch. Aber sie hält sich mit den «5 Tibetern» und Sanddorn­extrakt fit. Dazu abends: zwei Glas Wein. Früher war es nur ein Glas. Als ein TV-Report aber aufzeichnete, dass Wein nur Gutes tue, hatte sie die Ration sofort um das Doppelte erhöht.

Okay. Es ging ihr ordentlich. Aber hier: der Koffer ... die zu hohen Tritte in den Waggon... alles zu mühsam für eine Frau nahe der Gruft. «Kann helfen?» – ein Jüngling, schwarz wie Teer und mit Augäpfeln wie geschälte harte Eier, stand plötzlich neben ihr.

«Fragen Sie nicht so saublöd!», knurrte Louise. Der Schwarze grinste. Packte Louise an ihren ­Hüften. Und hob sie in den Zug. Louise war ­verwirrt – zeigte dann aber auf den Lederkoffer: «Den dort auch noch!»

Sie reiste erste Klasse. Der Mann setzte sich Louise gegenüber. «Sie können jetzt gehen» – knurrte sie. Und holte einen Franken aus dem ­Portemonnaie. Natürlich blieb er. «Nicht nötig!», lehnte er das Geld ab.

«Jetzt hat er mein Portemonnaie gesehen», bündelte Louise messerscharf ihre Gedanken. «Natürlich will er da ran ... aber warte nur, ­Bürschchen!» Sie hockte sich einfach auf den Geldbeutel. Und das Bürschchen grinste.

Alles, was Louise über die schwarzen Leute in ihrer Stadt mitbekommen hatte, war, dass sie junge Mädchen schwängerten. Und viel Unmut sowie Koks unter den Menschen ver­breiteten. NUN SASS DAS GRAUSAME LEBEN IHR HIER VIS-A-VIS! Na da hatte sie Klärchen aber etwas zu erzählen.

Klärchen war Krankenschwester. Und Louises beste Freundin. Sie arbeitete mit fast 90 Lenzen immer noch ehrenamtlich im Berner Spital. Bewundernswert! Einmal pro Jahr besuchten die Frauen einander gegenseitig, dieses Mal wars Louise, die zu Klärchen nach Bern fuhr.

«Billette!» – der Kontrolleur war ein gries­grämiger Alter. Und: «Das ist erste Klasse!», blaffte er den Jüngling an.

«DAS IST MEIN NEFFE!», hörte Klärchen sich selber sagen. Sie wusste selber nicht, was über sie gekommen war. Aber bei Beamten sah sie eh rot.

Der schwarze Mann schob dem Kontrolleur lächelnd sein Handy zu: «Ist alles elektronisch festgehalten!» Der Alte bruddelte: «Typisch. Nichts zu fressen – aber natürlich ein Handy!»

Als er gegangen war, lächelte Louise den schwarzen Mann erstmals freundlich an: «Es tut mir leid. Wir sind in diesen Zeiten alle etwas ­überreizt!» Der Mann nickte: «Ich weiss. Es ist nicht einfach. Für uns nicht. Und für euch nicht. UND DANKE FÜR DEN NEFFEN. DAS HAT GUTGETAN...»

In Bern fiel Louise Klärchen in die Arme: «Du glaubst ja nicht, was mir passiert ist...» Sie spürte eine Hand auf der Schulter. Es war der schwarze Mann: «Hier. Sie haben das Portemonnaie auf ihrem Sitz liegen lassen... schöne Ferien!»

Klärchen sperrte die Augen gross auf: «Das war Doktor Manarka. Er arbeitet bei uns im ­Spital... weshalb kennst du ihn?» «Mein Neffe!», erklärte Louise.

Und dann: «Ich trinke jetzt übrigens zwei Glas Wein zum Nachtessen...»

Montag, 20. Februar 2017