Severin Schwan - CEO Roche: «Man muss einfach sich selber sein»

zVg - Foto: Bruno Caflisch

Wo treffen wir uns?

«‹Brauerei›» – mailt die Sekretärin. Und: «Er nimmt noch seinen Pressesprecher mit…»

Die meisten kommen mit Blumen. Herr Schwan mit Feldhaus, seinem Kommunikationsleiter.

Ist mir auch recht. Hauptsache, er kommt. Denn der grosse Schwan hat gewiss Gescheiteres auf der Liste, als mit einer Zeitungs-Ente zu lunchen.

Ich bin zu früh – wie immer. Das macht die Nervosität. Denn: «Ich möchte keine privaten Fragen» – das hat er mir schon klipp und klar elektronisch durchgegeben.

ABER MEIN LIEBER SCHWAN: Chemisch bin ich Zero. Finanztechnisch «na ja».

Gut. Wir wissen, dass Schwan aus Österreich kommt. Und Österreich heisst Essen. GUTES ESSEN. (Da können die Gastro-Päpste lange rüsseln.) Ich werde ihn mit Palatschinken fest­nageln (und muss später erfahren: «Bei uns saans Omeletten»). Und filmen soll er ja auch – da ist Sissi sicher ein Thema.

Das urgemütliche Lokal füllt sich. Die meisten sind Roche-Leute. Am Nachbartisch erforscht eine Frau die Menükarte: «Ich brauche jetzt etwas Fleischiges – mein Sohn ist Vegetarier. Und meine Tochter seit gestern auf dem Vegan-Trip. Ich nehme Schnitzel.»

Die Frau gefällt mir. Ich lächle ihr zu: «… und wie ist denn der Schwan so?» Sie verstummt. Dann schaut sie himmelwärts (als vermute sie ihn dort in den Wolken) – «also der ist weit weg von mir. Ganz, ganz oben.»

Ja. Aber was sie denken würde?

Sie lächelt verlegen: «Also wissen Sie, ich bin nur eine kleine Nummer im Labor… aber irgendwie ist er immer da. Auch wenn man ihn nicht sieht. Er ist ein Meister der Kommunikation. Und er versteht es, eine gute Aura auszustrahlen. Er ist wohl der erste Roche-CEO, der sich nicht nur für Zahlen interessiert. Sondern auch für unsere Arbeit…»

Und dann verstummt sie abrupt. Die Frau legt die Gabel hin. Denn der grosse Schwan ist vom Himmel direkt an ihren Nebentisch geschwebt. Im nachtblauen Anzug. Offenem Hemdkragen (und ich Trottel habe mich mit Hermes erwürgt).

Der Anzug glänzt dezent – ganz klar: Severin Schwan ist ein glänzender Gesprächspartner. Sein Kommunikationschef, Stephan Feldhaus, kommt aus Deutschland: «Das Wiener Schnitzel ist weit über die Grenzen berühmt…», sagt er und tippt er auf die Karte.

Schwan schaut mich an: «Was meinen Sie…»

«Sie werden es nicht bereuen…»

«Also eigentlich mag ich ja Süss­speisen am liebsten …» Dann hängt er einen Seufzer an: «Leider.»

SO COOL.

Zumindest punkto Essen leiden wir auf demselben Sorgennenner. Mit denselben Sorgen. Nur dass Herr Schwan mehr Disziplin hat. Und alles einfach wegjoggt.

«Wissen Sie, das mit dem Apfelstrudel und dem Kaiserschmarrn war für mich eine total neue Erfahrung hier. Bei uns wird so etwas als volle Mahlzeit serviert. Hier in Kleinstportionen als Dessert. Ich war gleich zu Beginn der Basler Zeit an einem Bankett. Dann schleppten die zum Schluss die Apfelstrudel an. Und ich dachte: «Die hätten das doch vorher servieren sollen!» Später habe ich kapiert, dass Süssspeisen in diesem Land kein Hauptgang sind…»

Ob das mit der Grund ist, weshalb Österreich stets ein Tupfer süsser auftritt als die Schweiz? Wir wissen es beide nicht.

Sie sind in Tirol aufgewachsen?

«Ja. In Innsbruck. Dort ging ich zur Schule, habe auch in meiner Heimatstadt studiert – was kennen Sie von Innsbruck?»

Die Schanze.

«Eben. Sehen Sie – das ist das Problem. Innsbruck ist eine wunderbare Stadt – aber irgendwie total auf den Tourismus ausgerichtet. Es gibt nur wenige internationale Firmen. Mir war es doch ein bisschen eng. Ich wollte da schon jung raus…»

…und wie haben Sie es geschafft?

«Ich hatte einen grossartigen Professor an der Uni. Damals gabs ja noch kein Erasmus-Programm. Keinen Austausch. Es war schwer, im Ausland zu studieren. Also bin ich zu meinem Professor. Und habe ihm erklärt: Ich möchte ein Jahr nach England. Aber ich möchte, dass die Uni Innsbruck mir dieses ganze Jahr und die Prüfungen in Oxford und York anerkennt. Ich will keine zwölf Monate verlieren…»

Nun schauen seine zwei seeblauen Augen begeistert: «… und er hat dies kraft seines Amtes abgesegnet. Das war zu jener Zeit aussergewöhnlich. Er löste die Fesseln. Gab mir Freiheit. Irgendwie hat mich das geprägt – man muss den Menschen viel Freiheit geben, damit sie kreativ sein können…»

Das Jahr England brachte Schwan die Gewissheit: «Ich will international fahren.» Also suchte er sich einen Grosskonzern in Basel. Und bewarb sich bei Roche. Mit kaum mal 26 Jahren trat er als Trainee ein. Der junge Tiroler begeisterte mit seiner Art. Mit seinem Wissen. Und mit seinem Leistungsausweis.

Zwei Jahre später schickte man ihn bereits als Troubleshooter nach Brüssel («also d o r t isst man wirklich gut»). Später wurde er Roches Asien-Pazifik-­Manager in Singapur: «Dort haben wir jeweils unser Essen bei den sogenannten Hawkers, den Strassenküchen, geholt. Und irgendwo in einem Park geluncht. Das Essen war köstlich – aber immens scharf. Dazu kam die hohe Luftfeuch­tigkeit. Ich habe Liter geschwitzt. Auch das war eine Esserfahrung – aber ich mag Speisen noch heute pikant gewürzt.»

In Singapur stellte Schwan dann auch erstmals sein psychologisches Managing unter Beweis: «Die erwarteten mich als scharfen Aufpasser. Als Controller, der sich nur für Buchhaltung und Renditen interessiert. Bei den ersten Hearings kreuzten alle mit Dossiers vollgespickt mit Zahlen auf. Ich erklärte: «Das interessiert mich nicht. Erzählen Sie mir, was Sie so machen…»

Wie ein Blitzfeuer ging die Meldung durchs Land: «Das ist keiner der üblichen Finanzfritzen. Der will ganz anderes wissen…»

«Ich musste zuerst das Altlast-Image des Finanzfritzen abbauen, um neu aufbauen zu können…»

Mittlerweile brennen meine Notizen. Auf dem Beizentisch flackert eine Kerze. Die Fragen gehen in Flammen auf – also rette ich mich nach Meran: «Ich besuche jedes Jahr Meran. Dort isst man auch hervorragend. Vor allem die Schlutzkrapfen…»

Er unterbricht mich: «Also die Schlutzkrapfen stammen aus Innsbruck. Die ganze Küche dort im italienischen Südtirol stammt aus unserer Gegend. Kennen Sie Speckknödel? Das müssen Sie einfach erleben… und auch die Germknödel mit ihrem Mohnmantel und…»

Jetzt strahlt auch Stephan Feldhaus: «Das kann nur noch mit einem Kaiserschmarrn übertroffen werden!»

Schwan schaut ihn streng an: «Also d e n gibts bei uns schon lange. Und nicht nur in eurem Berchtesgaden…»

Ich versuche auf ein anderes Gebiet umzuspulen – INNOVATION. Ich weiss, dass es Schwans Lieblingsgesang ist. Und schon funkeln die Wasserblauen:

«Innovationen passieren an verschiedenen Schnittstellen. Ich will Ihnen ein Beispiel aufzeichnen – Sie kennen den neuen Roche-Turm. Hier haben wir jeweils drei Stockwerke mit einer grossen Treppe verbunden. Im Normalfall findet Kommunikation in einem Grossbetrieb auf einer Ebene statt – also sagen wir mal im fünften Stock. Für eine Auskunft im vierten greift man bereits zum Telefon. Der v i e r t e Stock ist bereits Fremdgebiet. Aber im fünften trifft sich alles vor dem Kaffeeautomaten, am grossen Fenster etc. Wichtig war uns also auch, eine v e r t i k a l e Verbindung zu schaffen. Deshalb – nach gemeinsamem Planen mit Herzog & de Meuron – die grossen Treppen. Zu ihren Füssen wird die Umgebung gemütlich. Da ist eine Terrasse… Holzböden … der beste Kaffee (ein perfekter Kaffee ist brutal wichtig!). Kurz – hier fühlen sich die Leute wohl. Einige nehmen den Laptop mit. Arbeiten nicht am Bürotisch. Sondern hier, wo alles zusammenkommt. Man kommuniziert. Ist locker. Hat keine Agenda. Und sehen Sie: Das bringt Innovationen.

Das Wohlgefühl ist für kreatives Denken unglaublich wichtig… wir können in zehn Jahren das Licht ausschalten, wenn wir keine Innovationen haben.»

Nun – Roche ist ja zurzeit auf dem obersten Treppchen, was die Krebsforschung betrifft.

Wieder Augenleuchten: «Das ist einfach unglaublich, was hier abgeht: Das eigene Immunsystem bekämpft den Krebs. Auf diesem Gebiet sind wir bereits erfolgreich. Es ist, als wäre eine Türe aufgebrochen – wir haben 50 Projekte allein auf diesem Gebiet. Das Ergebnis ist revolutionär für die Krebsforschung.»

Gut. Aber ich denke jetzt einmal an diejenigen, die beim Forschen keinen Erfolg haben.

Schwan nickt: «Sie haben recht. 90 Prozent der Forschungsprojekte gehen in die Hosen. Und deshalb rufen wir dann zur Celebration-Party…»

CELEBRATION-PARTY?

«Ja. Die Gruppe steckt in einem psychischen Tief. Die Forscher haben jahrelang umsonst gearbeitet. Ich lade sie zu einem gemeinsamen Mittagessen ein. Hier gratuliere ich ihnen zu ihrem Mut, zu scheitern. Und zu ihrer Courage, ein Risiko eingegangen zu sein. Denn diesen Mut brauchen wir.

Mir ist wichtig, eine Stimmung zu schaffen, wo Scheitern nicht negativ behaftet ist. Scheitern gehört klar zur Innovation…»

Er lacht nun:

«Die Leute machen dann Selfies von diesem Anlass. Mailen die in der ganzen Welt herum. Und helfen so das Vertrauen in die Führung aufzubauen. Besser noch: So kommen keine Angstgefühle auf. Denn wenn wir etwas für Innovationen n i c h t brauchen können, dann ist es ein Gefühl der Angst. Ich möchte ganz einfach ein ‹freies› Klima schaffen, damit sich die Leute wohlfühlen. Das bringt für beide Seiten viel.»

Stephan Feldhaus meldet sich nun: «Wichtig ist natürlich auch die Authentizität. Ich meine: Da kann man lange sogenannte ‹Ausdruckshandlungen› inszenieren – es braucht daneben einen CEO, der rüberkommt. Der echt ist. Und der den ‹good fellow› nicht einfach spielt…»

Severin Schwan nickt: «Ich habe anfangs total unterschätzt, wie stark man als CEO beobachtet wird: Kommt er an unser Meeting? Kommt er nicht? … Was trägt er heute? … Wie spricht er? … Was isst er? Die Leute schmecken sofort, ob etwas echt oder falsch ist. Man kann keine Maske aufsetzen. Man muss einfach sich selber sein…»

Okay. Also eigentlich sollte ich jetzt doch wieder auf «Persönliches» zurückpendeln. Deshalb: «Filmen Sie immer noch?»

Er schaut zuerst verdutzt. Dann lacht er wieder: «Ach, Sie meinen die Animationsfilme?»

Jetzt schaue i c h verdutzt. Trickfilme statt Sissi?

«In meiner Studentenzeit habe ich mit einem Freund zusammen Trickfilme gemacht. Animationsstreifen. Mit einer 8-Millimeter-Kamera.

Also man verschob die Figuren. Langsam. Millimeter für Millimeter. Und Shoot! Dann wieder verschieben… Shoot… das Ganze ist unglaublich meditativ. Und man hat Zeit für ­wunderbare Gespräche während der Aufnahmen…»

Jetzt?

«Nein. Leider keine Zeit mehr.»

Aber Zeit für die Familie?

«Die nehme ich mir. Wir fahren während der Fasnachtsferien nach Tirol zu den Grosseltern…»

Sie sind vor Basel immer herumgejagt. Das war für die Familie sicher nicht einfach …

Er nickt: «Wir kamen in eine Stadt. Und wussten, wir bleiben nur kurze Zeit. Das hemmt dich, richtig anzukommen. Und Freundschaften zu knüpfen. Die einzigen Freundschaften, die man eingeht, sind mit anderen Expats. Die halten dann auch wirklich ein Leben lang…»

Und Basel?

«Also, das ist unser Zuhause. Hier haben wir unser erstes Haus gekauft – Basel ist unser Mittelpunkt geworden, unser Daheim. Die Kinder besuchen die normalen Schulen – da führen wir ein ganz normales Basler Leben…»

Und weshalb beteiligen Sie sich nicht an den politischen Fragen? Wäre das für die Chemie in Basel nicht wichtig? Immerhin können Ihnen doch Abstimmungen wie Fremden-Initiative oder die letzte zur Unternehmenssteuer­reform nicht einfach gleichgültig sein?

«Natürlich habe ich gehofft, dass die letzte Abstimmung angenommen würde. Das Ganze ist ein grosses Problem – und zwar für uns ein Zeitproblem. Wir haben nicht so viel Zeit, wie der Bund braucht, um Lösungen zu finden. Bis 2019 sollten die Lösungen auf dem Tisch sein – aber wir können mit dieser Unsicherheit nicht planen. Das ist nicht gut für die Chemie…»

Eben. Weshalb machen Sie da keine Politik?

«Ich halte mich bewusst zurück. Es wäre kontraproduktiv, wenn da ein Österreicher kommen würde, um den Schweizern vorzukauen, was sie zu tun haben…»

Sie glauben, die Schweizer lassen sich von einem Österreicher nichts sagen? Nun lacht es hinter den feinen Brillengläsern wieder: «Österreicher und Schweizer sind sich da sehr ähnlich: Sie lassen sich von anderen nicht dreinreden. Aber natürlich führen wir Hintergrundgespräche – zum Beispiel mit KMU. Das ist uns sehr wichtig. Und mit den Parlamentariern…»

Sie reden noch immer ihren heimeligen Tiroler Dialekt.

«Das ist bewusst. Man kann seine Sprache nicht einfach wie ein Kleid abstreifen – sie gehört zu einem. Im Übrigen bringt es nichts, wenn ich ein geschliffenes Deutsch reden würde. Da sind die Leute skeptisch.

An einer meiner ersten Sitzungen in Basel hat einer der Vorgesetzten preussisch klar seine Pläne auseinandergesetzt. Ich spürte, wie da bei allen eine Ablehnung vibrierte. Der Mann spulte dann auf Englisch um. Und die Ablehnung war weg…»

Sie glauben, dass die Schweizer das allzu Deutsche nicht mögen?

«Es ist ein Komplex, der Österreichern und Schweizern anhaftet. Schon als Knirps wurde man vom Lehrer traktiert ‹gscheit Deitsch zu reeden›.

Schön. Wenn wir dann aber als Buben am Skilift anstanden, war die Chance in Tirol gross, neben einem noch kleineren deutschen Buben zu stehen. Der sagt in gepflegtester Sprache: «Ist das nicht ein wunderbarer Tag heute?!» Ja Himmel, da verpasst dir dieser Knirps einen Minderwertigkeits-Sprachenkomplex, der zum Himmel schreit. Und den trägst du ein ganzes Leben lang mit dir…»

Zurück zum Privaten. Spielen Sie ein Instrument?

«Geige.»

Um Himmels willen!

«Ja. Das haben die andern auch gesagt. Deshalb habe ichs sein lassen. Aber natürlich interessiere ich mich wie die meisten Österreicher für Musik. Im Andenken an Paul Sacher lassen wir übrigens für das Lucerne Festival Auftragswerke komponieren…»

Nun bekommen die Augen wieder Feuer: «Nach einer solchen Uraufführung sitzen wir dann meistens mit andern Künstlern und dem Komponisten zusammen. Ich stelle stets dieselbe Frage: Wie ist es zu diesem Werk gekommen? Langes Hin und Her. Diskussion. Wie entsteht überhaupt so etwas Neues? Früher oder später sind sich alle einig: Freiheit. Jeder will die Freiheit. Will ausbrechen. Und damit wären wir wieder bei der Innovation – nur wer frei ist, kann kreativ arbeiten…»

Ein «Einreisestopp» hindert also die Kreativität der Roche-Forschung?

«Man muss einfach wissen, dass über 50 Prozent der Forscher aus dem Ausland kommen. Wir brauchen die Besten. Nur so ist gutes Forschen möglich. Und wenn einer der Einreisestopp-Verursacher auf dem Krankenschragen liegt und ein Medikament braucht, können wir wohl kaum sagen: «Geht nicht – an dieser Pille haben ein Araber, zwei Inder und ein Chinese mitgearbeitet…»

Nun steht Severin Schwan auf – ein wirklich grosser Mann. Einige der «Brauerei»-Gäste bekommen ihn auf ihrem iPhone nicht ganz aufs Bild.

Stephan Feldhaus flüstert: «Die Handys sind inzwischen heiss gelaufen. Sofort wurde überall herumgetickert: Der Chef isst in der ‹Brauerei› ein Wiener Schnitzel. Sehen Sie: Das ist das, was wir eine Ausdruckshandlung nennen…»

«…und so an Germknödel oder zwaa müssens unbedingt kosten», sagt Schwan zum Abschied. Authentisch bis zum Schluss.

Was Severin Schwan …

mag: Innovation, Süssspeisen und eigentlich alles zum Essen («da bin y net so»),

nicht mag: Engstirnigkeit und ­vorbetonierte Meinungen.

Samstag, 25. Februar 2017