Johannistag

Sie trafen sich immer am Johannistag.

Und Hans lud ein.

Johannistag war Spargelschluss. Keiner der Militaristen wusste warum.

Schliesslich brachte Fritz «das grüne Lexikon» mit. Es sagte, dass der Spargel nur 6-mal gestochen werden darf. Der siebte Stängel soll auswachsen. Und den grünen Spargelbusch bilden dürfen – «ihr wisst schon, derjenige, den sie in die Blumensträusse binden!»

«Ja, ja», nickte die Militärrunde etwas gereizt. Sie hätte lieber über das neue Luftwaffen-Corps diskutiert.

BLUMENSTRÄUSSE!

Aber Fritz war ja schon immer etwas seltsam gewesen…

«Ab 24. Juni ist Schluss. Ausgestochen. Damit der Spargel Kraft tanken kann…»

ALSO WIRKLICH!

FRITZ HIELT DIESES SPARGELGESÄUSEL NICHT MEHR AUS: «Verrückt was da mit dem abgestürzten Kampfjet passiert ist… SO ETWAS GABS BEI UNS NICHT», drehte er thematisch das Thema auf seinen Kurs.

Die übrigen Militaristen atmeten auf.

Bald redeten sie von ihrer Zeit – damals, als der Kalte Krieg zu eskalieren drohte. Und jeder von ihnen in Bereitschaft stand. ZUM SCHUTZ DES VATERLANDS.

«…und hat uns das Land je gedankt?!», warf der Major die alljährliche Frage in die Runde.

«NIE!», brüllten alle erbost.

Und: «…der letzte Spargel schmeckt einfach am besten», lutschte Fritz genüsslich am Stängel.

«Total plemplem» – dachten die andern.

«Annick – gib nochmals den Schinken herum!», rief Hans in die Küche.

Sie hatten dem Stab angehört. Einer Sonder-Abteilung. Doch dann kam das Aus. Na ja – auch für hohe Militärs gabs so etwas wie den letzten Stichtag.

«Wir treffen uns jeden Johannistag bei mir zum Spargelessen», hatte Hans vorgeschlagen.

Es ging nicht um den Spargel. Es ging um die Vergangenheit.

«Hats noch Mayonnaise?», fragte Fritz schüchtern.

«Annick – die Mayo!», brummte Hans unwillig zur Küche.

Dann fiel zuerst Otmar weg. Markus und Ernst starben ein Jahr danach. Die Runde wurde kleiner.

Immer gabs eine Gedenkminute zwischen Spargel und Schinken.

Der Major klopfte ans Glas: «Es waren gute Kameraden. Auf ihr Wohl…»

Vor vier Jahren – sie waren jetzt nur noch drei – läutete es eine Woche vor Johannis bei Hans. Fritz stand draussen. Mit einem Asparagus-Stock in der Hand.

«Es ist doch erst in sieben Tagen», sagte Hans etwas forsch.

«Ohhh», erwiderte Fritz.

Eine Woche später kam er dann nicht. Dafür drei Tage danach die Todesanzeige.

Nun sitzen sie ganz alleine am Tisch: der Major. Und Hans.

«Meine Frau redet seit zehn Jahre kein Wort mehr mit mir…», schaut der Major gedankenverloren über den Teller. «Wofür haben wir eigentlich gekämpft?!»

«Keiner dankts uns!», seufzt Hans.

Dann zur Küche: «Annick – den Schinken!»

Aber Annick ist schon seit sieben Monaten tot.

«Bis zum nächsten Mal, Hans», klopft der Major dem Gastgeber auf die Schulter.

Hans räumt ab.

Die Nachbarin findet ihn nach elf Tagen auf dem Küchenboden.

In der Kapelle hält der Major die Abdankungsrede: «Hans war damals für alle da… und keiner hats ihm je gedankt!»

Später legt er einen Strauss neben das offene Grab.

Zwischen den Blumen zittert Asparagus…

Montag, 19. Juni 2017