Vom Salzburger Abend und schäumenden Haar

Illustration: Rebekka Heeb

«Oh mei orms Haaserl.» Liesel, diese versaute Schleimkeule, schreit beim Anblick von Innocent in der Schlossauffahrt auf, als hätte sie noch nie einen Alten am Stock gesehen.

«Hott-er dy gschloogen, dieser brutoole Drecksock… mai orms Vanille-Schneggerl!»

« DA WIRD EINEM JA SCHLECHT OB SO VIEL ZUCKER», wehre ich weiteres Süssgesülze ab, bevor mir Innocent ins Diabetes-Koma kippt.

«Mai orms Buaberl, hotts di ummhi ghaun?! Oder bisch über sa bööse Goschan gschtoupert?»

Die Salzburger Baronin und ledige Lisa Suggelhuber (in einschlägigen Kreisen auch als Nuggel-Lisi ein fester Begriff), Baronin Suggelhuber also wirft mir einen derartig giftigen Blick zu, als hätte ich ihre Zierfische gegrillt.

«Ach Lieserl», säuselt nun Innocent wie der Herbstwind, «dein mitfühlendes Herz tut mir wohl.»

MITFÜHLENDES HERZ! WIE KANN MAN DIESE HOCHGEZURRTEN WASSERMELONEN ALS HERZ BEZEICHNEN. DAS IST EIN SILIKONBUSEN NEBEN DEM SELBST DOLLY BUSTER NUR ZWEI ERBSCHEN DER SORTE EXTRAFEIN AUFWEISEN KANN.

Natürlich schildert nun Innocent in Hochdramatik seinen Fall von Wien. Österreichs Kapitale sei eine ganz, ganz böse Velostadt. Und seiner Ansicht nach sei so etwas nicht die Nummer eins der europäischen Städte. Da wäre Zürich als Nummer zwei viel, viel besser dran: Keine Stolperschwellen auf den Velowegen. Überhaupt keine Velofahrer dort. Nur Schwäne am See und Gold in Tresors.

ER VERLIERT KEIN WORT ÜBER DEN EDLEN KRANKENPFLEGER, DER IHN WIEDER AUF DIE BEINE GEBRACHT HAT – KEINE SILBE ÜBER MAX, DER IHN LIEBEVOLL STIESS (es musste ein Rollstuhl mit Ledersessel her – Kunststoff war ja dem Herrn nicht fein genug). Und kein Satz über meinen fitten Vetter Tom, der ihn knetete und so einfühlend massierte wie eines dieser japanischen Kobe-Rinder. (Nur dass bei Innocent das Fleisch auch nach 100 Knetstunden noch immer zäh blieb wie ein chinesischer Gummischuh)

«Au mai, au mai», jammerte die Gräfin immer wieder. Und sie drückte den 83-Jährigen dann so temperamentvoll an sich, dass dieser schon wieder fast gekippt wäre.

Baron Hubertus streichelte derweil liebevoll meinen Arm und flüsterte mir zu.«Heut Abend gemma in d’Aida.»

Ich kenne diese zartrosigen Kaffeehäuser noch aus meiner Wiener Zeit. Sie servieren dort die allerbesten Kardinalsschnitten. Doch mein Baron wollte mich nicht zur Schnitte, sondern direkt zum Nil entführen: «Und dort treffen wir dann s Annerl. Das gute Datscherl mocht ols Slavin Pausen heut. Aber s kummt zuschaun,weil ihr Olter den Radames singt. Und der Muti schwingt s Stöckerl. Wir Solzburger hoben den Muti aifach lieb und s Annerl auch – se saan unsriger.»

Na gut – so etwa hat es aus dem plötzlich so faltigen Mund meines lieben Barons Hubertus gebabbelt. Ich versuche seinen Dialekt hier lediglich phonetisch wiederzugeben, kann aber nicht für die Richtigkeit der Umlaute behaftet werden.

«Er hotts a neue Raffeln – rundummi, stets hott er wegen seiner Zähne gjammert. Do hob ich dem Zahndoktor gsoggt: Rausi mit dem Glump. Und jetzt nuschelt er holt – aber s isch besser, wenn aaner net olles kapiert, da weil jo die Degenerierten aus dem österreichischen Adel saans eh schwer zu verstehn», erklärt die adlige Suggelhuber.

GOTTLOB HATTE ICH ALSO DEN SMOKING DABEI. Ich trage den stets bei mir, wie die Kembserweg-Omi den Melissengeist im kunstledernen Handtäschchen.

Es fehlte nur noch das Hemd. Also ging ich zum Billig-Hansi, einem wunderbaren Salzburger Discounter neben unserer Anderthalb-Sterne-Pension.

Beim «Hansi» gibts etwas, das sie als «Hansis heisses Hemden-Sortiment» ausrufen.

NA JA – EIN RIESENWÜHLTISCH MIT RESTPOSTEN AUS ACRYL UND NYLON.

Der Tisch war von einer kämpfenden Herde chinesischer Touristen umringt. Die eroberten sich hier alle ihre Hemden «made in China» zurück. Und so blieb für mich nur noch ein rotgetupftes Exemplar der Grösse XL, was eindeutig zwei X zu klein war.

Prall, wie eine stark gesottene Weisswurst, stand ich vor dem Spiegel. Das schüttere Haar war arg wild abstehend. Also gab ich Gel darauf. Und merkte zu spät, dass es ein Handwaschmittel aus der Tube war – die saubere Schnelllösung für verunreinigte Unterwäsche auf der Reise … wir verstehen uns!

Ich muss sagen – die Waschcreme machte sich gar nicht schlecht, klebte alles ordentlich glatt und Zeit war auch keine mehr. Also sprühte ich die Pracht mit Haarfestiger aus. Schon ähnelte ich Inge Meysel selig in «Mutti ist die Allerbeste».

«Mer dürfen s Annerl net worten lossen», drängte der Baron.

Da sassen wir auch schon in seinem klapprigen Bentley und liessen uns von «Herrn Franz» zum Festspielhaus kutschieren.

Natürlich war von Annerl noch nichts zu sehen. Doch als das fröhliche Mädchen dann vorfuhr, schrie die sonst eher frigid-gesittete Salzburger Menge enthusiastisch – so als sei die Sissi aus der Gruft gestiegen.

Das Annerl liess sich huldvoll feiern. Strahlte in alle Handy-Löchlein. Dann hakte sie sich bei Hubertus unter. Und raunte: «Nichts wie weg – wer ist der Zwerg neben dir?»

Ich stellte mich gleich mal selber vor und gab ordentlich Zucker auf die Schnitte: «Frau Netrebko – klein von Wuchs, aber ihr grösster Bewunderer.» Dann schmierte ich gleich noch einen drauf: «Nie waren sie schöner als jetzt, wo sie zehn Pfund zugelegt haben. Und ihre Stimme, ach Anna, einfach göttlich.»

Die Schmiere sass.

Anna lächelte so süss wie eine Appenzeller Biberfüllung: «You are sweet.»

UND DANN GESCHAH DAS, WAS EBEN NUR IN DER OPER PASSIEREN KANN. Unheilvoller Donner kündete die Königin der Nacht an. Aber diesmal war es ein Gewitter. Schon prasselte es auf uns nieder. «Huch», sagte das Annerl. Die Primadonna rettete sich und alle Nylonrüschen unter die Festspielhaus-Arkade. Leider rettete i c h nichts mehr. Der Regen macht aus meinem Haar ein Feuerwerk. Mein Kopf begann zu schäumen. Das Handwaschmittel mutierte zu Seifenblasen. Und diese stiegen zart platzend aus meinen Locken.

Annerl schaute entsetzt auf das Schaumspektakel vor ihren Augen.

Für den Rest des Abends hatte die Primadonna assoluta keinen Blick mehr für ihren «sweet» Zwerg. Deshalb darf ich es hier ruhig sagen: «Sie hat nicht zehn, sondern zwanzig Pfund zugelegt!»

Dienstag, 19. September 2017