Von Liesel und davon, wie die Zündkerze funktioniert

Illustration: Rebekka Heeb

«Sie bringt Knödel mit.»

MEIN GOTT – DAS TUT SIE DOCH JEDES JAHR. UND NUR, UM MICH ZU NERVEN.

Innocent sieht, dass ich auf hundert bin. Ich beisse den Kronenverschluss des Bierfläschchens mit meinen Schaufeln vom Glashals. Und so etwas tue ich nur in höchster Erregung.

LIESEL BRINGT MICH IMMER AUF TOUREN. ABER NICHT SO, WIE SIE MÖCHTE. UND WIE DAS DIE LESERSCHAFT VERMUTET. Die Frau hat eine Art, mit Gesülze, zwei hochgehievten Silikon-Brüsten und kokettem Wimpernflattern (NATÜRLICH SIND DIESE NYLONBESEN AUFGEKLEBT) die Männerwelt gefügig zu machen.

SO ETWAS FUNKTIONIERT DANN IM SPEZIELLEN BEI DEN LEICHT DEPPERTEN AUS DEN SCHWEIZER KANTONEN.

IN IHRER EINFACHEN FONDUE- UND KLÖPFER-MIT-BROT-WELT SEHEN SIE IN JEDEM ÖSTERREICHISCHEN DIRNDL EINE PRINZESSIN. UND BEI 90 JAHREN AUF DEM TACHO IST DAS DIRNDL DANN DIE KAISERIN!

Aber i c h tanze nicht nach diesem Zepter – i c h nicht! Das hätte gerade noch gefehlt! Deshalb: «Die kann sich diese Knödel in ihren fetten Hintern stecken! Ich esse nichts, was ihre versauten Finger gekugelt haben. Wer weiss, wo sie vorher geknetet hat – nein danke!»

Innocent schmollt: «Himmel – du bist dieselbe Spassbremse wie diese Opernkritiker, die jeden schönen Ton miesschreiben müssen! FREU DICH DOCH, DASS WIR EINE GRÄFIN ZU UNSEREM BEKANNTENKREIS ZÄHLEN DÜRFEN.»

«G r ä f i n? Da lacht ja ein Pferd! Nur, weil sie sich diesen armen Adels-Dackel an den Altar gesaugt hat?! Diese Familie ist doch schon seit sieben Generationen degeneriert. Bei denen hyperventilieren die Männer auch, wenn ein Nilpferd seine Hinterseite zeigt.»

«Die Gräfin ist kein Nilpferd», macht sich Innocent galant an die Verteidigung des Salzburger Occasion-Knödels…

«Nein, das ist sie nicht», giftle ich eiskalt zurück. «Sie war in Wiens Drittklass-Variétés als Tresen-Schlampe unter dem Namen ‹Suggel-Liesel› ein Begriff. Dort hat sie auch ihren Herrn Grafen kennengelernt. Autotechnisch müsste man sagen: Sie war eine Occasion mit mindestens 300 000 Kilometern auf dem Tacho.»

«Aber bei Herbert hat die alte Karre noch bestens gezündet», gab Innocent zurück.

GUT. Er muss ja immer das letzte Wort haben. In diesem Moment schlurft unser Gärtnermeister an. Er spuckt in meine Rosen, die keine sind, weil die Spritzkanne eingerostet ist. Und Gianni meine ganze Blumenpracht verdorren liess. Der Gärtner schaut nun mit diesem hechelnden Hundeblick zu Innocent, weil er über säuischen Weiberkram zoten will (da bin ich nämlich die falsche Adresse): «Dov’è la contessa supersexi?»

Er kickt sechsmal zackig seinen Hosenschlitz nach vorne und kneift sich dann in den Schritt. «Quando arriverà?»

BEI MIR KNEIFT ER SCHON LANGE NICHT MEHR, DIESER MISTKERL!

99 Prozent des Jahres schleicht er blutlos wie eine Weinbergschnecke herum. Aber wenn die Contessa auftaucht, da juckt es ihn zwischen den Beinen. Und er hat dasselbe lüsterne Zwinkern in den Augen wie unsereins vor vier Kardinalsschnitten mit Schlagobers.

ICH UNTERBRECHE JETZT GLEICH MAL DIE BEIDEN HERRSCHAFTEN, BEVOR SIE SICH IN SÄUISCHEN FLOSKELN ZU SUHLEN BEGINNEN:

«Apropos Holz vor dem Haus, Gianni – du hast mir versprochen, mit den alten Olivenstämmen ein Geländer zum Aussichtsplatz zu bauen. – ICH WARTE IMMER NOCH!»

Schon ist die ganze Energie wieder weggeblasen!

UND DANN KOMMT DIE BAGAAAASCH (wie sie dort im Land der Sissi so sagen). Selbst die ältesten Zypressen erzittern leicht und verbeugen sich vor dem Grafenpaar. Wir haben nämlich einen Sturm, der das Ende der Menschheit ankündigt. Liesel hält geziert ihre Stiletto-Pumps aus dem Mercedes: «Y hob glaubt, in Itolien hobts immer Sonnenschein! Beim Hinfohrn hat my fost e Boimerl erschloogn.»

ACH DU DUMMES BOIMERL – DU HAST DIR MEINE HEILIGSPRECHUNG VERSCHERZT!

Schon drückt sie Innocent an ihre Silikon-Kugeln. Und der hat den Hörapparat abgeschaltet, damit er das starke Klopfen der Regentropfen auf den Brüsten nicht anhören muss.

Ich kümmere mich währenddessen um den Grafen. Der alte Haudegen wird immer wackliger. Und sein Wangenkuss stets noch nasser. Es ist, als müsste man einen feuchten Salamander umarmen.

NATÜRLICH HECHTET AUCH SCHON GIANNI AN: «Signora la Contessa – darf ich das Gepäck…»

Ja bin ich hier in einem falschen Film? 20-mal muss ich ihn jeweils bitten, mir eine Wassermelone vom Garten in die Küche zu bringen – und hier schleppt er lächelnd 23 Koffer aus dem Hause Vuitton.

Liesel schenkt ihm nicht nur einen heissen Blick, sie klopft ihm auch auf den im Alter etwas abgeschlafften Allerwertesten: «Signor Gianni – Se saan wirklich a feschs Mannderl. Da können die baaden Buabarln aber froh sein, ass si en hooben.»

NA DANKE. ES SIND SOLCHE WORTE, WELCHE DIE LÖHNE ANHEIZEN!

In meiner Küche zeigt Liesel dann Innocent, wie sie ihre «weltberühmten» (so sagt sie zumindest) Knödel kugelt. Sie holt dazu eine Packung Kartoffelteig-Pulver, den sie mit Wasser und einem Ei anrührt: «FERTIG!», strahlt sie. «Jetzt bobben wers Gonz um e zuckerte Marille ummi.»

Das Geheimnis von Mutter Liesels Marillenknödel liegt weniger im Teig als in den «Bröseln». Die kauft sie auch fixfertig bei Billa. Dazu ein Pfund Butter. Und grober Zucker. Das ist die ganze Geschichte – und hat so viele Kalorien wie ein Tortenbuffet für 4000 Personen auf dem «Traumschiff».

Gut. Ich will jetzt nicht so sein: Die Konfektionsknödel schmecken gar nicht übel. Schon die Kembserweg-Omi hat alles und jedes mit Butterbrösel aufgemotzt. Da gab es keine Nudel, an der nicht der braunverbutterte Paniermehl-Graupel glänzte.

Ich habe meine Prinzipien gebrochen und dann 24 von Liesels Kugeln reinrollen lassen. Danach war mir speiübel. Und ich legte mich unter den Olivenbaum, weil die Sonne mittlerweile schon wieder zu glühen begann. Und dem Weltuntergang entgegenfieberte.

VON MEINER HÄNGEMATTE HÖRTE ICH DANN, WIE LIESEL DEN GÄRTNER UMZIRPTE: «Signor Gianni – y ko mer guet vorsteulln, ass er en wunderbaaren Olivenholz-Hoog zum Aussichtsplatz der Buaberln bauen kann. Damit y s neggscht Mool mit meinen hohen Hackerl-Schuherln auch mal rauffi kann…»

IHR GLAUBT ES NICHT – DREI STUNDEN SPÄTER RAMMTE ER BALKEN IN DEN BODEN.

DER HAG STEHT!

Sie mag 300 000 Kilometer auf dem Tacho haben – aber ihre Zündkerze funktioniert noch immer einwandfrei…

Dienstag, 10. Oktober 2017