Von der «Omilette» und der alten «Pfeffermühle»

Illustration: Rebekka Heeb

«DIE IST ZU DICK! DAMIT KANNST DU DIE FENSTER KITTEN!» Innocent macht den Menschen das Leben nicht einfach. BESONDERS NICHT DIESEN LIEBEVOLL AUFOPFERNDEN GESCHÖPFEN, DIE SICH ALLE BEINE FÜR IHN AUSREISSEN. UND SEIN SCHLECKMAUL MIT KÖSTLICHEM STOPFEN!

Als ich Innocent kennenlernte, war ich jung. Dumm. Und hatte von gutem Essen null Ahnung. Es war Ende der 60er-Jahre. Und die Zeit, als die Freier ihre Angebeteten noch in die «Pfeffermühle» ausführten.

Die «Pfeffermühle» war damals das Höchste aller Gourmetgefühle. Ein ungarisches Ehepaar hatte in einem etwas dunklen Kleinlokal der Innenstadt die flambierten Scampi erfunden. UND WER ETWAS AUF SICH HIELT, LIESS DAMALS VOR SEINEM TISCH DIE VIECHER IM COGNACFEUER ABFACKELN!

Der Wirt sang ein Lied dazu (er war ein ausrangierter Tenor aus dem Budapester Operettenchor). Seine Frau begleitete ihn fiedelnd auf der Geige. Zur Kremation der armen Krustentiere gabs meistens Operettenmusik als Trauermarsch.

Herr Barabas schüttete billigen Fusel aus dem Husarenland ins Pfännchen. Und schon loderte es im Lokal. Dazu loderte auch das Lied aus der «Csardasfürstin»: «Heia, heia aus den Bergen!»

Bis das Duett alle Strophen durchhatte, waren die Scampi verkohlt. Und so schwarz wie der Rand auf der Todesanzeige. NA GUT – MEINE SACHE WAR DAS NICHT. Aber die Macker jener Zeit wollten etwas bieten. Deshalb musste man vor der grossen Bettnummer immer diese flambierte Scampi-Show über sich ergehen lassen.

Schon damals wäre es mir lieber gewesen, die Herrschaften wären direkt zur Sache gekommen.

Pikantes Detail: Die Barabas hatten auch einen Papagei. Sie nannten ihn «Graf Bonifazius». Und wenn jemand die teuren Scampi bestellte, flog er zu den Herrschaften an den Tisch.

«Ist Groof Bonifaziu nicht a süassas Voogel?», schmalzte Herr Barabas dann. Aber Graf Bonifazius hatte es jedes Mal auf meine frisch gelatinierten Locken abgesehen. Und pickte wild an meinem Haar herum. Die Geigerin lachte hysterisch: «Där Härr Groof moog scheene Monnsbilder, är ist vum ondern Uufer.» Dann kackte der Vogel auf den Brotkorb. Und so etwas war wirklich scheisse.

Ich meine: WIE HÄTTE ICH ALS JUNGER MANN EINE ELEGANTE KULINARISCHE VORBILDUNG HABEN KÖNNEN, WENN IMMER LODERNDE SCAMPI UND EIN UNDICHTER PAPAGEI DEN LEHRPLAN DURCHKREUZTEN?

Als Innocent mich dann zum ersten Mal abschleppte, war ich auf Scampi getrimmt. Er aber raunte mir ins Ohr: «Ich zaubere dir jetzt mein fantastisches Omelett ‹Manhattan Dream›. Das Rezept habe ich aus meiner New Yorker Zeit mitgebracht. Nach zwölf verrührten Eiern geht die Post ab!»

NEW YORKER ZEIT? ZWÖLF VERRÜHRTE EIER? Das tönte besser als die «Csardasfürstin» ab Geige.

Ich äugte vorsichtig herum: nein! Kein Papagei in Sicht. Nur ein ziemlich windiger Teddybär mit einem verlorenen Glasknopfauge. «Das ist mein Brummbrumm!», sagte der frischgebackene Doktor der Jurisprudenz.

SO ETWAS HÄTTE MICH NATÜRLICH WARNEN SOLLEN! ABER DOKTORTITEL, AMERIKANISCHE VERGANGENHEIT UND EIN OMELETT MIT ZWÖLF EIERN – DAS SCHALTET ALLE ALARMGLOCKEN AUS. Na ja – jedenfalls war ich nach seinem Manhattan-Pfannkuchen hin wie weg. UND AB GING DIE POST.

Später, als die Zweierkiste Alltag wurde und das Zwölf-Ei-Omelett jeden Abend einem Philadelphia-Käseschnittchen mit Schnittlauch Platz machte, versuchte auch ich mich in der Kocherei.

Mein erstes Gericht war eine Suppe. Innocent behauptete, er sei der Suppentyp. Na also: konnte er haben! Ich rädelte einen Klöpfer in Scheiben. Kochte die Rädchen mit einem Bouillonwürfel und einem Liter Wasser auf. Weil mir die Sache aber doch etwas zu banal schien (ich liebte schon dort die grosse Show), suchte ich nach Gewürzen. Und fand ein Döschen mit getrockneten Rosmarinnadeln. Also kamen alle Trockennadeln in die Suppe, wo die Cervelat-Rädchen bereits einen krummen Bauch machten (ich hatte vergessen die Pelle wegzuziehen – und die Wurst konnte nicht aus ihrer Haut!).

Als Innocent dann einen Löffel voll von meiner ersten «Soupe de Rêve» (wie ich sie ihm verkaufte) reinzog, sah er so angepisst aus wie ich damals, wenn Graf Bonifazius aufs Brotkörbchen schiss… (siehe Anfang!)

GOTTLOB GABS DIE KEMBSERWEG-OMI.

Sie war die Einzige in unserer grossen Sippe, die wirklich gut kochen konnte. Als Putzfrau, die einen saufenden Kommunisten (ihr über alles geliebter Gatte Julius) sowie einen stets heissen Jungen (meinen Vater) zu bekochen hatte, war ihr Menüplan bescheiden.

Aber die Omi konnte aus den geringsten Mitteln Wunderbares vom Herd zaubern, und als ich sie bat, mir zu zeigen, wie eine wirklich gute «Ammelette», wie man in Basel sagt, gemacht wird, nahm sie viel Mehl, wenig Ei, etwas Milchwasser – und gab gehackten Schnittlauch, den sie in einem Kistchen auf der Fensterbank zog, in den Flüssigteig. Dann ab in die schwere, teerschwarze Gusseisenpfanne.

UND DAS WAR DANN WIRKLICH EINE TRAUMOMELETTE – SO WIE ICH SIE AUCH VON FRÜHER KANNTE, ALS TANTE JULIE SIE MIT APFELMUS BESTRICH. EINROLLTE. UND NOCH PUDERZUCKER DARÜBERGAB.

Als ich Innocent mein neustes Werk mit dem sinnigen Namen «Omilette» von der Pfanne auf den Teller schob – rümpfte er gleich seinen bläulichen Beaujolais-Zinken: «VIEL ZU DICK. VIEL ZU MEHLIG. DAMIT KANNST DU DIE FENSTER KITTEN!» Natürlich isst er sie trotzdem – weil ja nichts verkommen darf!

Und heute, wenn ich wieder einmal die Nase voll von überkandidelter Sternenküche oder frittierten Mehlwürmern habe, backe ich meine Omilette. Fülle sie mit Spinat. Schinken. ODER APFELMUS! Und das ist dann, als wäre das Paradies auf dem Goldrandteller gelandet.

Nun gut. Mitunter jagt mich Innocent auch genervt aus der Küche. Ich höre, wie Eier verkleppert werden. Dazu Innocents Zwölfton-Gesumme «I Do It My Way!»

Schliesslich bringt er mir seinen «Manhattan Dream» – einen wunderbar fluffigen Pfannkuchen mit Gürkchen, Käse, Kräutern, alles auf der Basis von zwölf Eiern.

DAS BESTE DARAN IST JETZT, DASS DANACH DIE POST NICHT MEHR ABZUGEHEN BRAUCHT…

Dienstag, 17. Oktober 2017