Von Lady «Cätterly» und ihren Hühnerbrüsten

Illustration: Rebekka Heeb

Noch immer kein Regen auf der Insel – seit zehn Monaten! Na ja – manchmal ein Spritzerchen. Nicht der Rede wert. Gerade so, wie wenn Nachbars Lumpi sein Bein an der Haustüre hebt.

WIR TROCKNEN AUS!

UND NATÜRLICH HABE ICH DIE SCHULD DARAN, WEIL ICH RAUCHE. UND SO DAS GESUNDE ALL VERNEBLE.

Schuld haben auch alle stinkenden Autos, die schwitzenden Velofahrer mit ihren Dunstwolken und natürlich diese Rinderherden, welche die Luft vollscheissen. Und das Ozon belasten.

Und keiner kann sich heute mit ruhigem Gewissen ein Tatar reinpfeifen. Wie viel unkomplizierter sind da Eclairs, Schwarzwäldertorten und warme Berliner.

Auch im November sind die Tage noch trocken. Ansonsten kübelt es hier zu dieser Zeit die Rosmarinbüsche voll. Aber jetzt: Staub. Staub. Staub. Es ist die klimatische Kremation der Insel.

Gestern hat Örsi angerufen. Eigentlich heisst sie Ursula. Und ist eine Lady aus Kleinhüningen West, die sich mal einen Öl-Lord in London geangelt hat. Seither: «ÖRSI». Dazu statt Banago vornehmer Frühstückstee von Fortnum & Mason.

Die Basler Lady ist auf der Insel so bekannt wie der Dünnpfiff nach der Cholera. Sie ist nämlich besessen von Katzen. Und vom «Gutmensch-Syndrom».

Von Politik kapiert sie so viel wie eine Kuh vom Rollbrettfahren. Aber weil sie mal gehört hat, dass Gutmenschen links wählen und das allgemein hip ist, gibt sie nur rote Wahlzettel ab. UND BRETTERT DANN MIT DIESEM ROTLICHTKNALLIGEN ZUHÄLTERSCHLITTEN BEI UNS AUF DER INSEL VOR. Es ist ein Porsche. Alte Bauart. So wie die Fahrerin. Aber eben: gut gewaxt und geoilt. Und somit noch rostfrei im Schuss (Fahrerin und Karre).

Örsi hat ihr Kommen vor Tagen angedroht. Entgegen den Wetterprognosen, die uns immer wieder Regen versprochen haben, fiel dieses Gewitter aus der Schweiz dann über die Insel herein.

Die Lady hatte noch nicht einmal den Fuss aus der rauchenden Büchse in den Staub gesetzt, als sie uns bereits entgegenbellte: «WO SIND DIE KATZEN? ES HAT KEINE KATZEN!»

Dazu muss gesagt werden, dass die gute Frau Ursula das hat, was man in psychiatrischen Fachkreisen eine «Miezen-Macke» nennt.

Kein Kater ist vor ihr sicher. Schon wird er kastriert und mit Hühnerbrüstchen gefüttert.

Es sind immer Hühnerbrüstchen.

Als Lady Örsi vor zwei Jahren bei uns auf der Insel war, erlebten sämtliche Bio-Hühnerfarmen mit Freilauf eine ungeahnte Hausse. Tausende von herumflatternden Hennen wurden eingefangen. Geschlachtet. Und entbrüstet – das Fleisch verteilte sich dann als Kleinstgeschnetzeltes über der ganzen Insel. Sein modernder Geruch lockte Invasionen von Bienen, Wespen und auch die berühmte Killermücke an.

Am Schluss konnten selbst Ratten und Schlangen keine Hühnerbrüste mehr sehen – ES GING DIESEN ARMEN VIECHERN WIE UNS MIT DEM FONDUE CHINOISE AM HEILIGEN ABEND! NUR WAR HIER VIERZEHN TAGE LANG HEILIGER ABEND!

Und nun also Alarmschrei: «Wo sind die Katzen?!»

Ja eben: Wo sind sie?

Seit einem Jahr geistert diese Frage über die Dürre unserer Inselwelt. Eines Tages waren die wilden Miezen nämlich einfach weg. Verschwunden. Vom aufgerissenen Erdboden verschluckt.

«Frag mal die rumänischen Schwarzarbeiter», unkte Innocent giftig. Seit sich die armen Kerle geweigert haben, ihm für 55 Cent Stundenlohn einen sechsten Weinkeller zu bauen, tut er stinkig mit ihnen.

ABER PUNKTO KATZENBRATEN HÄTTE ICH AUCH UNSERN ALTEN GIANNI VERDÄCHTIGEN KÖNNEN – ER KOMMT AUS KALABRIEN. UND ZÜCHTET MEERSCHWEINCHEN AN TOMATENSAUCE.

Dennoch – das Rätsel um die Absenz der Katzen löste sich an dem Tag, als Lida strahlend erklärte: «Ich habe unsern Tiger Amadeo im Schilf gesehen. Er ist jetzt fett wie Sie, Signore. Das kommt davon, weil die Eier abgeschnitten wurden.»

Ich schwieg pikiert.

WER HATTE DA WEM DIE EIER ABGESCHNITTEN?

Es stellte sich heraus, dass eine Gruppe von freiwilligen, medizinisch ausgebildeten Gutmenschen unsere Insel vor einem Jahr mit Skalpell und Narkotika besucht hatte. Die Katzen wurden kastriert. Und sterilisiert. Deshalb fehlt jetzt der Nachwuchs im Mai und November. Bei Mäusen wie Ratten ist dafür die Sau los.

Da wir ahnten, dass unsere Katzen-Lady (in tierischen Kreisen als «Lady Cätterli» ein Schlagwort) total durchstarten würde, wenn sie mit einer miezenlosen Einöde konfrontiert werden würde, da wir also den Sturm kommen sahen, flehten wir Lida an, unsern Tiger Amadeo aufzuspüren. Und ihn mit dem feinsten Büchsen-Thon hierherzulocken.

SO KAM ES, DASS WIR LADY ÖRSI AUF IHR GESCHREI HIN EINEN FETTEN AMADEO PRÄSENTIEREN KONNTEN: «Hör auf zu jammern – hier ist schon Amadeo! Fett und rund!»

Mit einem Jauchzen warf sich das alte Mädchen auf die Knie. Wollte den Kater umarmen. Aber der knallte ihr gleich mal eine.

Sie war verwirrt. Und kam kaum mehr auf die gummistrumpfgestützten Beine.

«Ich hole uns jetzt mal einen Welcome-Prosecco» – klatschte Innocent, vorfreudig auf den so lange vermissten Alkohol, die Hände zusammen.

BEI MIR GIBTS NÄMLICH NUR TEE.

Und die Lady klatschte auch erfreut – sie schützt nämlich Katzen. Aber keinen Wein. Da geht sie jedem an den Korken! Gutmenschlich eben.

Natürlich wurden trotzdem wieder die armen Hühner aus dem Freilandhof geschlachtet. Und die Brüste über der Insel an Bienen und Wespen verteilt.

Herr «Paul», der Unterhalter und Sekretär der Lady, wurde von einer so herbeigelockten Killermücke angesaugt. Und reagierte allergisch. Sein Gesicht verborbelte sich. ER HÄTTE IN JEDEM HORROR-MUSICAL DIE HAUPTROLLE BEKOMMEN.

Als die Lady aus Kleinhüningen West wieder davonbretterte, legte sich eine wohlige Ruhe über die Insel.

Schlangen und Füchse sowie die fröhlichen Ratten holten sich den Rest der geschnetzelten Brüste. UND DANN WAR WIEDER WUNDERBARER FRIEDEN.

Nur Kater Amadeo schleppte eines schönen morgens vier Jungkätzchen an. Es stellte sich heraus, dass wir Amadeo viele Jahre dem falschen Geschlecht zugeordnet hatten. Und dass das gute Mädchen auch so schlau war, den Gutmenschen bei der Sterilisierungsaktion zu entfliehen.

So hält das Leben immer wieder Überraschungen bereit.

Und diese Überraschungen füttern wir weiterhin dankbar mit Büchsen-Thon.

Dienstag, 14. November 2017