Von Orangen auf dem Kuonisbergli und Besserwissern

Illustration: Rebekka Heeb

TOLL! SHIT HAPPENS!

Der grosse Shit ist die berühmte Skipiste am Kuonisbergli.

Dort stecke ich fest. Dies mit unserer Mühle, die auch schon bessere Tage gesehen hat.

DAZU 150 KILO ORANGEN UND ZITRONEN IM KOFFERRAUM. Und jetzt: NICHTS GEHT MEHR.

Die Räder heulen auf, wie die SP, wenn Herr Blocher auftritt.

Und das Erste, das Innocent sagt: «ICH HABS JA GLEICH GESAGT!»

Es gibt Momente, da könnte man auch nach 50 Jahren noch den Scheidungsanwalt rufen!

Also – der Reihe nach:

Auf der Insel haben wir gepackt. Geweint (weil mir der Abschied von den Katzen immer schwerer fällt). Umarmt (Gärtner und Putzfrauen strecken die Arme weit auseinander, damit sie uns an ihre lahmen Brüste drücken können. Sie sind glücklich, dass die Bagage endlich mit Sack und Pack abhaut).

Deshalb: Wir drücken auch. Und flüstern Gianni noch tausend Ermahnungen in die verhaarten Ohren: «Basilico … carciofi … guardare per le piccole palme … UND HALTE DICH VON INNOCENTS WEINFLASCHEN FERN!»

O. k. – wir könnten dies alles auch den vorbeiziehenden Wolken zurufen. Der Effekt wäre derselbe – kaum ist das Pack weg, sind es die treuen Helfer auch. Wenn wir im April zurückkommen, wurde nichts angepflanzt. Und die 200 Euro, die ich für Katzenfleisch zurückgelassen habe, wurden beim Senegalesen in ein gefälschtes Prada-Täschchen investiert.

Ich will es nicht wüstreden. Und mache gute Miene zum miesen Abgang – aber dann kommt Innocent: «WAS IST MIT DEN ZITRONEN? UND DEN ORANGEN?! – DU WEISST, WAS SO ETWAS IN DER SCHWEIZ KOSTET.»

Ich weiss es.

Worauf die eben noch liebevoll drückende Dienerschaft im Dialekt losflucht. Und die Bäume leer zupfen muss.

SO SIND WIR zwei STUNDEN VERSPÄTET, ABER MIT 150 KILO ZITRONEN UND ORANGEN LOSGEFAHREN!

Unser Adelbodner Häuschen steht auf der Skipiste. Das ist schön. Und auch nicht. Um uns schwirren zur Saison die Brettchenfahrer und Lattensauser herum – also ehrlich: Die surren da an wie die Fliegen zum Mist. Wir verziehen uns ins Haus, um nicht unter eine Skischule oder einen Ski-Gleitsegler zu kommen.

Der kalte Winter kann uns so breit wie lang – das konnte er uns immer. WIR SIND DIE WARMEN SONNENTYPEN. Hin und wieder müssen wir aber doch schauen, ob die Hütte noch ein Dach hat. Und der Ölofen zündet – DESHALB ALSO: VON ITALIEN AUF DER DIRETTISSIMA NACH ADELBODEN. SAMT 150 KILO ZITRUSFRÜCHTE.

«Ich parkiere beim Hansi Pieren – es hat keinen Sinn, über die Piste zu fahren», gebe ich das Chauffeur-Statement an den Passagier durch. Der müffelt schon die ganze Reise. Zu Hause erwarten ihn einige Rechnungen – und auf so etwas ist er allergisch wie der Papst, dem man den Teufel ankündigt. ALSO VERPISSTE LAUNE AUF DER PISTE!

«Blödsinn. Unser Wagen hat Vierradantrieb. Winterfinken. Und ein Sündengeld gekostet. Du fährst mich gefälligst vor die Hütte», so weit der Sonnentyp.

Ich atme tief durch: «Wir sind schon vor drei Jahren im Schnee stecken geblieben. DIE LEUTE HABEN UNS MIT DEM STINKEFINGER UND DEN SKISTÖCKEN ENTGEGENGEWEDELT. IST ES D A S, WAS DU WILLST?!»

Er schweigt beleidigt. Dann: «Ich laufe mit meinen wackligen Beinen doch nicht durch diesen Matsch!»

Jetzt gibt er einmal mehr die Theorie des stets besserwissenden Mitfahrers durch: «Du musst bei der kritischen Stelle einfach Anlauf nehmen, das Pedal durchdrücken, BLEIFUSS, schon bist du im Ruck drüber.»

Ich mache noch Alternativ-Vorschläge («ziehe dich gerne auf einem Schlitten vors Haus» … «kann dich auf den Buckel nehmen» … «hole Anita und Köbi, die können dich stützen»).

«NEIN, HERRGOTTNOCHMAL! – DIE DENKEN DANN ALLE, ICH SEI EIN ALTER TATTERGREIS, DER NICHT MEHR RICHTIG LAUFEN KANN.»

Ja was denn sonst?

Ich zähle wieder auf zehn. Wo habe ich gehört, dass die Menschen im Alter weise werden? Also mit diesem Mist muss mir keiner mehr kommen!

Ich beuge mich dem Betongrind. Nehme Anlauf. Gebe Gas. BLEIFUSS. Und «brrrrrrr…».

Innocent verdreht die Augen: «Ich habs ja gleich gesagt!»

Skifahrer jagen in der Feuz-Hocke auf uns zu. In ihren Helmen und übergrossen Brillen sehen sie aus wie ausserirdische Riesenkäfer, die aus dem All angeschossen kommen.

Sie brüllen Unschönes: «ARMLEUCHTER! EUCH SOLLTE MAN DIE RÄDER WEGMONTIEREN! DAS IST HIER EINE PISTE!»

«Das ist mein Heimweg», protestiere ich lahm.

Und dann kommt auch schon Therese. Sie ist unsere Nachbar-Bäuerin. Seufzt ein bisschen: «Ihr Unterländer!» Und: «Wo ist der Schraubenschlüssel?»

Ich führe auf meinen Fahrten immer alles mit – Abdeckpuder (wegen dieser hässlichen Akne über dem Kinn), Mundspray und eine Sonnenbrille von Givenchy – ABER NIE EINEN SCHRAUBENSCHLÜSSEL.

Sie stemmt die Hände in die Hüften: «Ich ziehe dich mit meinem Jeep da raus – aber zuerst muss ich die Büchse öffnen und den Abschlepphaken reinbohren. Wo hast du den Abschlepphaken?»

Ich habe auch ein Nagelset, einen Deostift und zuckerfreie Drops – ABER VON EINEM ABSCHLEPPHAKEN NULL AHNUNG.

Mittlerweile stehen etwa 20 Skifahrer um uns herum. Sie verfluchen uns, wie den Föhn, der ihre Piste zu Brei geblasen hat. Und vor der Pannen-Karre staut es sich wie am ersten Ferientag vor dem Gotthard.

«Jedes Auto hat eine Werkzeugkiste», seufzt Therese geduldig. Sie redet so sanft auf mich ein, wie auf Lysi, ihre beste Milchkuh, wenn die beim Abmelken streikt.

Gottlob meldet sich nun einer in seinem Mondfahrer–Anzug. Er schält den Helm von der Birne und knurrt: «Die Kiste mit dem Material ist im Kofferraum beim Reserverad – ich habe dieselbe Mühle.»

Zehn Minuten später eiern 150 Kilo Orangen und Zitronen auf der Skipiste herum. DIE WERKZEUGKISTE BEFAND SICH DIREKT UNTER IHNEN.

«Wenn das Abschleppseil straff ist und du einen Ruck spürst, musst du sanft Gas geben», hatte Therese aus ihrem Jeep gerufen.

Ich: Gas. BLEIFUSS. Und jetzt bekommt sie einen neuen Jeep…

Als der Wagen dann von der Piste weg war, waren es die Zitrusfrüchte auch. SELBSTBEDIENUNGSLADEN AM KUONISBERGLI.

Innocent machte sein Besserwissergesicht: «Ich habe ja gleich gesagt, es ist eine Schnapsidee, mit dem Auto vors Haus zu fahren.»

WISSEN WIR JETZT, WESHALB SCHEIDUNGSANWÄLTE SO VIEL GELD VERDIENEN?!

Dienstag, 6. Februar 2018