Der Schuh

Heiko sah den Schuh. Er war schmal. Schwarz. Elegant. Ein Handschuh am Fuss. HEIKO MUSSTE DEN SCHUH HABEN. Zum ersten Mal in seinem Leben konnte er Laila begreifen.

Laila hatte einen Kasten voller Schuhe. Nun ja – zwei Kästen voll (wenn man das Staubsaugerschränkchen mitzählte, wo sie seit ein paar Monaten ebenfalls Sandalen, Schlüpfer und Ballerinas deponierte).

Laila kam jeweils heim: «Ich habe nicht widerstehen können, Heiko!». Er grummelte dann: «Sind 130 Paar nicht genug?»

Laila schaute jammernd himmelwärts: «Du wirst eine Frauenseele nie begreifen, Heiko!»

JETZT HATTE ER BEGRIFFEN. Es gab Dinge auf dieser Welt, die waren stärker als jede Vernunft.

HIER STANDEN ZWEI SOLCHE DINGER!

Und Heiko stand im Geschäft.

Der Verkäufer sah nicht wie ein solcher aus.

Heiko hätte ihn unter Kategorie «Bank-Lehrling» oder «Herren-Schneider im oberen Segment» schubladisiert: tadelloser Anzug. Krawatte von Gucci. Polierte Schuhe – und ein Lächeln, ebenfalls poliert.

«Wie kann ich Ihnen helfen?» Heiko hüstelte. Irgendwie kam er sich in diesem eleganten Schuppen so was von deplatziert vor. Rasch rieb er seine staubigen Schuhe am Hosenbein ab. Er knöpfte den Kittel zu. Der aber spannte. Also knöpfte er ihn wieder auf. Und zog dafür die Krawatte hoch.

«IM SCHAUFENSTER STEHEN DIESE SCHWARZEN SCHUHE … SEHR SCHLICHT UND …» «OH – DER HERR HABEN EINEN SICHEREN GESCHMACK!», lächelte der Verkäufer. Heiko schluckte das Kompliment wie drei Portionen Panna cotta. SO ETWAS RUTSCHTE RUNTER UND MACHTE DEN TAG. Er würde es Laila auf die Nase binden, die Heikos Äusseres stets als «zerzauster Vogel im Horror-Look» kommentierte.

«WAS KOSTEN SIE?» – als er die Frage ausgesprochen hatte, wusste er sofort, dass es der falsche Ton eines «sicheren Geschmacks» war.

In diesem eleganten Geschäft mit den moorwassergrünen Ledersesseln, einer Lithografie von Calder an der Wand und einer Murano-Schale voller polierter Äpfel war jedes Gespräch über Preise so unpassend wie ein Furz in der Törtchen-Confiserie.

Der Gucci-Anzugsmann überging den Fauxpas vornehm: «Welche Grösse belieben?»

Jetzt wurde Heiko tatsächlich rot. GRUND: SEINE PFANNKUCHENBREITEN PLATTFÜSSE …

«44. Eigentlich 43. Aber ich muss noch meine Einlagen reinschaufeln … haha!» Das Lachen klang etwas verkrampft. Der Mann überhörte es gnädig.

Er verschwand für kurze Zeit. Schleppte dann drei Kartonschachteln an. Und lächelte Heiko zu: «Aber setzen Sie sich doch … den linken Fuss, bitte …»

Er verzog keine Miene, als er mit zwei manikürten Nägeln Heikos ausgewalzte Einlagesohlen aus den vergammelten Schlarpen zog. Dann legte er sie ohne eine Mine zu verziehen in das elegante, schwarze Paar: «Bitte belieben zu probieren …»

Ein schräg gestellter Spiegel zeigte die Schönheit an Heikos Fuss. KEINE FRAGE: SO SAH ELEGANZ RUND UM 12 LEICHT GICHTIGE ZEHEN AUS!

«Ich behalte sie gleich an …», sagte Heiko. Und: «ich bezahle sie mit der Karte…» «WIE BELIEBEN», lächelte jetzt der Verkäufer freundlich. Beim Wort «bezahlen» herrschte keine vornehme Zurückhaltung.

ALS HEIKO DAHEIM WAR, BRANNTEN SEINE FÜSSE . ER SPÜRTE DAS AUFKOMMEN EINER BLASE AN DER RECHTEN FERSE. UND DER ANGESCHWOLLENE RIST DRÜCKTE IM SCHUH OHNE NAHT!

«Umhimmelswillen – wo hast du diese Totenschlappen her?», fragte Laila.

ER SAGTE NICHTS. AUCH NICHT DAS VOM «GUTEN GESCHMACK»!

Der Schuh kam zu Lailas Sandalen ins Staubsauger-Schränkchen.

Dort steht er noch immer. ELEGANT. VORNEHM. UND NIE GETRAGEN.

Freitag, 16. März 2018