Gummi-Enten-Mord

Rita lag am Boden.

In ihrem Mund steckte eine Gummi-Ente.

Ihre Augen stierten leblos zur Küchendecke. Dort schwirrte eine Mücke um die Glühbirne.

Die Polizisten klopften Willy auf die Schulter: «Wir müssen Sie jetzt mitnehmen...»

Der Mann schaute apathisch auf seine Frau. Und auf die zerbrochene Weinflasche, die er ihr über den Schädel gezogen hatte.

Schliesslich fasste er sich: «Kann ich das Entchen haben?»

«Der hat doch nicht alle...», dachte Kommissar Schnebli von der Mordkommission.

«Du hast doch nicht alle!» – hatte auch Rita ihren Mann angekeift. «Welcher erwachsene Mann steigt mit einer Gummi-Ente in die Wanne? Bist du das Loriot-Männchen. Oder pervers? Und: NEIN! DIESE ENTE KOMMT MIR NICHT INS BETT!»

Als Fünfjähriger hatte er erstmals so ein ­Gummi-Entchen bei Lore gesehen. Sie badeten zusammen im Waschzuber. Lore hatte das ­Gummitier mitgebracht. Nun schwamm es ­fröhlich im Becken. Und Willy krähte: «So eine will ich auch!»

Sein Vater, Hauptmann bei der Artillerie und ­Professor für altrömisches Recht, schaute ihn tadelnd an: «Willy – du bist bald ein erwachsener Mann. Grosse Männer spielen nicht mit ­Gummitieren!»

Der Bub brüllte.

Also schenkte ihm der Artillerie-Hauptmann einen kleinen Blechpanzer. Willy warf das ­Blechgeschütz brüllend über den Gartenhag: «EINE GUMMI-ENTE!»

«Er darf meine haben...», sagte Lore.

«WILLY MUSS LERNEN, WIE EIN MANN ZU ­DENKEN», dozierte der Professorvater.

Beim Nachtessen erklärte er seiner Frau: «Diese Lore ist kein Umgang für Willy!»

Da war dann nicht nur die Ente weg.

Willy schaffte beim zweiten Anlauf die Matur.

Er studierte Jus, weil es der Hauptmann so wollte. Er wäre lieber Maler geworden. Oder Soufflé-Koch. Er liebte die schönen Sachen.

Der Vater wusste, was gut für ihn war. Und brachte ihm Rita nach Hause – die Tochter eines befreundeten Rektors.

Die Ehe war stinklangweilig – sagen wirs so: Wie ein Vollbad, das am Erkalten ist.

UND DANN KAM DER TAG, WO ER ALLE DIESE GUMMI-ENTCHEN IN EINEM SCHAUFENSTER SAH.

Er vibrierte. Und entschied sich für eine mit ­Lesebrille.

Seine Frau lächelte nur matt. Später aber, als er mit dem Tier in die Badewanne stieg (anstatt wie sonst zu duschen) reagierte Rita doch etwas genervt: «Was soll das, Willy?»

Der Ton erinnerte ihn an seinen Vater.

Als er auch nach vier Jahren seine Gummi-Ente noch mochte und sie auch in sein Bett mitnehmen wollte, drehte Rita durch: «Dir hats doch ins Gehirn geschissen ... spinnst du eigentlich! Ein alter Mann mit einer Gummi-Ente – DIESE ENTE KOMMT MIR NICHT INS BETT!»

Er sah ihren keifenden Mund, sah alle die ­vergeudeten Jahre, sah sein verpfuschtes Leben – und die Weinflasche stand auf dem Küchentisch.

Da hat er zugeschlagen.

Und ihr den Mund mit der Ente gestopft.

Der psychiatrische Gutachter schrieb etwas von einer «Kindheitsneurose».

Und die Presse vom «GUMMI-ENTCHEN-MORD».

In der fünften Woche seiner Haft, holte man ihn aus seiner Einzelzelle: «Sie haben Besuch, Herr Doktor!»

Im Zimmer sass eine alte Frau am Tisch.

Er zögerte ...

«Willy», flüsterte sie.

«Lore?», fragte er unsicher.

Sie schob ihm eine Gummi-Ente zu: «Damit du da drinnen nicht so alleine bist ...»

Da war Willy erstmals in seinem Leben wirklich glücklich.

Montag, 6. Juli 2015