Flughafen-Impressionen

Liz schaute zur Ankunftstafel.

«45 Minuten Verspätung – ist ja klar!»

ALEX WAR IMMER ZU SPÄT!

Sie ging brummelnd zur Café-Bar an der Ecke.

Liz wartete auch dort.

Eine Schlange von philippinischen Nonnen ­blockierte die Kasse. Die Frauen hatten nur ­Dollar. Und die Kassiererin null Geduld.

Endlich wurden die Ordensschwestern von einem aufgeregt herbeieilenden Mönch erlöst. Liz stierte auf seine Füsse.

Sie steckten sockenlos in Kneipsandalen. «Ein ­Barfüsser», dachte Liz.

«Prego?» – bellte die Kassiererin nun ziemlich scharf. Sie bellte schon zum dritten Mal. Und Liz schaute sie schuldbewusst an:

«Un cappuccino, per piacere – molto caffè, poco latte...»

Sie war stolz auf ihr Italienisch. Seit zwei Monaten paukte sie hier in einer Sprachschule Grammatik, Verben und Konjugationen. Dass man in Italien ab 14 Uhr keinen Cappuccino mehr trinkt, hatte man ihr noch nicht beigebracht.

Als Alex und Liz nicht mehr weiter wussten, ­gingen sie in die Eheberatung.

«Seit die Kinder aus dem Haus sind, ist irgendwie die Luft draussen...», hatte Liz der etwa 30 Jahre jüngeren Diplom-Psychologin geklagt.

«Wir reden kaum miteinander. Hocken ­schweigend vor den Spiegeleiern. Und streiten auch nicht mehr – höchstens noch ums ­Fernsehprogramm. Aber seit Alex die ­Fussballspiele im Schlafzimmer schaut, ist auch da nichts mehr los...»

Die Psychologin hatte alles im Raum stehen lassen – auch die Frage, weshalb im Schlafzimmer nichts mehr los sei.

Nach zwölf Sitzungen war sie zum Schluss ­gekommen: «Eine kleine Veränderung würde ­helfen, die Mitte zu finden... trennen sie sich für eine kurze Zeit. Nehmen Sie einen Malkurs in Paris...»

«Ich bin keine Blümchenpinslerin...» hatte Liz ärgerlich den Kopf geschüttelt. «...und wer soll zum Garten schauen?!»

«Ich», hatte ihr Mann geantwortet. Und dann: «...du wolltest doch immer mal Italienisch lernen!»

So war sie nach Rom gekommen. Lebte seit sieben Wochen hier. Und genoss jede Sekunde.

Anfangs hatte sie Alex täglich angerufen. Drei Mal. Sie gab ihm durch, wie er die Rosen zu ­düngen und den Rasen zu wässern habe.

Dann wurden es immer weniger Telefonate. Sie stürzte sich in ihr neues Leben. Und wenn sie jetzt anrief, hatten sie einander viel zu erzählen. Er von den Rosen. Sie von den Preisen in Rom.

Nun hatte er sich angemeldet. Die letzte Woche wollten sie gemeinsam in Rom verbringen. Liz war sich nicht sicher, ob sie sich darüber freuen sollte.

Sie wartete erneut bei den «ARRIVI». Eine kleine Signora neben ihr schaute immer wieder zu den herausströmenden Passagieren. Sie zerknüllte nervös ihr Papiertaschentuch.

«Ich warte auf meinen Mann», erklärte sie nun Liz auf Italienisch. Diese verstand nur, dass er mit der Tochter in München sei...: «bei einem Spezialisten... totkrank... letzte Hoffnung...»

Plötzlich rief die Frau schrill: «CARLO!»

Ein weisshaariger Mann kam langsam auf sie zu. Er hatte verweinte Augen.

«Dovè – Wo ist Anna?!» – flüsterte die Signora nun.

Liz hörte den entsetzlichen Schrei. Die Frau sank in den Armen ihres Mannes zusammen. Sie schrie jetzt pausenlos.

Tränen kullerten über Liz Wangen. Jemand nahm sie von hinten in die Arme: «Du hast mich nicht einmal gesehen...»

Sie fühlte die kräftigen Arme von Alex, «Ich habe dich schrecklich vermisst», flüsterte er.

Sie drückte ihn an sich.

Schweigend verliessen sie den Flughafen.

Draussen schien die Sonne.

Montag, 12. Oktober 2015