Zimmerfrau

Dora schüttelte den Kopf: «LECK MICH – TYPISCH FRAU!»

Das Badezimmer der Aurora-Suite war ein Schlachtfeld: Spiegel verschmiert. Drei Frottee­tücher zerknüllt am Boden. Und auf der kleinen Glasétagère: klebrige Ampullen «für wunder-­VOLLE Lippen».

«Leck mich!», tobte Dora wieder.

Auf dem total verschmierten Glas standen auch Pudertöne in verschiedensten verschneiten Braunschattierungen herum – dies abgefüllt in sieben elegante Emailledosen. Und als unschön braune Wolken zurückgelassen auf dem weissen Frotteetuch – NA DANKE!

Müssen wir noch erwähnen, dass die Zahnbürste total zerfleddert und kaum mehr borstig war. ­Borstig war nur Dora:

«SOLCHE TUSSEN SOLLTE MAN AUF DEN MOND SCHIESSEN!»

Die Zimmerfrau zog ihre grünen Gummihandschuhe über. Und beugte sich seufzend zum Kübel mit der Seifenlauge.

Schliesslich wrang Dora energisch den Putz­lappen aus. Und träumte davon, die Aurora-Suite-­Schlampe zwischen den Fingern zu haben.

Nein. Niemand kann Dora ein X für ein U vormachen. Wer bald 40 Jahre Hotelzimmer aufräumt, kennt die Menschen. Vor allem die Frauen: «Das sind die schlimmsten!» – plauderte Dora bei ihrer Freundin Klara aus dem Nähkästchen, «das Mensch gewordene Chaos mit dem X-Chromosom! Männer sind weitaus sauberer – an sich und auch sonst. Ich komme in ein Zimmer und weiss sofort: Leck mich – hier ist schon wieder so eine Tussi, die sich mit dem Kies ihres Begatters einen schönen Tag auf der Kosmetika-Shopping-Meile gemacht hat …»

«ABER MAMMA!» – tätschelte dann Lene ­beruhigend die Hand ihrer Mutter.

Lene war das Resultat einer Aventure, als Dora im «Palace» noch für die Bettwäsche der Einzel­zimmer zuständig war. Damals glaubte sie an das Gute im Leben.

Das Gute lief ihr in Form des chinesischen ­Kaugummifabrikanten Lian Hong über den Weg.

Als sie nach zwei Monaten merkte, dass der Wäschewechsel von damals nicht ohne Folgen geblieben war, suchte sie wochenlang nach Lian. Na ja – keiner kannte im Mao-Reich einen chinesischen Kaugummiproduzenten mit Namen Hong. Und die Kiste «Chewing Gum», die er ihr zurückgelassen hatte, wurde als «koreanische Billig­produktion» entlarvt. Man könnte nun denken, das unselige Missgeschick hätte bei Dora einen ­Männerhass hervorgerufen.

IM GEGENTEIL!

Sie wurde jetzt zornig auf alle Frauen, welche die Hotelzimmer versauten, die Toiletten nie richtig spülten und Lippenstiftspuren auf den Kissen ­hinterliessen.

VERMUTLICH WAR ES EINFACH NUR NEID.

«Mir macht keine etwas vor», trompetete sie jeweils zu Lenchen, wenn sie abends übermüdet heimkam. «ICH SCHMECKE IHR PARFUM IM BADEZIMMER. UND ICH WEISS, DASS ICH DAS WEIB NICHT RIECHEN KANN!»

Wieder liebevolles Handgetätschel von Lene: «Mamma … die meisten Frauen verdienen sich heute ihre Parfums selber …»

«PAPPERLAPAPP! – ICH WEISS, WAS ICH WEISS!» Dora hatte die Suite endlich aufgeräumt. Jetzt sprühte sie sich als Belohnung einen kleinen Zischer «Jour d’Hermès» hinter das Ohr.

Plötzlich hörte sie ein Lachen: «Gefällt Ihnen mein Parfum?» Beinahe wäre ihr das Flacon vor Schreck aus der Hand gerutscht.

Da stand ein Mannsbild.

«Ich dachte nur … ähhh … Ihre Freundin …» Der Mann grinste: «Da gibt es keine Freundin, gute Frau …» Er ging zum Spiegel. Betrachtete sich kurz. Und puderte die Stirn mit dem dritten Braunton ab. Dazu ein Spritzer «Jour d’Hermès».

Schliesslich trocknete er die Hände. Und warf das Tuch auf den Boden.

«Leck mich!», knurrte Dora.

Montag, 9. November 2015