Falscher Hase

Herta zwängte sich in das rosa Kleid. CHRRRRRRR. Der Reissverschluss riss.

Im Spiegel lachte ihr ein etwas zu üppiges Hinterteil aus dem aufgerissenen Stoff entgegen. «KAAARL!»

Da stand er schon. Er grinste dieses maliziöse Lächeln, das die Freuden und die Würze des Alters ausmacht: «Dein dicker Amboss, Hertilein! Das kommt von dieser Zwischendurch-Nascherei.» Selbstgefällig tätschelte er seine magere Vorderfront ab.

«ARMLEUCHTER!» - schlug Hertas Depression nun in eine gesunde Wut um: «Du warst schon immer eine Pappschnurr...!»

Dann völlig zusammenhangslos: «ICH HABE NICHTS ANZUZIEHEN!»

Seit zwei Jahren schon hatte Herta ihren Angetrauten wegen des heutigen Restaurantbesuches die Wände hochgetrieben: «Jeder, der etwas auf sich hält, hat schon mal im der Fourchette d Or gegessen.

Im neusten Gourmetführer KOHL UND COOL hat der Tester sie mit 18 Punkten bejubelt...»

Karl wusste, dass Einwände wie «dort gibts kein Bier im Humpen» oder «dein falscher Hase ist mir lieber, Schatz» in den Wind geredet waren.

Am Telefon erklärte eine nasale Stimme: «Wir sind für die nächsten neun Monate ausgebucht...»

DAMMICH!

Und heute war nach neun Monaten! Herta hatte keine Ruhe gegeben, bis Karl sich den blauen Anzug angeschmissen und die einzige Krawatte im Haus umgebunden hatte.

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«Nimm das schwarze Hosenkleid! Kaminfeger sind überall gerne gesehen !», feixte Karl nun.

Natürlich gabs kein Bier in Humpen. Dafür schlug man ihnen ein Gourmetmenü vor: «Es geht nichts über die Genüsse des Meeres, die sich mit den Gewürzen des Orients vermählen», säuselte der Oberkellner.

«Es geht nichts über Hertas falschen Hasen», belehrte ihn Karl.

Die beiden waren eben an der Vermählung roher Garnelenschwänze mit arabischem Rosenöl, als der Nachbartisch von einem lärmenden Paar in Beschlag genommen wurde.

Er: drei Reihen Armbänder und glitzernde Brillanten auf der Rolex.

Sie: zwei frisch gebackene Busen, die wie knackige Ofenbrote im Angebot standen. Dazu ein Parfüm, das schlagartig sämtliche Gewürzdüfte des Orients schachmatt setzte.

Es duftete im Lokal wie an einem dieser Kosmetikstände in der Schnell-Liftings-Abteilung eines Warenhauses.

KARL PFIFF DEN KELLNER HERBEI: «WIR WOLLEN EINEN ANDEREN TISCH. ODER EINEN VENTILATOR!»

Der Oberkellner machte ein betrübtes Gesicht: «Unsere Tische sind seit neun Monaten...»

«Ich weiss», unterbrach ihn Karl laut, «aber so etwas geht unter Notfall. Ich habe eine Parfümallergie...»

Der Nachbar erhob sich: «Passt Ihnen etwas nicht...!»

«SIE SIND MIR ZU GELACKT!», brüllte Karl.

«...IHRE BEGLEITERIN IST EINE ZUMUTUNG FÜR JEDE VERMÄHLUNG EINES MEERES MIT DEM ORIENT!»

Höhnisches Lachen: «Sie sind doch nur sauer, weil Sie mit einem Trauerwal hier gestrandet sind!»

Karl schlug zu. Der Lackaffe konterte. Da erhob sich Herta. Und kickte dem Tischnachbarn gezielt in die Weichteile. «Da ist nicht sehr viel...», kicherte die Begleiterin.

Auf der Strasse wurden Karl und Herta vom Chef de Service eingeholt:

«Es tut uns leid - das war der Kritiker von KOHL UND COOL.» Ich darf Ihnen von unserm Chef ausrichten: Sie haben dreimal einen Tisch bei uns frei JEDERZEIT das ist ihm der Kick von Madame mehr als wert...»

Dann blinzelte er zu Karl: «Ich werde persönlich für ein frisches Bier besorgt sein...»

«Du mein Pappschnurr-Held!», küsste Herta auf dem Heimweg das blaue Auge ihres Gatten, «morgen gibt es falschen Hasen...»

Freitag, 25. Oktober 2019