Gloria Dei

Im Haus war es kalt.

Peter öffnete die Fensterläden. Draussen schüttete es.

HEFTIG.

Sofort sperrte er die Fenster wieder zu. Er holte nun Holz. Und Zündwürfel.

Die Würfel loderten. Das Holz nicht. Ein dunkler Rauch schlich sich vom Kamin ins Haus.

Peter hustete. Hastig öffnete er wieder alle Fenster.

Sie hatten sonniges Januarwetter versprochen. Aber der Himmel weinte in den Schnee. Die Skilifte zogen die Unermüdlichen durch den Kunstschneepflotsch. Und Peter stierte in den Garten - es war Lisas Garten gewesen.

Bei ihrem letzten Besuch hatte sie noch Rosen geschnitten: «Das sind die letzten in diesem Jahr, Peter.» «Ja», brummelte er abwesend.

Er hatte ihr n i e zugehört. Immer nur: «Ja... ja ...»

Sie haben das Haus geschlossen. Und alles winterfest gemacht. Peter hasste die Wintermonate in den Bergen («alles nass alles kalt alles grau»). Und Lisa fügte sich mit einem leisen Seufzer. «Ich mag die Stille, wenn die Natur schläft...»

Antwort (gereizt): «Ja... ja...»

Peter war das, was man einen erfolgreichen Unternehmer nennt: Sie hofierten ihn im Rotary sie buckelten, wenn er für einen Fonds spenden sollte... die Wirtschaftsblätter wählten ihn zum «Mann des Jahres».

Hätte einer Lisa gefragt: «Womit verdient dein Mann so viel Geld?», hätte sie nur leise gelächelt: «...genau weiss ich das nicht irgendetwas mit Elektronik wir reden nicht darüber...»

Er redete mit Lisa selten über etwas.

Natürlich hatte er sie gemocht. Er brauchte sie. Jeder Unternehmer braucht eine Frau, die repräsentiert. Und seine Kinder grosszieht.

Das mit den Kindern hatte dann nicht geklappt. Also wendete sich Lisa dem Garten zu. Pflanzte Bäume und Blumen. Am liebsten mochte sie Rosen. Gelbe. Nicht diese knalligen «Baccara» in ihrem Hurenrot. Nein. Die vielblättrige «Charles Darwin», die Strauchrose «Postillon» oder - ihre liebste - die «Gloria Dei» mit dem zartblutigen Rand.

«Die Gloria Dei blüht manchmal gar im Winter. Sie ist extrem robust...» «Ja... ja... »

An jenem Tag, als Lisa sich im Bett aufrichten wollte, leise «Peter» seufzte und wieder ins Kissen zurücksank, antwortete er wieder mit «ja... ja».

Ihr Tod war dann doch ein Schock. Wenn er abends in die Villa kam, war geheizt. Aber es fühlte sich alles kalt an.

NÄCHTELANG LAG ER WACH IM BETT. ER HIRNTE, WAS ER LISA NOCH ALLES HÄTTE SAGEN WOLLEN: «...dass er sie immer gerngehabt habe... dass er ihre sanfte Art so schätzte... DASS SIE IHM FEST FEHLE... dass... dass... dass... Zu spät.

Und «ja... ja ...» seufzte er zu sich selber.

Eines Tages hielt er es nicht mehr aus. Er floh die Villa. Und fuhr ins Chalet in die Berge.

Nun hockte er in der verräucherten Stube mit dem dampfenden Holzscheit im Kamin. Lisa war überall - und doch nirgends.

Am Eiskasten in der Küche entdeckte er ein Foto. Es zeigte Lisa mit ihm - sie schmiegte sich an ihn. Und schien glücklich. Er schaute, als ob ihm die Situation peinlich wäre.

Plötzlch brüllte Peter los: «Wo immer du bist... ich war ein Arschloch, Lisa. Ich habe dich immer geliebt... ich konnte es vielleicht nie richtig zeigen und...»

ER GING ANS FENSTER. UND SCHAUTE IN IHREN GARTEN.

Die Büsche waren dunkel und kahl. Nur die Tannen schauten stolz und lebensfroh zum Himmel.

Die Rosen zeigten schwarze Stängel. Eine einzige Blüte funkelte wie die Sonne im Regen: «Gloria Dei»...

Peter sah sie nicht. Er schloss das Haus wieder ab. Und fuhr zurück in die Stadt. Er hatte einen wichtigen Termin mit der Bank.

Freitag, 10. Januar 2020