Mützen mit Schild

Er trägt ein Mützchen.
Er - das ist «mein» Fotograf, auf den ich seit drei Minuten warte.
DREI MINUTEN!
Endlich tauchte er auf. Mit federndem Schritt. Jeans? grobmaschiger Wollpullover (obwohl die Frühjahrssonne in diesem Moment die Arktis zum Schmelzen bringt). Und eben: MÜTZCHEN.
Er trägt das Mützchen verkehrt herum. Deckel nach hinten. HIPP!
Ich schlucke eine bissige Bemerkung hinunter. Als ich das bei meinem Göttibuben nicht getan hatte, kam nämlich höhnisches Mitleid: «Na, du alter Knacker - haben wir wieder mal einen Sack voll Neid auf die Jugend ausgeleert?» Deshalb nun Schweigen. Ich strecke ihm wortlos eine Fastenwähe zu. Er tippt ans Schild, wo keines ist: «Danke!»

Nun spucke ich die Frage trotzdem aus: «Weshalb trägst du das Mützchen eigentlich verkehrt rum?» «Fotografieren?», kaut er.
Ich verstehe nur FOTOGRAFIEREN. Aber da hat er sie auch schon seufzend um 180 Grad gedreht - Schild nach vorn.
Ich muss an jene Zeit denken, als auch wir vor einem halben Jahrhundert Donald-Duck-Mützchen trugen. Es waren allerdings solche der Firma «Busi». ICH HASSTE BUSI-MÜTZCHEN.
Ich hätte lieber einen von Mutters riesigen Deckeln mit den etwas welken Seidenblumen drauf gehabt - aber das ist ein anderes Thema. So schickten sie mich also mit der Busi-Mütze in die Kirche.
Der Mütze waren Ohrenklappen eingenäht. Das hatten die Busi-Mützen den heutigen Käppi voraus. «Mach die Klappen runter», mahnte Mutter vor dem Kirchgang. «Das sieht doof aus», quengelte ich. «Klappe zu und Klappen runter», knurrte Vater. «Es ist kalt. Überdies hast du Abstehohren?»
Kapiert wohl jeder, dass ich die Welt und ihre Busi-Mützen hasste.
Mein Vater war der klare Mützen-Typ. Riefen ihn die Berge, zog er mit einem grobmaschigen Wollkäppchen los. Zündrot. Mit Zottel. Ein bisschen Alpöhi, ein bisschen Rumpelstilz?
Vaters persönliche Masche war rot. Und: links, links, links. Aber darauf nahm die strickende Gattin keine Rücksicht. Sie nadelte ihm gerne ein paar Rechtsabnehmer rein.
In frühesten Jahren habe ich meinen Vater mit Trämlermütze erlebt. Ein Schwarzweissbild zeigt ihn mit diesem schwarzen Hut, auf dem in silbrigem Garn über einer Lackschnalle die Buchstaben «B St B» eingestickt waren: Basler Strassen Bahn. Wenn ich diese alte Trämlermütze auf dem Foto betrachte, muss ich sagen: mega fesch!
Diese Mütze gibt etwas her - speziell das glänzende Lackschild und der hohe, steife Aufbau, der den kleinen Trämler im Alltag grösser erscheinen liess. Allerdings drückte der harte Hutrand auf die Ohren und diese stark heraus. Trotzdem wäre ich lieber mit der Trämlermütze in die Kirche gegangen.
Als der Fotograf schliesslich zum Einsatz kam und die Kamera vor Augen führte, da drückte diese aufs harte Schild. Und ihm die Mütze vom Kopf. Vorwurfsvoll schaute er mich an. Hob das Käppi auf. Und stülpte es wieder auf die Birne - diesmal: Deckel nach hinten.
«Fotografieren?», sagte er.

Montag, 5. März 2007