Vom gefundenen Elefanten und Halluzinationen

Als ich den Elefanten im Kornfeld sah, zwickte ich mich in den Arsch. Und beschloss, doch wieder mal meinen Arzt zu konsultieren.
HALLUZINATIONEN IM ALTER SIND NÄMLICH EINE GROSSE GEFAHR.
Man denkt beispielshalber, man sei noch 20. Macht Bungee­jumping. Und ist eben doch zerstreut wie ein 70-Jähriger.
Mit andern Worten: Du stürzt dich in die Tiefe. Hast aber vergessen, das Band an deinen Knöchel zu knüpfen. UND DANACH BRAUCHST DU AUCH GAR NICHT MEHR FÜR EINEN CHECK-UP ZUM ARZT ZU GEHEN.
So weit. So bestürzend.
Auch nach dem dritten Zwick stand der graue Riese noch da. Es war ein alter Elefant. Verschrumpelt. So, als hätte man ihn nicht richtig aufgeblasen.
Aber er hatte gütige Augen. Gemächlich wippte er seinen Kopf hin und her? wie eine alte Oma, die ihren Runzelapfel schüttelt: «Zzzzzz? früher schmeckten Tomaten besser!»
Nun tummeln sich auf unserer kleinen Toskana-Insel allerhand Tiere: Stachelschweine, die Tomaten stehlen, MEINE Tomaten. Pflügende Wildsäue. Giftgrüne Schlangen.
ABER VON INSELELEFANTEN WEISS ICH NICHTS.
Also schlucke ich dreimal leer. Fahre das Auto in den Sand. Und bewege mich ganz langsam auf das Tier zu: «Ja Bussibussi, duduuuu? bist aber ein Lieber ? UND MACHST KLEINEN DICKEN MÄNNLEIN NICHTS!»
Ich rede mit dem Elefanten die Katzensprache. Ohne das dicke, kleine Männchen zu beachten, reisst er mit seinem Schrumpelrüssel einen Ast vom Baum. Jetzt erst schaut mich der Dickhäuter an. Blinzelt mir neckisch zu? und zwar mit auberginefarbenen Augen, die das Verspielt-Verträumte eines leider viel zu früh verstorbenen Johannes Heesters ausstrahlen (und der ist doch tot?). Natürlich muss ich den Elefanten bei der Hafen­polizei melden. JA HALLO? DAS IST MAL EINE SITCOM MIT ACTION! Wo verhaftet sonst das Pistolenteam einen winkenden Dickhäuter?
Aber mit der Telefoniererei wird nichts. HANDY IM LIEGESTUHL VERGESSEN! OH JAMMERTAL.
Ich stelle mich also an den Strassenrand. Und hoffe auf einen der tuckernden Dreiradlasterchen, die mit ihren zumeist zugetörnten Bauern in alle Felder losschaukeln.
Aber es kommt kein Dreiradlaster. Sondern Michele. Und Michele ist der Bestatter der Insel?mit ellenlanger Limousine, durch deren weite Fenster man jeweils dem Aufgebahrten auf seinem ultimativ letzten Trip zuwinken kann.
Michele zieht eine Vollbremse, sodass es den alten Leonardo, der gestern beim 20. Gläslein Grappa noch «Saluti a tutti!» gejauchzt und dann ins Gras gebissen hat, in seiner Kiste nach vorne jagt.? Michele also voll auf die Klötze! Schlittert vor mich hin. Und setzt die bewährte Trauermiene von Don Camillo auf: «Wer ist gestorben?»
«KEINER? DU HIRNI!» («Nessuno? cervello mio!») «Ich hab hier einen Elefanten?»
Michele guckte scheel: «Man macht keine Witze vor dem Antlitz des Herrn und des Todes.»
Doch dann entdeckte er den winkenden Rüssel mit dem Ast. Und: «SANTA MARIA!», brüllte der Bestatter. Jagte davon. Und diesmal fegte es den toten Leonardo total nach hinten.
Eine Stunde später jagten sie mit Blaulicht an? begleitet vom TV-Chefredaktor des Canale Isola sowie einer Handvoll Lokaljournalisten. Commissario Montalbetti ging mit gezogenem Sturmgewehr auf das noch immer mit dem Feigenstrauch winkende Rüsseltier los ? und: «E BRAVA? NON FA NIENTE!», schrie plötzlich eine Stimme. Ein dicklicher Mann in Goldknopfuniform tauchte Hände verwerfend aus dem Wäldchen auf: «Si chiama Norma.»
Tatsächlich sei Norma ausgebüxt? so erzählte es uns Vittorio, der sich als sechste Generation des Zirkus Orfei vorstellte. Als die Orfeianer das Zelt aufstellten, habe sich die Elefantendame einfach aus dem Staub gemacht. Und? KLICKLICKLICK!? feuerten die Fotografen auf Norma los. Diese winkte mit ihrem dürren Feigenbaumast lässig in die Kameras? ganz Diva. Vom Rüssel bis zum Schwanz!
Herr Vittorio drückte mir ein Ticket für die ­Ehrenloge in die Hände: «Norma gutes Elefant, du gutes Mensch!» Und so sass ich zwei Tage später, als das lokale Fernsehen und die Provinzpresse Norma als abso­luten Brüller ­verbraten hatten, in einer verlotterten Zirkuswelt, welche die Orfeis mit einem roten Sternenvorhang aufzurüschen versuchten.
DER ABSOLUTER HAMMER: die winkende Norma.
Stolz führte Direktor Vittorio den Elefanten in die Manege. Hier liess die Dame nicht eben ladylike unter dem Jubel der Inselbevölkerung als Erstes drei, vier Kilo Elefantenmist los. «BRAVA NORMA? BRAVISSIMA», schrien die Menschen auf den schmalen Holzbänken. Italiener wissen um das Glück einer guten Verdauung.
Schliesslich spielte ­Grossvater Orfei die «ITALIA? ITALIA»- Hymne auf der Trompete. Norma winkte dem
Publikum zu? dieses Mal nicht mit einem ­Feigenbaumast. Sondern mit der Nationalfahne. Das Zelt kochte vor Begeisterung.
Als ich zwei Wochen später in Aprilia, einem kleinen Ort zwischen Rom und Neapel, eine Freundin besuchen wollte, entdeckte ich auf der Fahrt unterwegs einen Elefanten, wie er einen Ast schwenkte. Das Tier war bereits von drei Carabinieri, zehn Lokalreportern und einem händeringenden Direktor Vittorio umzingelt.
«Hallo, Norma», rief ich.
Als Vittorio mich sah, wurde er bleich: «Sie verraten doch nichts, Signore. Unser Zirkus hat in einer Zeit voller Computeranimation ein schweres Los. So ein?GEFUNDENER ELEFANT? aber ist die beste und billigste Werbung?»
Norma schaute zu mir. Und zwinkerte mit ihren Heesters-Augen.
Dann winkte sie mit dem Feigenast.
«Ein Brüller!»? jauchzte die Presse.

Dienstag, 14. Mai 2013