Vom gefundenen Schatz und dem Service mit Krone

Zuerst dachte ich: «Alles geträumt. Alles Nirwana. Alles nur Schaum!»
Denn: TRÄUME SIND SCHÄUME, wie man es schon als Kind eingepaukt bekommt.
Aber da bellte die Stimme meines italienischen Cousins Antonio weiterhin aufgeregt ins Ohr: «?das ist ein Familienschatz, ich bin rein zufällig darauf gestossen, als ich den Weinkeller und die Fässer säuberte? die Kiste lag neben den Trichtern und?»
«ICH KOMME!»
Ok. Ich also rein in die Hose. Zähne geschäumt. Deo gesprüht. Und ab in Richtung italienische Grenze? dort, wo mein Vetter Antonio in täglicher Sisyphos-Arbeit all das versucht, was immer eine Illusion bleiben wird: der Familie das alte Schloss zurückzugeben, das sie nie besessen hat.
Innocent sitzt daneben. Und müffelt.
Seit er das adlige (zugegeben: etwas abgebröckelte) Steinwappen der Isottas über dem riesigen Eingangstor gesehen hat und ich ihm hochmütig vorgekleckert habe, das sei ja nun wohl wirklich etwas anderes als seine abgestaubte Familie mit dem ewigen Stammbaum aber ohne irgendeinen Funken Nobel, Adel oder gar einem Prinzen am Ast? also seither macht er auf madig.
Wenn ich schliesslich auf dem Sofa hocke, den High-Tea mit gespreiztem Kleinfinger reinschlürfe und zum zwanzigsten Mal die Prinzenhochzeiten der Königsländer abspule, nur um vornehm zu seufzen: «Ach, dort geht Vetter Willfried, der mit den 49 Orden? und Base Elisabeth hat sich einen neuen Hut aufrüschen lassen?»? ja da geht er ab wie diese amerikanischen Raketen mit dem Abhörprogramm an Bord.
«HALLO, HATS DIR JETZT TOTAL INS HIRN GESCHISSEN? wegen einer geerbten Dreizimmer-Abfallhalde, die bei der grossen Gammelschau problemlos den ersten Preis abräumen würde, bist du noch lange keine Königstochter, du Pumpe!»
SO WEIT DER NEID DES NIEDEREN STANDES.
Nun hockt er also? Unverständliches vor sich hin bruddelnd? neben mir, derweil mein allerliebster Cinquecento sein Letztes gibt, um mindestens in acht Stunden von Basel in Chiasso zu sein.
Ich überlege, was Antonio wohl mit dem SCHATZ gemeint haben mag. Und ob die wunderbaren ­Teller mit den gemalten Krönchen darauf endlich hervorgekommen sind?
Die Krönchen-Teller haben mich als kleinen, etwas tanteligen Bub natürlich gross fasziniert: Sie zeigten das stolze Wappen der Isottas. Und da funkelte die Krone auf blauem Untergrund mit fünf goldenen Sternchen.
BEI UNS ZU HAUSE: BRUCHSICHERES GOLDRÄNDLI-GESCHIRR VON BAVARIA UND DAS GALERENBESTECK AUS DER EPA!
Da könnt ihr euch bestens vorstellen, was im ­kleinen Tuntenherzchen abging, als es plötzlich auf gekröntem Porzellan die Bratwurst reinziehen durfte. Ich fühlte mich wie eben diese Bratwurst: im falschen Rahmen serviert!
Als ich später meine Tante auf dem Schlösschen immer wieder besuchte, um sie mit Maggi­würfeln, «Pril flüssig» und «Cailler mit Nuss» einzu­decken («bekommt man in diesem Land von barbarischen Peperoni-Fressern nicht!»), als ich da jeweils Tonnen von familiären Care-Paketen über den Zoll von Chiasso schmuggelte, belohnte mich die Contessa, mit einer Past?asciutta. Das eigenwillige Aroma der Pomodoro-Sauce war mir neu. Meine Mutter rührte daheim stets irgendein Konzentrat aus rotem Büchslein mit Wasser an. Aus. Fertig. Kotzkotz.
Später habe ich Antonio, der in direkter Linie zum Schloss verwandt war, heiss gemacht: «RETTE BEI DEINEM NÄCHSTEN BESUCH DIE TELLER? ICH BRAUCHE EINEN KRÖNENDEN BEWEIS FÜR DIE ADLIGE ABSTAMMUNG MEINER SCHRILLEN GENE. BIS ANHIN WERDEN DIESE NÄMLICH NOCH VOM UNSELIGEN GEBIMMEL DER TRÄMLERSGLOCKEN ÜBERTÖNT.»
Aber Antonio winkte nur ab: «Solche Teller gibt es nur in deinen Kinderfantastereien. Du hattest immer einen Hang zum Schrillen, aber ich habe ein wunderbares Bavaria-Service, das sie uns auf die Hochzeit gleich dreifach geschenkt haben? ich schenke es dir gerne.»
ICH HASSTE BAVARIA. ICH WAR DER KRÖNCHEN-TYP. GING DAS DER WELT DENN NICHT IN IHREN HARTGESOTTENEN SCHÄDEL?!
Ich muss zugeben, dass Antonio an unserem Erbe schon viel aufgerüstet hat. Die abgebröckelnden Mauern hängen voll mit grellweissen Gummi­kabeln, denn: «?also Elektrisch ist das Wichtigste. Ich habe mich mal schlaugemacht und beim Hobbymarkt gleich acht Kilometer Elektroleitungen für den Preis von fünf eingekauft!» JA DA HÄTTE ICH AUCH GLEICH INNOCENT ANS GEMÄUER SCHICKEN KÖNNEN.
Tatsächlich fingerlt der bereits total elektrisiert am Elektrokasten rum. Und schon sind mein Vetter und er in ein Fach­gespräch verwickelt, das sie durstig macht. Und in die einzige Beiz am Ort führt.
Ich suche den Keller auf. Er ist muffig. Feucht. Aus den dicken Mauern strömt ein Parfum von Weinsäure. Und Vergangenheit.
Und dann sehe ich es: die Schatzkiste? eine alte, ­rissige Holztruhe mit Eisenbeschlägen.
Ich öffne die Herrlichkeit ? und unter einer Staubwolke kommt ein Berg von vergilbten Fotos zum Vorschein. Alle mit diesem angelaufenen Gelbstich, den uns die Jahrzehnte aufs Gesicht zaubern.
Ich zupfe eine Foto nach der andern heraus? da ist auch mein Vater. Er hält meine Tante links und meine Mutter rechts im Arm. Auf seinem Kopf trägt er die Trämlermütze falsch herum. Und seine Augen leuchten?
Im Keller ist es plötzlich kalt. Ich gehe nach oben ans Tageslicht? und die Sonne blendet.
Innocent und mein Vetter kommen lachend von der Beiz zurück.
«Was ist das für ein Hochzeitsservice, das du mir schenken willst?», frage ich Antonio?

Dienstag, 30. Juli 2013