Von Demos und dem Müll dieser Welt

Es gibt zwei Dinge, die man in München nicht verpassen sollte:
? WILHELMINE RAABES FRUCHTPRALINEN.
? UND DIE ATOMGEGNER-DEMO MIT DEN LUFTBALLONS SO RUND UND GROSS, ALS WÜRDEN REIHENHÄUSER ZUM HIMMEL FLIEGEN.
Die Pralinen sind mit Minze, Rosenblättern und Vanilleschaum gefüllt. Die Ballons mit Alternativgas. Der gemeinsame Nenner ist das schwebende Gefühl. Im Gegensatz zu den Pralinen kam die Demo überraschend. «JETZT IST GENUG», stand auf handgezimmerten Pamphleten. Zehntausende von Alternativsonnen, die mich ein wenig an den SVP-Sunshine erinnern, lachten in einen waschhausnebelgrauen Himmel. Man bildete eine Menschenkette, die fast bis zu diesem See reichte, wo der Ludwig selig damals für immer eingetaucht ist? ja es stand eine fleischlich und energiegeladene Hand-in-Hand-Mauer gegen diese eiserne Bande an, die noch immer nicht weiss: WOHIN MIT DEM MÜLL?
MÜNCHEN HAT DEN LADEN DICHT-GEMACHT. Nur die Polizei hält alle Helme offen. Und dann noch das Spatenhaus an der Oper, wo uns Kurt und Sepp zum Gulasch erwarten.
«Hallöchen», winkt Kurt vom Stammtisch. «Wollns a Maass...?», fragt der Kellner galant. Aber da mein fitter Vetter total auf Rübensaft macht und sich nach einer vegetarischen Karte erkundigt, ist die Stimmung beim Service bald einmal so, als wäre Frau Merkel auf einem Atomreaktor durch den von Kindern verseuchten Raum geritten.
Kurt ist grantig. Er hat eine Phobie gegen Magerdesserts, alkoholfreie Cocktails und KINDER.
Letztere mag er? wie er bissig bemerkt? aber nur: «Wenn die Eltern so vernünftig sind, ihnen den Valiumschnuller zu geben!»
Demonstrieren macht Hunger. Und so ist der Laden bumsvoll mit herumzuckelnden Ballons, von denen immer mal wieder einer mit lautem Knall den Geist aufgibt. An den Ballons hängen harmlose Kinderhändchen. Und nach dem Knall geht dann das grosse Geschrei los.
«Es war deine Idee», brüllt Kurt über den Tisch zu Sepp. «WIR HÄTTEN JA AUCH GLEICH IN EINER KINDERKRIPPE EINEN MÜSLISTENGEL ESSEN KÖNNEN!»
Sepp lächelt. Sepp hat dieses zartabwesende Lächeln des Akademikers mit Professur. Er ist ein Gemütsmensch und stark harmoniebedürftig. Deshalb klopft er Kurt auf die Finger: «Aber... aber... sind wir wieder mal mit dem linken Fuss aufgestanden?»
Dann zu mir: «Kurt hats im Rücken. Und die Herbstnebel nehmen ihn immer stark mit... beachtet bitte sein Theater einfach nicht... das spornt ihn nur noch an. Ach, ich fürchte fast, es gibt hier keinen Karottensaft...» Letzteres ging an meinen Vetter.
Tom hatte auch schon diese Stinkelaune. Dabei war er mit dem rechten Fuss aufgestanden und hat sich, ohne die Zähne zu putzen, gleich zu seinen Strammschinken-Übungen auf die Matte geknallt: «Dann nehme ich halt eine Apfelschorle. Aber ohne Kohlensäure...»
«Gibts nicht!» Die Stimmung zwischen Tom und dem Kellner war nun so geladen, dass man sämtliche Atomkraftwerke des Ostens mit der knisternden Energie hätte füttern können.
«WAS GIBTS NICHT?!»
«Na mai? ohne Kohlensäure halt... e Schorle muss sprudeln, issjaklar!»
«MEINES NICHT!», erwiderte der Vetter in der eisigen Tonlage des Aletschgletschers.
«Bringen Sie ihm doch einen reinen Apfelsaft mit einem Mineralwasser ohne Gas...», lächelte Akademiker Sepp mit diesem versöhnlichen Blick, mit dem er bei seinen Studenten seit Jahren auch den vergessenen Akkusativ entschuldigt.
«Dös isch aber teurer...», mault der Kellner.
«... und nicht Ihr Problem», lächelt der Professor noch immer sanft.
Im Hintergrund kreischen drei Kleinkinder, als hätte man sie auf den Grill gesetzt. Ihre Mutter hat nur einen Malblock im Nylon-Rucksäcklein. ABER NATÜRLICH WOLLEN ALLE DREI MALEN. UND SO REISSEN SIE EINANDER DIE SKIZZEN MIT DEN VORGEDRUCKTEN SCHWEINEN, KÜHEN, HÜHNERN UND HASEN BRÜLLEND AUS DEN HÄNDEN? BIS DER KELLNER AUFTAUCHT UND IHNEN EINE PLATTE POMMES HINSTELLT, MIT MAYO UND KETCHUP!
Dem Kellner gehört der Friedensnobelpreis.
Jetzt herrscht herrliche Ruhe? die Viecher bleiben zwar unangemalt, dafür verschmieren sich die Kleinen nun jauchzend ihre Köpfe mit Tomatenfarbe und Mayo-Gelb.
«Ich halt das nicht aus!», wimmert Kurt und wirft zwei Tabletten ein. «Ich wollte ja gleich in den Englischen Garten, aber DU...»
«... Im Englischen Garten demonstrieren die LKW-Fahrer wegen des Sonntagfahrverbots», tätschelt Sepp wieder Kurts Finger.
«Wer hat Schwammerlsuppe?», überbrüllt der Kellner einen neuen Anmarsch von demonstrierenden Eltern mit Kindern im Gepäck.
«Ich offeriere sie diesen Kindern und hoffe, es hat auch zwei, drei fette Fliegenpilze im Gemisch...», giftelt Kurt über seinem Bier, dessen Schaum so zusammengebrochen ist wie Toms Elan, als er sein vegetarisches Menü bekam: Krautsalat mit Kümmel.
Sepp schnipselte gemütlich an seiner Schweinslende: «Man muss im Leben aus allem und jedem immer das Beste machen...» Dann nickte er mir freundlich zu: «Apropos: Wie gehts denn bei euch so in der stillstummschönen Schweiz?»
Gottlob hats da wieder einen Ballon verknallt. Und die Antwort blieb genauso im Raume stehen wie des Rätsels Lösung auf die Frage: WOHIN MIT ALL DEM MÜLL DIESER WELT?

Samstag, 30. Oktober 2010