Von den Capri-Fischern und Sushi statt Pizza

Donnerstag Man hat mir Abfallberge angedroht. Überhaupt haben mich meine norditalienischen Freunde vor unserm Napoli-Trip für verrückt erklärt: «Alles unterhalb von Rom ist Schutt und Geröll...»
ABER EHRLICH? UND OHNE ABFÄLLIG ZU SEIN: Mehr Abfall als bei uns fällt in Neapel auch nicht an oder auf.
Innocent wäre gerne wieder in dieses elegante Hotel beim Touristentreff Santa Lucia gegangen. Wir haben dort den Geburtstag unserer Freundin Esther gefeiert. Die Sicht ist überwältigend? die Preise sind es auch. Topelegante Kellner (mit goldenen Knöpfen), die einen feurig zischenden Geburtstagskuchen in Vesuvform anschleppen, sind ebenso im Service inbegriffen wie der Mandolinenspieler, der eine neapolitanische Schnulze nach der anderen runtersülzt. Selbst Innocent hatte, nachdem der Talmi-Caruso am Schluss der Capri-Fischer sein gestrichenes B so penetrant lange ausschmettern liess, dass das norwegische Soufflé am Nachbartisch wie ein luftlassender Ballon in sich zusammensackte, also selbst dieses Trockenholz von Basler Anwalt hatte da Tränen in den Augen. Generös salbte er die grosse Hand des Tenors mit einer kleinen Münze: «Da, Sie braver Mann!»
Er, der mir jede Sissi-Folge als eierlikörigen Süsskitsch runtermacht, schneuzte sich nach solchem Touristen-Schmu in sein monogrammbesticktes Taschentuch: «Neapel sehen und sterben...» Na, dank seinem Schrittmacher hat ers überlebt. Und jetzt, zwölf Jahre danach: «Ich will in Napoli wieder auf diese kleine Insel, wo der lustige Mann für Esther gesungen hat...» Als dann aber Innocent erfuhr, dass das elegante Hotel mit den vesuvsprühenden Torten sowie den feurigen Kellnern (mit den goldenen Knöpfen) die Übernachtungspreise der glanzvollen Umgebung angepasst hatte, war er doch zufrieden, dass ich bei Pepino im spanischen «Quartiere dei Poveri» über einem Waschseil an dem noch wie vor 100 Jahren die Wäsche flatterte, eine Rucksack-Kammer bestellt hatte.
«Das?Ritz? ist es nicht», meckerte er anfänglich. Und drückte gleich mal die Matratze durch. Eine Wolke von Staub sowie eine Armada dieser lustigen Tausendfüssler waren das Resultat seiner Bettenprüfung.
Natürlich machte er gleich auf Oper und Drama. Manchmal kann er richtig nerven. Selbst an seinem 40. Hochzeitstag.
«DIE LEUTE STERBEN IM VERKEHR... ODER WEIL SIE SICH ÜBER DIESE ANTIRAUCHERKAMPAGNEN ZU TODE ÄRGERN... ODER AN DIESEM VIRUS, DEN MAN FÄLSCHLICHERWEISE DEN SCHWEINEN ZUSCHREIBT, OBWOHL JEDER DER SCHWEIN HAT, IHN NICHT BEKOMMT... ABER MENSCHEN STERBEN NICHT AN FÜNF GRAMM STAUB UND DREI TAUSENDFÜSSLERN!»? Es gibt Momente, da muss man auch in einer langjährigen Beziehung deutlich und laut werden.
Da mir der Ausbruch sofort wieder leidtat, stellte ich liebevoll Innocents Hörapparat an (er zappt diesen nämlich stets stur auf «off», wenn er Dinge nicht kapieren will) und schrie in den Verstärker: «Ich habe für heute Abend ein Essen auf Santa Lucia reserviert!»
Da strahlte er wie die kleine Prinzessin, als sie die Sissi entdeckte und auf dem langen, roten Teppich in Venedig «Mamma... Mamma» schrie.
Ich hatte mich natürlich auf den Touri-Schmu vorbereitet und meine Familienpackung Valium dabei. Aber statt der einstigen Kellner in ihren weissen Jacken (und den goldenen Knöpfen) rauschten nun Serviertöchter in Minijupes und schwarzen Strümpfen an. Oben trugen sie den Bestellblock und sonst wenig, SEHR WENIG.
Statt dieser herrlichen frittierten Scampischwänze und Tomatenpizza mit Peperoncino-Schärfe hatte man die Schärfe von A bis Z diesen Weibern überlassen. Und SUSHI im Angebot. Wo früher Spaghetti Vongole serviert wurden, sind es jetzt fein aufgeschnittene rohe Meeresbarben an Ingwersaft oder dann iranischer Kaviar zum Ein-Gramm-Preis.
Innocent liebt Kaviar, hasst aber den Preis. «Wir nehmen das?pane e coperto?», gab er der Knappbeschürzten die Order durch. Die sprach aber nur englisches Polnisch: «Hello? I am Svetlana... fish fresh, not stinky...»
Natürlich gabs auch keine feuersprühenden Vulkantorten mehr. Der Einzige, der sprühte, war Innocent. Er sollte für zwei Portionen rohe Fisch-Lamellen, die er an meinem Feuerzeug brätelte, genauso viel bezahlen, wie das ganze Leichenessen an der 49-köpfigen Abdankung seiner lieben Tante Huberta gekostet hatte.
NA DA WAR DANN ABER DIE OPER LOS!
Als wir am andern Morgen über der Wäscheleine in Pepinos Hotel erwachten, schmetterte im verfallenen Palazzo vis-à-vis ein fetter, alter Neapolitaner «O sole mio» vor dem Rasierspiegel. «BRAVO!», rief Innocent enthusiastisch. Und stellte den Hörapparat auf «full». Der Dicke verbeugte sich strahlend am Fenster. Dann sang er die Capri-Fischer. Und liess das hohe B am Schluss so lange dröhnen, dass die Unterhosen am Wäscheseil zitterten.

Donnerstag, 14. Mai 2009