Piemont ist nicht nur Trüffel...

Fragt man irgendwelche Gourmetpäpste nach den Leckereien aus dem Piemont, so kratzen die sich überlegen am Bart: "Tartuffo bianco - ist ja klar".

Tatsächlich sind die Trüffel, die in der Gegend um Alba gefunden werden, uverwechselbar in ihrem Aroma (und nie und nimmer mit den geschmacksarmen Kügelchen aus der Maremma oder gar aus Jugoslawien gleichzusetzen).
Trüffel also. Und dann?

Grosses Fragezeichen bei den Connaisseurs. Sie werfen noch ein paar Brocken Süsses ins Gespräch: "Die Schokolade hat in Turin ihre Wiege und ..."

Stimmt. Schokolade ist Artikel Nummer -2-. Bitter Schokolade - und dies längst bevor das grosse Geschrei um die 80 prozentige mit dem Glücksausströmgefühl und der Garantie "macht nicht dick" losging.

Immerhin hat schon Herzog Filiberto Emanuele im 16. Jahrhundert die Kakaobohne in Turin eingeführt. Der Herzog war ein Süssmaul. Und wollte nicht mehr auf die heisse Schokolade, die er am spanischen Hof vorgesetzt bekommen hatte verzichten.
Später haben die Chocolatiers die Kakaobohnen mit gestossener, gerösteter Haselnuss angereichert. Un zu einer Pasta geknetet. Das gab die Gianduja - und noch heute sind diese Gianduja-Spezialitäten nicht aus Turin und dem Piemont wegzudenken. Eine grosse Rolle spielt dabei die Haselnuss, die auf den Hügeln um Turin geerntet wird. Sie ist aromatisch weltweit die beste. Das hat mit dem Klima zu tun. Und nur mit der piemontesischen Haselnuss, die nach der Röstung aussen dunkelbraun und innen milchig gelb sein muss, ist die Gianduja auch richtig. Ueber alles andere rümpfen die Piemonteser ihren feinen Rüssel: "Kleister - aus ungeniessbaren marokkanischen Haselnüssen!".

Damit wären wir aber auch beim Wesentlichen der Piemontesischen Küche: bei den Grundzutaten. Sie sind für die "cucina buona" enorm wichtig. Und ihre Qualität muss top sein. Deshalb ist hier ein Trüffel nicht einfach ein Trüffel - sondern der beste der Welt. Die Schokolade ist nicht einfach Schoggi - sondern mit dem Prädikat: "world's best" gespickt. Die Euphorie geht sogar so weit, dass man für Schoko-Liebhaber einen Schokoladen-Pass kreiert hat, mit dem er bei allen Turiner Chocolatiers anbeissen kann. Für Trüffelliebhaber gibt's die Saison-Show von Alba: spätstens ab November stehen hier verwitterte Bäuerinnen und Bauern hinter wackligen Brettertischchen auf dem Markt und lassen lässig für ein paar Tausend Euros weisse Kugeln aus zerknitterten Taschentüchern rollen.

Neben den beiden Eckpfeilern "Schokolade" und Trüffel" hat der piemontesische Gourmettempel aber noch einiges mehr zu bieten - hier sind die Grissini für einen magenkranken Prinzen erfunden worden. Hier wurde die Kultur des Apéritivs - auf die Erfindung des Martinis ist man mindestens so stolz wie auf die Erfindung des Fiat 500 - entwickelt. Dieser Apéro-Kult ist wohl einzigartig und hat sich heute in eine fast schon exzessive Form hochstylisiert.
Der Piemont und die Trüffelgegend um Alba ist aber auch das Nest, wo das erste Kinder-Ueberraschungsei gelegt wurde. In dieser Gegend rollen die Ferrerro-Kugeln an - und man ist immer für eine Kinderüberraschung gut.

Die eigentliche Piemontesische Küche ist einfach. Bäurisch. Und nur gerade bei der Fonduta von der nahen "cusine française" beeinflusst. Die Piemonteser haben es verstanden in ihren Gerichten authentisch zu bleiben. Sie gaben nicht jeden neuzeitlichen Gourmtet-Furz mitgepiept. Viele Rezepte sind bäuerlich inspiriert - wichtig sind hier einmal mehr das qualitativ hervorragende und frische Grundmaterial aus dem eigenen Garten. Und das Verwenden von lokalen Produkten.

Die typischste Piemontesische Spezialität ist die "Bagna cauda" - eigentlich: eine warme Sauce. Aus 20 Knoblauchzehen, einem halben Liter Olivenöl und 20 in Salz eingelegten (und kurz gewässerten) Sardellenfilets wird eine Sauce komponiert. Die hält sich auf einem Rechaud - ähnlich wie unsere Fondue - im Terracotta-Topf heiss.

Die "Bagna" wird mit verschiedenen, lokalen Wintergemüsen genossen. Die einen tauchen die Gemüse in die heisse Sauce. Oder sie servieren sich das Gemüsen auf einen Teller, nappieren die Sauce darüber und geniessen das Ganze mit krumigem Weissbrot (manchmal auch mit Polenta).

Unter der "verdura" wie Rosenkohl, Broccoli, Karotten, Peperoni und Radicchio spielt der Karden (Kardone) eine wichtige Rolle. Ihn findet man nur im Piemont, so wie der "cardon" bei uns auch nur im Kanton Genf angepflanzt wird. Das Distelgewächs mit seinen köstlichen (aber verflixt dornigen) Stengeln ist in der Rüsterei wie auch im Vorkochen abreitsaufwendig -schmeckt aber göttlich. Und gehört zu jeder Piemontesischen Bagna Cauda.

Die Bagna cauda (im Dialekt oft auch "Bagna caoda" genannt) war das typische piemontesische Bauerngericht. Und ist es noch heute. Aehnlich wie bei der Fondue isst man die Sache gesellig am grossen Tisch. Die Sauce ist für starke Mägen gedacht (heutige Köchinnen kochen die Knoblauchzehen zeurst in Milch aus, um deren Schärfe zu nehmen) - verpönt war (und ist) die "Bagna" bei der eleganten Gesellschaft wegen des Mundgeruchs, den sie verursachte. Im 19. Jahrhundert war's damit noch ärger: da wurde der Knoblauch roh dazu genossen - auch wurden die Sardellen nur ganz kurz von Hand entsalzt und samt Gräten in das kochende Oel geworfen. Der Atem muss jeden Ahnungslosen nach diesem Genuss umgehauen haben.

(Übrigens: wer zum Schluss der Bagna Cauda zwei, drei verklepperte Eier zur Restauce gibt, bekommt das beste Rührei aller Zeiten).
Ok. Die piemontesische Mägen von damals haben diese Hämmer wunderbar verdaut.

Überhaupt war die Verdauung robuster. Das zeigt auch das typische Fonduta-Rezept, das Giovanni Vialardi für Viktor Emanuel II kreierte: 400 Gramm fetter Fontina-Käse wird wird geschmolzen. Schliesslich wird die Käsesauce mit einem ganzen Ei und drei Dottern angereichert sowie mit einem halben Glas Milch und 60 Gramm Butter verfeinert. Die Kalorienbombe wird dann - nach königlichem Rezept - mit 60 Gramm weissen , fein gescheibelten Trüffeln serviert.

Heute kann sich einer die Fonduta Piemontese aus Cholesteryn- wie auch aus Budgetgründen nicht mehr leisten.
Dasselbe gilt übrigens auch für den berühmten Risotto Piemontese, der in 2 Litern Fleischbrühe exakt 18 Minuten auf grosser Flamme gekocht wird - und dem neben viel Käse, Butter und Muskat auch 150 Gramm weisse Trüffel (Verkaufspreis etwa 900 Franken) beigemengt werden.

Da ist die Bagna cauda leichter. Und auch preiswerter. Allerdings - in den Restaurants wird sie kaum mehr aufgetischt. Denn erstens findet man rund um Turin nur noch schwer ackerfrisches Gemüse. Und zweitens ist die Rüsterei so aufwendig, dass keine Restaurantküche diese Stunden bezahlen kann. So bleibt einem nur die Möglichkeit, sich von einer italienischen Bauernfamilie zu diesem Schmaus einladen zu lassen.

Kleiner Tipp: bringen Sie diesen Leuten dann in der Gegend, wo Cailler und Suchard in die Lehre gegangen sind, keine Schweizer Schokolade als Präsent mit ...

Montag, 20. März 2006