Vom Gemüsegarten und dem Rosenköpfer…

Illustration: Rebekka Heeb

Er hockt schon wieder in den Rosen.

Mit vergilbtem Tschäpper. Mit Tarnanzug wegen der Milben (wir haben 40 Grad! Kein Mensch will wissen, wies unter dem Tarnanzug dünstet).

UND MIT EINEM GRÜNEN GÄRTNERKORB, IN DEN ER DIE ABGEZWACKTEN ROSENKÖPFE REINWIRFT.

Ja – er schnippelt die Blüten weg.

ICH FINDE DAS SCHADE!

Denn ich liebe es, wenn die Rosenblätter wie Räppli nach einer Kinderfasnacht am Boden liegen.

NATÜRLICH SAGE ICH NICHTS. ICH BIN JA NICHT BLÖD.

WIR HABEN 135 ROSENSTÖCKE.

UND WENN ICH MECKERE, MUSS ICH SELBER RAN!

Innocent ist zwar ein Rosenkavalier – ABER SO WAS VON EINER MIMOSE!

Stänkere ich, weil der Wurstsalat zu fein geschnitten ist, wirft er gleich das Messer hin.

Würde ich jetzt wegen der viel zu früh geköpften Rosen maulen, käme es bissig: «DANN ZWICK DOCH SELBER DIE KÖPFE WEG!»

Nein. Tu ich nicht. ER IST DER GEBORENE ROSENKÖPFER!

Stets wenn so ein zart verblühtes und leicht vergammeltes Rosenköpfchen fällt, schminkt ein verträumtestes Lächeln seine Lippen.

ICH VERMUTE, ER HAT WÜSTE GEDANKEN DABEI UND GEHT BEIM KÖPFEN MÖRDERISCHEN FANTASIEN NACH – da fallen in seinen Tagträumen die Häupter von Regierungsräten, Steuerbeamten und auch sämtliche Direktoren-köpfe der Swisscom in den Korb.

Sehr oft auch meiner – da mache ich mir nichts vor!

«Rosenschneiden ist Therapie» – hat mir Doktor Klempnerli, diplomierter Seelenpflasterer und auch sonst mit Schuss, verraten.

Wo Klempnerli recht hat, hat er recht:

SEIT INNOCENT DIE ROSEN KÖPFT, IST ER BEDEUTEND AUSGEGLICHENER.

DAS HAT SICHER MIT SEINEN KOPF-AB-FANTASIEN ZU TUN.

(Wie oft habe ich beobachtet, wie er die Gartenschere langsam öffnete und mich dabei vielsagend ansah…)

ÜBERHAUPT, DER GARTEN!

Früher hat er sich doch nicht die Bohne darum geschert. Und das ist durchaus wörtlich gemeint:

ER SCHLEPPTE MIR AUS DEM SUPERCENTER BOHNEN IM PLASTIKBEUTEL AN.

Die waren zwar als «BIO – AUS UNSERER REGION» deklariert. Aber sie gammelten schon ins Gräuliche.

«KAUF SIE BEIM ITALIENER – DORT SIND SIE FRISCH!», habe ich getobt.

«KAUF DOCH SELBER!» – wie gesagt: sofort eingeschnappt!

Alles kam damals vom Center: eingeschweisste Tranchen von Wassermelonen, deren Geschmack am Durchsichtspapier kleben blieb.

Leichenblasse Endivien in Schalen, über die der durchsichtige Tod gespannt war. Die Gemüse lagen dort, als wären sie auf der Pathologie aus der Kühlschublade gezogen worden.

Über Tomaten wollen wir gar nicht viele Worte verlieren: Es war zum Ball geformtes Wasser.

Wenn ich rummaulte, hob er ab wie eine russische Trägerrakete: «Besorg doch du den Einkauf. Du hast ja nichts zu tun…»

GUT. REDEN WIR MAL DARÜBER:

SCHREIBEN IST BEI VIELEN MENSCHEN «NICHTS TUN!». DAS SIND DANN MOMENTE, WO AUCH ICH ZUR GARTENSCHERE GREIFEN MÖCHTE.

Aber zurück in den Garten.

Es war Gianni, der unser Land auf der Insel rumpflügte. Bis anhin hatte er nur ein bisschen Cannabis für sich und seine Alte angepflanzt. Die beiden pfiffen sich gerne die Ernte rein.

ALS OB SIE OHNE IHREN HASCHKONSUM NICHT SCHON SCHLAFF GENUG GEWESEN WÄREN.

Es war also Gianni, der plötzlich allen Hanf wegspatete und auf Zucchetti umstieg.

TAUSEND JAHRE LANG HABE ICH IHN GELÖCHERT, ER MÖGE MIR DOCH EINEN KLEINEN GEMÜSEGARTEN ANLEGEN.

DIE ANTWORT WAR STETS EIN HÖHNISCHES LACHEN: «Hier wächst nichts!» Und jetzt plötzlich die Sinnesänderung vor dem Weltuntergang – denn Gianni ist Grossvater geworden: «UND MEINE ENKELIN ANDREA SOLL NICHT MIT PESTIZID VERSEUCHTES GEMÜSE BEKOMMEN. UND SCHON GAR NICHTS ABGEPACKTES…»

Ein dreifaches Halleluja auf Andrea!

Dank ihr habe ich jetzt mein Gemüse. Und esse trotzdem ungesund, weil ich es mit Butterbrösel abschmelze.

Gianni kontrolliert wie ein Wachhund, dass auch niemand irgendein chemisches Produkt rumsprayt. Oder mit Kunstdünger Mist anstellt.

So hängen unsere Tomaten also voll von Käfern. Und der Blumenkohl hat mehr Würmer als Rosetten.

ABER DAS IST WOHL DAS, WAS MAN ECHT BIO NENNT. (Und ich frage mich, wie es die Bio-Bauern schaffen, den Wurm fernzuhalten…)

Innocent war mit dem Verlauf der grünen Dinge nicht unzufrieden: Erstens sparte er sich das Benzin für die Fahrt zum Supercenter. Und zweitens stellte Gianni ihm in Aussicht, bald auch Rebstöcke anzupflanzen. Schon sein Vater selig habe Reben gehabt.

DANKE. ICH KANNTE VATER LEO. UND ICH KANNTE DESSEN WEIN.

Immer zu Weihnachten schenkte er uns eine abgefüllte Mineralwasserflasche davon. Selbst der Kopfsalat kräuselte sich, als ich ihn mit Leos Wein «anmachen» wollte.

Aber Innocent träumt jetzt bereits von Rebbergen, die ihm das grosse Glück einschenken: «Stell dir vor – eigene Oliven, ein Stück von Giannis Ziegenkäse… DAZU UNSEREN EIGENEN WEIN!»

Danke. Im nächsten Leben vielleicht. Das Leben jetzt ist auch ohne Giannis Hauswein sauer genug!

ALS INOCENT DANN ABER AUF MEINEN GEBURTSTAG HIN DIE 135 ROSENSTÖCKE EINPFLANZEN LIESS («für jedes gefühlte Jahr mit dir einen Stock!»), WAR ICH DOCH GERÜHRT.

Er hat sich die Rosen seither zu seinem Tagesprogramm gemacht.

WEHE, WENN ICH EINE FÜR DIE VASE ABZWACKEN WILL!

«Lass deine dreckigen Finger davon!» Da hat er wieder diesen galligen Blick des Kopf-ab-Henkers.

OH, GEORGE CLOONEY – WESHALB HAST DU MIR NIE ROSEN GEPFLANZT…

ABER MAN KANN IM LEBEN NICHT ALLES HABEN.

Dienstag, 7. August 2018