Vom Vollmond, Rilke und dem Käuzchen

Illustration: Rebekka Heeb

Nein. Nirgendwo ist der Vollmond voller als über dem Meer. SO RUNDUM VOLL! WUNDERVOLL VOLL.

Die gute alte Milchkugel macht wirklich einen guten Job. Voll geil!

ICH SCHMIEGE MICH AN INNOCENT.

O.k. Mag er nicht. ABER: GAR NICHT. Er mag überhaupt nicht, dass ich Intimes von ihm preisgebe.

Er meint, es sei seine Privatsphäre.

DOCH DAS KRATZT MICH NICHT. DAFÜR KRATZT MICH INNOCENTS PRIVATSPHÄRE AN DER BACKE.

«Du bist nicht rasiert, Schweini!»

Er tut jetzt, als habe er die Hörer abgestellt. Und verstehe nur Blablabla.

«ALTE MÄNNER MIT EINEM WEISSEN KRATZBART SIND WIE ABGELAUFENE POULETSCHENKEL…» Blablabla.

«Du sollst dich nicht nur dann rasieren, wenn Besuch kommt…» Blablabla.

ER STIERT ZUM GLAS, WEIL ES LEER IST.

ICH STIERE ZUM MOND, WEIL ER VOLL IST.

Schweigen. Nur das ständige «wuuuuup … wuuuup … wuuuup» eines Käuzchens.

«HÖRST DU DAS KÄUZCHEN…?» Blablabla.

Jetzt sage ich gar nichts mehr.

ICH SITZE ALLEINE MIT DEM MOND, DEM VOLLEN.

«Hats noch Bier?»

Siehe da: Es spricht aus ihm.

Nun mache i c h aber auf stumm.

Und: blablabla.

«Könntest du mal deinen fetten Hintern bewegen und dem treusten aller Freunde ein Kännchen von Heineken heranschwingen!»

Blablabla.

UND MONDGUCKEN.

«ICH WILL EIN BIER! WAS MACHST DU DA AUF MONDANBETERIN VON MARIASTEIN…?»

Dann kläglich: «Ich kann nicht aufstehen… ich finde meinen Stock nicht mehr…»

Ich weiss, Sie denken jetzt: Das tönt ja so stinkbanal wie bei uns zu Hause auch.

IST VOLL ABSICHT!

Ich möchte Ihnen zeigen, dass eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft (plus/plus) dieselben Hochs und Tiefs im Leben durchschwimmt wie die Partnerschaft der andern Seite (minus/plus).

UNTER DEM VOLLMOND SIND WIR ALLE GLEICH.

ABER HALLO – HAT DA GERADE EINER «BITTE, MEIN PFUNDIBOY, HOL MIR EINE SCHAUMFLASCHE» GESAGT?

Nein. Hat nicht.

Und deshalb bleibt Pfundiboy hocken. Und stiert stumm aufs tintenschwarze Meer, in das der volle Mond jetzt eine Lichtstrasse zaubert.

DIESE ERSTEN NOVEMBERMOMENTE HABEN HIER AUF DER INSEL WIRKLICH ETWAS BERAUSCHENDES: DER ROSMARIN BLÜHT IN DEN AUGENFARBEN DER LIZ TAYLOR. UND DIE ERIKA WUCHERN JETZT AUS DEN STEINHÜGELN. DIES IM VERPISSTEN ROSA EINER AKTIONSMETTWURST.

Man muss in einer Beziehung immer wissen, wann es genug ist. Und jetzt ist es das: GENUG GESCHWIEGEN.

DESHALB: «WILLST DU EIN BIER?!»

«Ach du guter Pfundiboy!»

ERSTAUNLICH. DAS MIT DEM BIER HÖRT ER OHNE OHRENKANALVERSTÄRKUNG.

Ich hole es. Und «Tschhhh» freut sich der Gerstensaft, wenn er aus dem Fläschlein zischen darf.

«»…WUUP …WUUPPP …WUUUP!», sagt das Käuzchen.

Nur der Mond sagt nichts. Er ist voll. Und hat es schwer, die richtigen Worte zu finden.

WIEDER SCHWEIGENDES NEBENEINANDER.

WIEDER DAS NICHT SONDERLICH EROTISCHE KRATZEN EINES 84-JÄHRIGEN UNRASIERTEN WANGENBARTS.

Und dann «brrrrbruuuub» – das Bierbäuerchen blubbert.

Ein fröhlicher Stimmungsaufheller in dieser melancholischen Nacht.

«SORRY», grinst der Graubart. Dann gibt er gleich nochmals Gas: «BRRRBUUUUB!»

DA KÖNNTEN SECHS MONDE AM HIMMEL STEHEN – DIE STIMMUNG IST ZUR SAU!

«Du ungehobelter Rüpel. Ich gehe ins Bett – gute Nacht!», leicht miesesäuerlich schreite ich in Richtung Heia.

ICH WERDE MIR NOCH EIN PAAR REIME VON RILKES DINGLYRIK REINZIEHEN. Mit Rilke schläft es sich wunderbar.

UND DANN: ABRUPTES ERWACHEN!

EXPLOSION!

DIE WÄNDE WACKELN… DER BODEN BEBT… UND DIE KERZEN HÜPFEN WIE KUNSTTURNER IM RÜCKWÄRTSSALTO AUS DEN SCHÖNEN MESSINGSTÖCKEN…

Hunderttausend Inselkatzen jaulen im Terzett. Und ein Gewummer jagt die Nadeln von den Pinien, sodass die am andern Morgen wie frisch geschoren zum Himmel klagen.

Ich jage nach draussen.

Das Geräusch kommt vom Club Allegro.

Dazu muss gesagt werden, dass dieser Privatclub von den vornehmen Römern in den Augustwochen benutzt wird, um gediegen zu speisen. Und untereinander dick anzugeben.

ES IST DIE «VUITTON-HERMÈS-GUCCI»-SHOW BEI FEUERROTEN GRILL-LOBSTERN UND DEM CHECKBUCH VOM SCHWARZKONTO.

Kurz: Kotzkotz!

ZU SO ETWAS GEHEN W I R NICHT! (Ich hätte auch kein passendes Gucci-Täschchen)

Ende Oktober ist dann fertig Show!

Die Römerinnen ziehen sich zu ihrem nächsten Lifting zurück. Und ihre Männer zu den Freundinnen. So haben wir Ruhe. Vollmond. Und diese wunderbare Stille, die nun wie durch ein Kampffeuer im Krieg unterbrochen wird.

RUHE? – JA PIMPELDRECK!

Ich jage zum Club. Befürchte das Schlimmste. Aber da sind nur ein paar Teenies, die ihre Verstärker-Boxen aufstellen. Und mich angrinsen: «Ciao Nonno – wir feiern Party. Ab Mitternacht steigt die Fete. Wirf was ein. Und chille mit…»

Ich bin abgeschlichen.

In meinem Pyjama mit Minnie-Mouse und Pluto war ich nicht unbedingt im autoritären Outfit. ZU HAUSE BEBTEN DIE WÄNDE WIEDER.

Ich schaue in Innocents Schlafzimmer – Schnarchzimmer würde es besser treffen. Er liegt nach fünf zischenden Bierchen in den Kissen. Und rüsselt wild.

OH GLÜCKLICH ALLE DIE, WELCHE DAS OHR ABSTELLEN KÖNNEN!

Im Bett nehm ich wieder Rilke zur Hand. Diesmal die Ode: «Wenns im Zimmer dunkel ist…»

Ist es aber nicht – der Mond lacht mir voll ins Gesicht.

Und so bringt auch der Grossmeister keinen Schlaf. Erst um sechs Uhr morgens, als die Bande mit der Band abzog, legt sich wieder die göttliche Ruhe über die Insel.

Von weit, weit her hört man noch das «wuuup… wuuup… wuuup» des Käuzchens.

Es ist allerdings kein Käuzchen: vielmehr der Tiefkühler, der Alarm gibt. Das merken wir allerdings erst, als die Wildsau bereits aufgetaut vor sich hintränt…

Dienstag, 13. November 2018