Vom Frühtod der Maschinen und dem Waschtag

Illustration: Rebekka Heeb

Annick poltert aus dem Lift. Mit dem Fuss schiebt sie einen Plastikkorb mit Dreckwäsche in den Gang: «Rien ne va plus!».

Annick hätte Croupier werden sollen!

Immer wieder löchert sie uns mit ihrem «Rien ne va plus!».

Sie schaut uns dabei so anklagend an, wie der kleine Spatz heute morgen, als er sehen musste, dass das Futterhäuschen leergefressen war.

TATSÄCHLICH GEHT BEI UNS GAR NICHTS MEHR!

Vor einem Monat hat der Mixer das Zeitliche gesegnet. Es war ein unschöner Tod.

Für ihn.

Und für uns.

Es sollte ein Spinat-Smoothie werden.

Ich bin zwar nicht der Smoothie-Typ. Aber Angela kam zum Mittagessen. Sie ist unser Sonnenschein, wenn auch ein vegetarischer...

Ansonsten hat Angela (sie ist die Kleinste meines Göttibuben Oliver) wunderbare Seiten: sie geht ins Früh-Chinesisch, lernt tirolische Zupfzither und kann den Spagat.

ABER DAS IST NICHT DER KERN DER SACHE. SONDERN DER (?) ODER DAS (?) SMOOTHIE.

Deshalb: «Spinat, Apfel, Nuss – alles in den Kübel muss!»

Mixerschalter auf 5. Und ab gehts.

WENNS DENN GEHEN W Ü R D E!

«Rien ne va plus!» unkt Annick, diese miesmacherige Kuh.

Ich drehe derweil wild am Schalter. Von 0 auf Turbo. Und zurück.

RIEN NE VA PLUS!

«Das darf jetzt aber nicht wahr sein» – erscheint Innocent auf der Plattform.

Seinen Kommentar kann er sich sparen.

Und Annick schaut ihn achselzuckelnd an: «Rien ne va plus!»

«JA HIMMELARSCH – DIE MACHEN DAS DOCH ABSICHTLICH!».

Innocent ist überzeugt, dass Eiskästen, Hörapparat-Batterien und auch Eieruhren so konzipiert werden, dass sie spätestens sechs Minuten nach der Garantie-Zeit den Geist aufgeben.

«…UND FINDE HEUTE MAL EINEN, DER SO ETWAS REPARIERT!», tobte er kürzlich an einer Einladung.

«ALLE WOLLEN NUR NOCH STUDIS IN DER FAMILIE – UND KEINER KANN DEN STAUBSAUGER FLICKEN!».

Die Gastgeber, eine Familie Abächerli (die aber anonym bleiben möchte) – die Abächerlis also haben drei Kinder.

Zwei davon studieren das seltsame Fach der Betriebs-Psychologie. Der Dritte ist «Künstler».

«Künstler» ist immer eine Entschuldigung für ein abgebrochenes Studium. Oder für eine verkackte Karriere.

KÜNSTLER SIND WIR ÜBRIGGEBLIEBENEN.

«…dabei könnten sich Handwerker heute eine goldene Nase verdienen», dozierte Innocent bei den Abächerlis am Zvieri-Tisch.

«WIR LEIDEN AN EINEM SOGENANNTEN AKADEMIKER-PROLETARIAT! Keiner will sich mehr die Hände schmutzig machen. Keiner will Staubsauger-Mechaniker werden. NUR NOCH ABCASHEN! BEINE HOCH – UND MEDITIEREN… JA, IST DOCH WAHR…»

Die Gastgeber hoben seufzend und schwer geprüft die Schultern.

In diesem Moment tauchte einer der angehenden Betriebs-Psychologen am Tisch auf: «Kannst du mir einen Fuffi, Pa?!»

Der Papa schälte bleich einen Fünfziger-Schein aus dem Portemonnaie.

Er sagte nichts.

Aber man spürte seine innere Spannung auch ohne Psychologie-Studium.

Innocent schaute zu mir. AUCH STUMM.

Doch seine Augen sprachen Bände.

ICH BETETE ZUM HIMMEL, ER MÖGE NICHT WIEDER MIT SEINER ODE AN STAUBSAUGER-MECHANIKER ANFANGEN!

Also: der Staubsauger saugt nicht … die Zahnbürste rotiert schon nach dem vierten Tag im Leerlauf… das Elektromesser hat mitten im Braten noch einmal aufgeröchelt. Dann starb es im saftigen Fleisch.

Und der Mixer mit dem Spinat drin war nun auch auf Exit.

MIT EINER HOLZKELLE VERSUCHTE ICH ALLES EIN BISSCHEN ZU VERRÜHREN. GAB NOCHMALS STUFE TURBO.

Leider habe ich den Deckel vergessen. Passiert mir immer wieder.

ABER: Der Mixer geht stets dann, wenn man den Deckel vergisst.

MIXER SIND FROHNATUREN!

Jedenfalls: spinatgrüne Küchenwände. Und leider kein Smoothie.

JETZT ALSO DIE WASCHMASCHINE!

Ich zähle auf zwanzig.

Atme tief durch.

Und rufe den Reparatur-Service an. Die nette Verkäuferin im Geschäft hat mich damals nämlich darauf aufmerksam gemacht, dass ich bei einem Aufpreis von 120 Franken im Jahr immer Service-Garantie habe.

NA, IST DOCH DIE KNETE WERT!

Die Stimme am Notfall-Telefon schmettert aber gleich alle frohen Erwartungen ab: «Es geht mindestens sechs Wochen…»

WIR HABEN GROSSE WÄSCHE, GUTE FRAU!

«Ja – und wir grossen Stress, alter Mann! Suchen Sie sich eine Waschfrau. Und wenn Sie eine gefunden haben, geben Sie mir die Adresse … ich warte auch schon seit Wochen auf den Reparatur-Service!».

TOLL.

Wehmütig denke ich an jene Zeiten zurück, als mein Vater, der Trämmler-Hans, vor dem Frühdienst in der Waschküche den grossen Wasserkessel eingeheizt hat.

Um sieben standen dann Frau Schnebli, die Waschfrau aus Haltingen, und meine Mutter bereits im Wasserdampf.

Natürlich war Waschen damals Grossarbeit. ABER DIE SACHE FUNKTIONIERTE!

KEIN «RIEN NE VA PLUS!».

Gebannt schauten wir Kinder zu, wie die kupferne «Schwingi» zu surren begann, und das Wasser aus den Kissenanzügen rausspuckte.

Die Schwingmaschine hat mich schon immer fasziniert.

Einmal habe ich Dora darin geschwungen.

Dora ging mit mir in die Kleinkinderschule. Sie hatte ein Auge auf den schönen Jungen geworfen. Und schlug das «Doktorspiel» in der Waschküche vor.

SIE WAR SO EIN VERSAUTES LUDER – UND ENTLEDIGTE SICH IHRER KLEIDER: «Du bist der Arzt – und ich die Frau, die ein Kind bekommt!»

MIT SO ETWAS KONNTE ICH SCHON ALS FÜNFJÄHRIGER NICHT UMGEHEN!

In Panik versuchte ich Doras Gelüste abzudämpfen: «Willst du mal Karussell fahren?»

Schon stieg sie kokett und nackig in den Kupferkessel.

LOS GING DIE FAHRT.

Dora schrie Zetermordio.

Meine Mutter fischte sie dann raus. Ihr Blick war entsetzt auf mich gerichtet: «Das kann doch nicht mein Sohn sein…?!»

ES W A R IHR SOHN.

Und er ist dann Künstler geworden…

PS: ALSO – DER MANN VON DER REPARATUR HAT NACH SIEBEN WOCHEN EIN URTEIL GEFÄLLT: «EINE NEUE WASCHMASCHINE KOMMT BILLIGER!»

Dienstag, 12. Februar 2019