Von Hellseherinnen und einem Glückskistchen

Illustration: Rebekka Heeb

Fiona mailt: «DU HAST ES NICHT ERWARTET - ABER JEMAND WILL WIEDER IN DEIN LEBEN KOMMEN!»

Ich jage zur Türe. Dort ist niemand. Nur ein Abholzettel von der Post klebt an der Falle.

Simone warnt mich eine Stunde später: «DU BIST IN GEFAHR - ES WIRD ETWAS PASSIEREN!»

Na gut. Es passiert ja immer etwas. Gestern ist der Staubsauger explodiert. (Man sollte nie Vasenscherben aufhoovern. Das ist jedem Sauger schlecht verträglich.)

Und wenn ich auf die Strasse gehe, lauert auf Schritt und Tritt Gefahr: das nicht Weg geputzte von Lumpi die Nachbarskinder mit Affentempo auf dem Trottinett Frau Gygax mit ihrer sommerlichen Ausdünstung und den dunklen Transpirations-Flecken, die wie geplatzte Fledermäuse unter den Blusenärmeln (Nylon) glänzen.

Immerhin: CORA VERSPRICHT MIR EIN KISTCHEN!

Sie hat es nach drei heftigen Donnerschlägen auf ihrem Fernsehtisch entdeckt. Sie schreibt: «Ach Liebes, die goldene Box trägt Deinen Namen. All Dein Glück steckt darin. Ruf mich eiligst an. Und sage mir, wohin ich dieses WUNDER schicken soll.»

Ich gehe sofort ans Telefon. Wähle die 0901-Nummer. Und gebe in einer Minute Adresse, Stockwerk und Postleitzahl durch. DIE MINUTE KOSTET BEI CORA FR. 2.90 INKL. MEHRWERTSTEUER.

Dafür bekommst du in jedem Möpse-Schuppen ein Freispiel!

Aber ich sage nichts. Auch nicht, dass ich kein «Liebes», sondern ein gestandener Mann bin. Mag sein, dass mein Charisma die Karten verwirrt. Und der Bube bei den Hellseherinnen durch das Dämliche verdrängt wird.

DOCH DIE KERNFRAGE BLEIBT: WIE - UMSHIMMELSWILLEN! - STOPPE ICH DIE STERNE?

Täglich wird für mich die Zukunft in der Glaskugel gelesen, werden Tarockspiele aufgemischt. Und ganze Kaffeesätze geschrieben: «ZÖGERE NICHT - DEINE ZWILLINGSSEELE IST IN DEIN LEBEN GETRETEN. RUF SIE AN!»

Wie gesagt: 2.90 die Minute.

Nur der Himmel weiss, wie ich in den Dunstkreis all dieser Hellseherinnen gelangt bin. WO HABEN DIE MEINE MAIL-ADRESSE HER? Jedenfalls müllen sie meinen Server mit goldigen Versprechungen voll: «Ich sage Dir die Glückszahlen vom Mittwoch voraus - Du hast es verdient!»

Manchmal unken sie auch bissige Drohungen («Der schwarze König sagt mir, Dein Gedärm sei in Aufruhr!»).

Nie mehr werde ich eine Ladung Klopapier über Internet bestellen, wenn das hier das Resultat ist. ODER HACKEN DIE RUSSEN SCHON MAL MEINE MAIL?

Nun bin ich als junger Mann für Wahrsagereien nicht unempfänglich gewesen. Jedem neuen Bekannten habe ich Haare ausgerissen und diese von Frau Naas in Saint-Louis deuten lassen.

Sie liess es nicht bei einem einfachen «Der hat Schuppen» oder «Das ist ein gefärbtes Aschblond» bewenden. Nein. Sie baute eine riesige Oper darum herum. Sah in den haarigen Besitzern «einen reichen Erben, der entflammt ist». Oder auch schlicht: «Dieses Mal ist es der Richtige!» Jedes dritte Mal war es «dieses Mal der Richtige».

Doch dann funkte gewiss wieder eine Arschkarte dazwischen. Und: aus die Maus!

(Den reichen Erben habe ich übrigens selber abgehängt. Er schielte, hatte Mundgeruch und O-Beine. Das kannst du auch mit zehn Millionen nicht wettmachen.)

EINES MUSS MAN DER ALTEN NAAS ALLERDINGS LASSEN: DIE ELSÄSSERIN ORAKELTE OHNE MEHRWERTSTEUER!

Man kam in ihr Stübchen. Es duftete arg nach Moschus und gekochtem Blumenkohl. Fette Miezen strichen um die Beine der Besucher. Und die Orangenplätzchen, die Frau Naas den Kunden offerierte, trugen Katzenhaare wie Frau Müller den Nerz im Winter.

DA WAR ES SELBST FÜR DIE SÜSSESTEN SCHLECK MÄULER EIN LEICHTES, MIT «ICH BIN GERADE AUF DIÄT» ABZUWINKEN.

So. Frau Naas zog dann die matte Kristallkugel zu sich heran, und ihre Äuglein taxierten das Vis-à-vis scharf: «S Gloos? Uder wänners üss de Korte?»

Wenn sie einem nach einer halben Stunde die Zukunft und tausend Warnungen vor all dem Bösen, das unter den falschen Freunden laure, ausgehustet hatte (Frau Naas war eine starke Raucherin), küsste sie die Füsse einer Porzellaneule, die auch gleich als Rauchverzehrer glühte: «S kummt, wie s kummt.»

Nie hätte sie einen Minuten tarif verlangt. Nein. Sie blinzelte verschlagen: «ÄR ZOHLET, WOS ER KENNET. S ISCH JU E GOOB ÜSS EM HIMMEL. UND DUUDERMIT WELL Y KAI GÄLD NET MOCHE!»

Salbte man die rauen Hände jedoch nur mit 5 statt mit 10 Francs, kündigte sie einem beim nächsten Mal die Heirat mit einem gallen hässlichen Weib und den Dünnpfiff an!

Ich habe also meine Erfahrungen mit hellseherisch Fähigen schon früh abgebucht. Dennoch lese ich auch heute noch die Horoskope. Und finde sie unterhaltender als alle Einträge auf Twitter.

Und wenn auf unserer Insel der heilige Bartolomeo mit viel Kerzen, Halleluja und etwa zwanzig Kirmesständchen gefeiert wird - dann gehe ich zu Fatima.

FATIMA IST EIN ETWAS VERBEULTER BLECHAUTOMAT. MAN WIRFT EINEN EURO EIN. LEGT DIE HAND AUF EINE GENAGELTE SCHABLONE. UND SCHON SPUCKT DIR DIE MECHANISCHE FRAU NAAS DES ORIENTS DIE ZUKUNFT ÜBER DRUCKER IN DIE HÄNDE.

Ich meine: Da gehst du ja nicht wegen der Voraussagung. Du gehst, weil es einfach gigantisch ist, dass es diese Blech-Fatima noch gibt.

PS. Das Glückskistchen von Cora kam übrigens per Nachnahme: billiger Kunststoff aus Taiwan. FR. 250 - INKL. MEHRWERTSTEUER.

Es sind jetzt Zahnstocher drin.

Dienstag, 2. Juli 2019