Von Plattfüssen und anderen Plattitüden

Illustration: Rebekka Heeb

Meine Füsse sind platt.

Mein Vater war es auch, als er bei der frohen Verkündung «Es ist ein Junge!», was die ersten Fake News jener Zeit waren, ins Spital eilte.

Als er mich, das liebliche Kind, im Bettchen liegen sah, jaulte er entsetzt: «Wer hat dem Buben Schwimmflossen übergestülpt, Carlotta!?»

Die Mutter reagierte auf Grobheiten, die ihren ersten Wurf betrafen, ziemlich stinkig: «Er hat zwei niedliche, kleine Häxchen, Hans. Die Füsschen sind eventuell zu flach geraten - DAFÜR ZEIGT DER BUB BACKENGRÜBCHEN UND EINE BRUST WIE EINE MASTHENNE!»

Die Brust legte sich. Und die niedlichen Backengrübchen gingen schon bald in all dem Babyspeck unter wie Flöhe im All. Aber die Flundern unterm Schienbein blieben.

Nur meine fromme Kembserweg-Omi konnte mich trösten: «Der Heiland ist auch übers Wasser gelaufen, Kind.»

ICH WAR NICHT DER HEILAND!

Kommt dazu, dass meine Füsse schon sehr früh schmerzten. Besonders, wenn sie in einen Ski- oder Bergschuh gesteckt wurden.

Natürlich reagierte mein stahlharter Vater dann genervt: «Mach kein Theater, Bubi - du bist doch ein starker Mann!»

Diesen Mist von «Es ist ein starker, junger Mann, Herr Hammel!» hatte mir diese Kuh von einer Hebamme eingebrockt. MEIN VATER HATTE IN SEINER WELT NOCH NIE ETWAS VON FAKE NEWS GEHÖRT. UND GLAUBTE, WAS ER WOLLTE. DAS PRÄDESTINIERTE IHN SPÄTER AUCH ZUR POLITISCHEN LAUFBAHN.

Am schlimmsten wars im Ballett. Tante Gertrud hatte das Abonnement im zweiten Rang. So besuchten wir zusammen den «Nussknacker».

Als ich die Schneekönigin und ihre tanzenden Flöckchen im Tutu sah, wusste ich: DAS IST ES - ich will auch Spitze sein.

Bald schon stand ich bei Frau Bajoratis an der Stange. Lernte den Arsch rauszustrecken - und den geraden Spann.

Spann tönt spannender, als es ist. Um es euch ganz einfach zu erklären: Der Mittelfuss hat mit dem Bein in einer einzigen geraden Linie zu stehen. Also drückt man die Flosse hart durch. Wenn man Plattfüsse hat, sieht es allerdings aus, als würden Ruder ins Wasser gelassen.

Nun gut - ich spann den Traum des perfekten Spanns. Und das war für die Füsse so unangenehm wie das Wohl gefühl eines Dackels, den man durch ein Passevite drückt.

MIT 14 WURDE ICH VOM TURNSPORT SUSPENDIERT. UND KAM IN DIE MATERIALAUSGABE. Als Herr Maag, mein Böckli-Gumper-Pauker, die Flossen sah, wurde er bleich. Und rief: «Omeletten - das sind Omeletten!» Schon hatte ich meinen Spottnamen weg: die Flundern-Omelette! Mit diesem Namen war kein Film zu machen.

Nein. Es war überhaupt nicht schön, platte Füsse zu haben.

Meine Ballettkarriere endete als Hausratte der bösen Fee Carabosse. Ich hatte ein Solo von sieben Schritten. Im Seitengang des alten Theaters rief der immer mies gelaunte Inspizient Model: «Raus! Raus! Raus!» Ich nahm meinen dicken Gummischwanz, schwang ihn fröhlich in den Fingern herum und schon verfingen sich die flachen Füsse in den vielen dummen Kabeln. Grosser Knall. Wunderbares Funkenfeuerwerk. Und nirgendwo auch nur noch ein einziges Licht im Saal.

Es war das Ende einer verheissungsvollen Karriere - aber nicht das Ende der Plattfüsse.

Ich musste dann auch das Eiskunstlaufen aufgeben. Dabei war ich in der «Pflicht» (sie machte damals noch 60 Prozent der Gesamtnote aus) unerreichbar. Nur Sjoukje Dijkstra war besser. Diese fliegende Holländerin mit Oberschenkeln wie Ammer gauer Beinschinken kratzte mich in Pflicht und Kür weg. Dabei litt sie an Hallux - aber sie war härter im Nehmen. Ich kam da eher aufs Weicheiige

Immerhin - meine Pflicht figuren wie etwa die rückwärts gelaufene 69 wurden mit Höchstnoten bewertet. Moderator Mägerlein kriegte sich im Schwarzweisssender fast nicht mehr ein. Aber wenn ich nach einem einfachen Toeloop in der Kür dann auf die harte Wirklichkeit zurückkrachte, weinte nicht nur das Eis. Es weinte auch Mägerlein und die ganze Nation - vor allem weinte ich.

«DU BIST DOCH EIN HARTER KERL!», fauchte mein Vater an der Bande. Wie gesagt: Er hatte null Ahnung von gar nichts. Und hätte mich eh lieber im Eishockeyteam gesehen.

ZURÜCK ZU MEINEN FÜSSEN!

Man unterlegte den Füssen gewölbte Sohlen und badete sie in Öl, als ob sie in die Pfanne sollten. Endlich kam ein Fachmann und meinte: Der junge Mann braucht orthopädische Schuhe.

DA ICH SCHON DAMALS EIN ZIEMLICHER STINKER WAR, WARF ICH MICH AUF DEN BODEN. HÄMMERTE AUF DAS KATZENKISTCHEN EIN. UND TOBTE: LASST MEINE FÜSSE, WIE SIE SIND!

Und jetzt haben wir den Salat: Der linke ist zusammen gebrochen. Die arge Fussnote dazu: Ich muss morgen ins Spital. Und mache mir in die Hose.

Innocent gluggert wie eine Henne hinter mir her: «Was willst du mit dieser engen Satin-Schlafhose? Und dann noch violett! Die geben dir ein braunes Nachthemd, und das ist dann hinten offen, damit sie besser dran kommen!»

GUT. SEINE KNIESCHEIBEN WURDEN BIS HEUTE ÖFTER GEWECHSELT ALS SEINE UNTERWÄSCHE. DAS MACHT IHN ZUM EXPERTEN. ABER BEI WEM VON UNS SIND DIE FÜSSE HINTEN?

Ich flehte meinen Medicus Markus an. Und rutschte vor ihm auf den Knien: «Geben Sie Ihr Bestes. Und machen Sie, dass ich nach der OP die High Heels von Dolce & Gabbana aus den 90er-Jahren wieder tragen kann.»

Er wollte nichts versprechen. Aber: «Der Ratten-Auftritt mit den sieben Solo-Schrittchen könnte wieder drin liegen.»

Okay. Das ist eine klare Plattfuss-Plattitüde.

ABER SIE MACHT MICH STARK!

Dienstag, 9. Juli 2019