Vom Grauen des Fliegens und Greta hat recht...

Illustration: Rebekka Heeb

FLIEGEN IST GRAUENVOLL. ABSOLUTER SHIT. UND HEUTE EH VERPÖNT: UMWELTBELASTUNG UND SO.

Ich mache um Flughäfen schon seit langem einen grossen Bogen. Ich kann nicht stundenlang in Warteschlangen stehen. Ich finde es demütigend, wenn ich meine Schuhe ausziehen muss (nur weil ich vernagelt bin und meine Fussschrauben sämtliche Alarme auslösen: ACHTUNG - HIER KOMMT DER HEISSE BOMBER!)

Sie wedeln mich dann mit diesen seltsam piepsenden Apparaten aus der Reihe der Normalen zur Seite.

DU BIST SCHON WIEDER EINE RANDFIGUR. UND JEDER STIERT DICH AN, ALS WÜRDEST DU SOFORT IN DIE LUFT GEHEN.

Dann finde ich es wie alle fast 100-Jährigen dieser Welt noch demütigender, wenn mein Fuss ohne Schuh in Sekundenschnelle so aufgeht wie die Dampfnudeln der Kembserweg-Omi im Gusspfännchen... da kommst du doch nie mehr in die Sandalen zurück!

Ich humple also diskriminiert in Socken zum Gate, das in Leuchtschrift ankündigt, dass der Abflug verspätet ist.

Wir warten, dass man uns digital anzeigt, wann, wo, was passiert. Und die Warterei zu Ende sein dürfte...

WIR WARTEN UMSONST.

Nach zwei Stunden, die ich mangels freien Sitzplatzes ausgestreckt auf einem feucht aufgezogenen Kunststoffboden neben einem Berg von Hand gepäck verbracht habe, blinken endlich sechs Buchstaben bei meinem Flug auf. Es leuchtet dieses Wort, das jeden Flug reisenden in Tränen aus brechen lässt: DELAYED.

Eine Stimme erklärt über einen Lautsprecher: Die Maschine sei noch auf der Anflugstrecke... etwas Ähnliches meine ich zumindest aus diesem Dingdong-Gequatsche herauszu hören. Denn bei Flughafenlautsprechern ist es wie bei den lustigen Dialekt-Nuschlern in der Fernsehkiste: Keine Sau kapiert auch nur ein Wort! ABER HAUPTSACHE: HIP. UND DIALEKT.

Ist ja auch egal.

ES IST DIE UNZUFRIEDENHEIT, WELCHE DIE GESTRANDETEN DIESER WELT AUF EINEM FLUGHAFEN EINIGT.

«Immer dasselbe...», knurrt ein Mann im Businessanzug.

ICH SCHIELE AUF SEIN TICKET. ECONOMY - NUR DER ANZUG IST BUSINESS...

Nach einer gefühlten Stunde passiert gar nichts mehr.

Langsam zerstreuen sich die Menschen um mich herum - diese Menschen, deren Deo sich schneller als ihr Flug auf und davongemacht hat.

Ich würde mich auch gerne davonmachen. ABER WOHIN?

Natürlich weiss auf einem Flughafen nie jemand Bescheid. ICH FRAGE MICH AN ALLEN STELLEN DURCH. UND ALLE STELLEN SCHÜTTELN GENERVT DEN KOPF: «Please have a look at the Information-Desk.»

DORT IST NIEMAND.

Ich frage auch Sicherheitsbeamte, die bis zu den Zähnen mit Maschinen gewehren bewaffnet auf und ab marschieren.

ABER ICH HÄTTE AUCH MIT EINER WANDUHR EINE KONVERSATION STARTEN KÖNNEN: DIE ORDNUNGS-KRIEGER SCHAUEN DURCH DICH DURCH, ALS STÜNDE HINTER DIR DER FEIND, DESSEN RÜBE ES WEGZUKNARREN GILT!

Ich packe jetzt mein Hand gepäck mit dem lustigen, handgrossen Zottelbärchen, das Evchen mir an den Griff angebunden hat.

Dann weine ich.

Endlich kommt ein Seelsorger, der für 12 Religionen und die Gates 12 bis 88 verantwortlich ist. Ich werfe mich an seine Brust: «WO IST MEIN FLUG - ICH SEHE IHN AUF DER ANZEIGETAFEL NICHT MEHR!»

Der psychologisch durch trainierte Mann nimmt meine Hand: «Na, na, na, Opi - das haben wir gleich... schlucken Sie zuerst das da!»

«DAS DA» ist ein herz stärkendes Coramin-Bonbon, dem er gleich noch ein Valium nachschickt.

Der Seelsorger trägt eine dieser Mineralwasserflaschen mit sich, welche die Welt heute bei jeder Gelegenheit ansaugt.

INFORMATIONEN HAT KEINER - MINERALWASSER HABEN SIE ALLE.

Ich trinke einen Schluck des Seelsorgers. Bestimmt haben vor mir schon andere psychisch Durchgerüttelten am selben Flaschenhals gehangen.

BAZILLEN, ANSTECKUNGS GEFAHR, DIE PEST - ALLES EGAL! DU DÜRSTEST IN DIESEM SCHWARZEN LOCH DER INFORMATIONSLOSIGKEIT NACH EINER ANTWORT, NACH EINER MENSCHLICHEN ZUWENDUNG.

Das menschliche Seelenpflaster spricht jetzt in einer Sprache, die wie ein Risi-Bisi aus verschiedenen Zutaten gemixt wird. Er zeigt auf sein Telefon: Dort winkt mir per Facetime irgendein Kind entgegen: «Meine Tochter», strahlt der Psycho-Priester stolz, «sie hat eben die erste Geigenstunde in Mumbai hinter sich!»

Schliesslich gibt er mich an einem Schalter für Obdachlose ab. Hier stehen wieder Menschen Schlange - so wie vor Stunden schon beim Einchecken. Dann an der Zollkontrolle. Und danach vor der Durchleuchtung.

ENDLICH NIMMT JEMAND MEIN TICKET IN DIE FINGER: «IHR FLUG IST VOR ZWEI STUNDEN SCHON ABGE FLOGEN, GUTER MANN! - GEHEN SIE ZU SCHALTER 32 A UND LASSEN SIE SICH AUF MORGEN EIN NEUES BILLETT AUSSTELLEN!»

Ich schleppe mich zum Flug hafenausgang. Der Taxi chauffeur ist ein hilfreicher Türke. Und türkischstämmige Menschen bringen alten Menschen noch grossen Respekt entgegen - er buckelt mein Handgepäck in den Hauseingang.

MEINE DREI GROSSEN KOFFER SIND VERMUTLICH UNTERWEGS NACH SAN FRANCISCO.

Und meine Schuhe habe ich auf dem Flughafen liegen gelassen.

Greta hat recht: Wir sollten nicht fliegen!

Dienstag, 8. Oktober 2019