Von fehlenden Koffern und einem Nacktbad

Illustration: Rebekka Heeb

«Wir warten aufs Gepäck - in zwei Stunden sind wir bei dir.»

DAS IST KITTY. UND KITTY IST EINE MEINER ÄLTESTEN FREUNDINNEN.

Viele würden sie als etwas «herb» bezeichnen. Scheint aber nur so. Im Grunde genommen ist sie weich wie eine reife Pflaume. Sie gibt sich als stählerne Kratzbürste. Kenner aber merken bald: alles nur Theater. Wer sie je mit einem Krokodil schmusen sah, weiss: «Die Bürste hat ein Herz aus Gold!»

Und jetzt also: «...schlachte schon mal die Sau!»

Ein- oder zweimal jährlich besucht Kitty mich auf der Insel - so wie sie auch ihren Lieblingselefanten im Zolli besucht.

Als Gast ist sie anspruchslos «Ein Schluck Wasser, etwas altes Brot reicht mir total.» Das sind keine Worthülsen. Kitty hat gute Zähne. Und deshalb kann ich ihr die Fladen von vorgestern aufstellen, ohne dass sie gleich die Krise baut. Sie geht darüber weg wie eine Kreissäge. Und spült mit Tee nach. Die Roy-Bush-Beutel bringt sie selber mit.

Dem Besuch geht stets die SMS voran: «Was brauchst du?» Ich könnte jetzt schreiben: ein neues Diadem drei Barren Gold oder sechs Briefchen Koks. Sie würde nicht mit der Wimper zucken. Aber mit Kitty macht man keine dummen Spässchen. Man läuft Gefahr, dass sie ihre eigene Bank überfällt, nur um dir deine Wünsche zu erfüllen.

Deshalb jage ich eine SMS über das Meer retour: «Bringe vier Brotmesser... zwei Tranchiermesser... und ein halbes Dutzend scharfer Rüsterchen! In Italien bekommt man gute Messer nur mit Beziehungen zur Mafia... der Rest kommt aus China. Und die taugen kaum zum Bananenscheibeln.»

«O.k.», gibt sie die knappe Antwort retour. Denn Kitty spart auch bei der SMS.

Jetzt ruft sie wieder an. Und das wundert mich. Denn - wie erwähnt - Sparsamkeit ist eine ihrer Tugenden: «JETZT HALTE DICH FEST: DAS GEPÄCK AUS ZÜRICH IST NICHT ANGEKOMMEN!» Packend ist das nicht. Aber für ein Basler Herz auch nichts Neues. Jeder weiss: Das Pack bleibt in Zürich.

SOLCHE DUMMEN WITZCHEN STECHEN BEI KITTY NATÜRLICH NICHT. Ihr Ton ist frostig wie der erste Wintermorgen: «Hast du Ersatzunterhosen für uns? Babsi ist bei mir. Und Pietro. Sie sagen, dass sie das Gepäck zuverlässig innert 48 Stunden nachschicken werden.»

Ich bekomme einen Lachanfall: «Zuverlässig? Eher bekommt Herr Wessels von seiner Partei goldene Tramschienen zugesprochen als du deine Unterhose vor dem Rückflug. Heute ist Freitag. Da sind in Italien alle auf der Überholspur ins Wochenende. Am Montag schlafen sie dann richtig aus - und bis Mittwoch geht gar nichts.»

Kitty bellt scharf: «Babsi will im Meer schwimmen. Es ist ihr Traum. Das Badekleid steckt im Koffer - es ist ein Einteiler. Nachtschwarz. Lass dir gefälligst etwas einfallen!»

Ich bin nicht nur Koch, Hotelier, Gemüserüster (mit ebendiesen beschissenen chinesischen Plastikmesserchen), Gärtner und Bettenmacher - NEIN. JETZT BIN ICH AUCH NOCH EINKÄUFER FÜR SCHWARZE DAMEN-EINTEILER!

Die Gäste kamen dann ziemlich erledigt auf der Insel an. Ich hatte für Pietro Ersatzunter hosen bereitgelegt. Zweimal in der Farbe grüner Limetten, zweimal «Oleander». Er wurde bleich. Und erklärte: «Danke. Ich kehre meine bei Bedarf einfach um.»

Kitty schnappte sich Innocents Garten-Overall und schnitt die Unterbeine ab.

Schwierigkeiten bereitete nur das Badekostüm für Babsi - ich hatte natürlich verdrängt, dass ihr Busen gewaltig ist. Typischer Tuckenneid!

Beim mohnroten Ersatz-Einteiler, den unsere Putzperle Linda murrend ausgeliehen hatte, machten sich die zwei bescheidenen Körbchen vis-à-vis von Babsis gewaltiger Tatsache wie zwei glühende Eierbecher aus.

ALSO NICHTS WIE IN DEN HAFENORT! Denn natürlich wollten wir Babsi glücklich machen.

Aber kaufen Sie knapp einen Monat vor der Geburt des Herrn in Italien ein Badekleid. Da bastelt doch schon alles an der Krippe herum.

«Wir spulen ab Ende Oktober auf Wollsocken und Kunststoffpelzjacken um», knurrte Laura aus der einzigen Mode-Boutique am Hafen. Fragen Sie in der Gärtnerei - die haben jetzt Olivennetze für die Ernte...»

Babsi weinte. Also ging ich mit ihr an den Strand von Feniglia. Dort war kein Mensch.

«TAUCH NACKIG REIN - ICH KEHRE MICH UM!»

Natürlich ziert sie sich. Sie stammt aus einer protestantischen Lehrerfamilie - aber der Wunsch war grösser als die Scham.

Ich höre sie jubelnd in den Wogen spritzen. Dann höre ich ein Polizeiauto. Es gibt nicht viel zu sagen. Nur: «Die Koffer sind nicht angekommen!»

DIE POLIZISTEN NAHMEN DANN DREI AUGEN VOLL. PROTOKOLLIERTEN MIT DER HANDY-KAMERA. UND LIESSEN UNS LAUFEN.

Zu Hause wartete Kitty mit beiden Fäusten in die Hüften gestemmt: «Wo seid ihr Pfeifen gewesen?! Das Gepäck samt Badeanzug wurde geliefert. Nur die Messer haben die Flughafenbeamten rausgenommen!»

Ich ziehe den Hut vor der italienischen Zuverlässigkeit.

Und schnetzle Bananen weiterhin auf Chinesisch.

Dienstag, 12. November 2019