Von der geschlachteten Lara und nie mehr Sau!

Illustration: Rebekka Heeb

Innocent gurgelte vor dem Lavabo den Rachen durch.

Es gibt keinen Grund, so laut zu gurgeln. Aber nach jeder Zahnfegerei kippt er sich einen Schluck von diesem starken Dentalhygiene-Likör rein. Er schickt die giftgrüne Flüssigkeit runter bis zum Zäpfchen.

DANN GEHT DAS KONZERT LOS - ER GURGELT SICH DURCH SÄMTLICHE TON LEITERN. DER GROSSE VORTEIL: WIR HABEN KEINE MÄUSE MEHR! Der Nachteil: die Nachbarn denken, wir würden einen Dackel quälen.

Fröhlich tupft er sich nun den Mund ab - auf dem weissen Frotteetuch bleiben grünliche Flecken zurück. Kein Mensch hat bis heute kapiert, weshalb die Zahnwasserindustrie ihre Säfte einfärben muss.

Nun also: «Die Steblers laden wieder zur Sau ein!»

OH NEIN. OH NEIN. OH NEIN.

Ich mag die Steblers. Aber ich mag ihre Sau nicht. Einer der unzähligen regionalen Spitzenköche zerteilt das arme Tier in tausend Häppchen. Er verwurstet die Leiche zu schweine mässigen Häppchen. Und macht ein Festessen daraus: GOURMET-METZGETE!

Mit Metzgete kann mich jeder jagen. Auch wenn die Gastgeberin flötet: «Die Leberwürstchen sind kaum grösser als deine Wurstfingerchen!»

DAS MAG SEIN - ABER AUCH HUNDERT WURSTFINGERCHEN GEBEN EINE TOTE SAU! SEIT LARA WEGEN MIR STERBEN MUSSTE, IST ES BEI MIR MIT JEGLICHER SCHWEINEREI VORBEI. AUS. FERTIG. PASSÉ!

Das mit Lara war ein starker Hammer. Ich selber habe sie auf die Schlachtbank geführt.

NIE WERDE ICH IHR SCHRILLES QUIEKEN VERGESSEN. Nie mehr sollten mir ihre himmelblauen Äuglein, die mir in Panik entgegenstierten, aus dem Kopf gehen. Als mir dann auch noch Laras rosige Öhrchen in einer Suppe serviert wurden, bin ich über dem Schinken zusammengebrochen.

DA WAR AUS MIT SAU!

Enzo hatte mich auf die Geschichte scharf gemacht. Enzo ist ein lieber Freund. Und hat mir in meinen noch welligen Tagen blonde Mèches ins schüttere Haar gezogen. Ich sah aus wie ein geföhnter Hermelin. Aber die Mode fand damals so etwas genauso chic wie heute eine tätowierte Ratte am Hintern.

Enzo also: «Wenn du einmal eine richtige Fressstory auf die Platte bringen willst, komm mit in mein Heimatdorf nach Kalabrien. DORT GEHT DIE SAU AB!

Ich vermute stark, dass Enzo in jenem düsteren Bergdorf hinter Reggio Calabria meine Biografie etwas geschönt und aus dem einstigen Trämlerbalg einen Paradeplatz-Banker gemacht hat. JEDENFALLS: EINE MANDOLINENGRUPPE SPIELTE ZUM EMPFANG. FRAUEN BEHÄNGTEN MICH MIT ROSMARINKRÄNZEN. DAS NETTESTE VON ALLEM WAREN DIE MÄNNER VOM ORT, WELCHE DEN BANKER, DER KEINER WAR, HEISS UMARMTEN. UND IHM SAUMÄSSIGES INS OHR FLÜSTERTEN - ETWA: «Wie eröffne ich ein Schwarzkonto in Zug...?» ODER: «...Wie hoch ist der Ertragszins auf 50000 Schweinebacken!?»

Der Dorfälteste war nicht nur Dirigent des Mandolinenvereins und Kirchenvorsteher von Nordkalabrien - er war auch Enzos ältester Bruder. Und erklärte mir (wieder feste Umarmung), es sei ihm eine Ehre, für so einen hohen Gast ein Schwein anzustechen. Lara sei die beste Sau von allen...

Giuseppe hatte Arme, dick wie ein Eber und haarig wie ein Schaf. Er hievte mich auf sein Motorrad. Hinter dem Motorrad holperte ein Anhänger, der Lara zur Schlacht bringen sollte.

Ich verliebe mich nicht so schnell in jede Sau - aber Lara war wirklich die Schönste. Sie hatte Lippen wie Miss Piggy, wenn sie Kermit küsst. Und sie grunzte zufrieden an ihrem Fresstrog, als der Kirchenvorsteher das Seil um sie warf.

DANN ABER GING PUNKTO QUIEKEREI DIE SAU AB.

Der fromme Kirchenmann fackelte nicht lange. Er jagte Lara einen Bolzen ins Gehirn. Sie wankte. Fiel zu Boden. Und ich hing heulend über diesem rostigen Motorrad, das die tote Sau hinten und das heulende Weichei vorne ins Dorf zurücktransportierte.

Der Mandolinenverein spielte fröhliche Weisen, während Frauen blecherne Bottiche und Schüsseln herbeischleppten. Schon wurde Lara an einen Haken gehängt. Mit einem Messer schlitzte man sie von oben bis unten auf. Sammelte das Blut in den Bottichen. Und schabte die Eingeweide heraus.

MEHR WOLLT IHR GAR NICHT WISSEN!

In der Gemeindehalle des Dorfes wurde Lara am andern Abend frisch gewurstet, kotelettisiert und als dampfender Schinken serviert. Der Schweinehals, das Delikatessenstück aus Kalabriens Gourmetküche, wurde mit einer feinen Schnur gebunden. Und in tausend Gewürzsamen gedreht. Dann kam er als Capocollo in den Rauch-Himmel. Und dazu erneut Mandolinen. Und das laute «Evviva Lara!» der Dorfmänner, die nach jedem Schluck Grappa dem falschen Bankier aus Helvetien noch Schweinigeres ins helvetische Ohr schmatzten.

Ihr versteht nun alle, dass ich seit jenem Moment einer Metzgete nichts mehr ab gewinnen kann.

Ich höre jede Blutwurst quieken. Und das Kotelett stiert mich mit hellblauen Panik- Augen über den Dörrbohnen an.

«Ich habe Grippe - entschuldige mich bei den Steblers...», sage ich zu Innocent.

«Du hattest schon das vorletzte Mal Grippe. Und letztes Mal einen Umlauf am Finger... DA MUSST DU JETZT EINFACH DURCH!»

Irmgard Stebler umarmte mich, als ich ihr die obligaten drei Baccara-Rosen überreichte: «Schön dass es endlich einmal klappt - Innocent hat mir gesagt, du würdest keine Sau essen!»

DIESER VERRÄTER!

Die Gastgeberin lächelte mir zu: «Ich habe für dich ein Käsefondue zubereiten lassen...»

WENN ICH ETWAS BEI ALLER SAU NICHT AUSSTEHEN KANN: DANN KÄSEFONDUE.

Okay. Ich bin eine Zicke!

ABER IMMERHIN HABEN FÜR DIESE ZICKE DIE MANDOLINEN GESPIELT!

Dienstag, 26. November 2019