Von Bauern mit harten Köpfen und Mimosen...

Illustration: Rebekka Heeb

Gianni war dagegen.

Er hat einen Kopf hart wie eine Nuss. Und wenn ich das mal so sagen darf: Es besteht null Unterschied zwischen einem Nusskopf eines Bauern aus Adelboden. Und dem Nusskopf eines Bauern hier auf der Insel.

DER GEMEINSAME NENNER IST DER ZUBETONIERTE BETONSCHÄDEL.

Wenn ich in Adelboden einen Holunderbusch pflanzen will, schüttelt Albert, den sie «Bärti» nennen, den verrunzelten Schädel: «Das geiht ummi net!»

Natürlich geht es! Ich hole mir den Busch aus der Gärtnerei. Innocent pflanzt ihn ein. Vier Monate später ist das Bäumchen schon hinüber: Seine Blätter fallen von den Ästen wie der Feinstaub von den Raketen.

Bärti steht triumphierend daneben: «Ig haas gseijt...»

Zweiter versuch. Zweites höhnisches Grinsen von Bärti: «S bringt de gar nüüt...»

Nach dem fünften Mal geben wir auf. Und kaufen die Holunderkonfitüre am Basar der Heilsarmee.

Mit dem Mimosenbaum auf der Insel war es ähnlich. Mimosen sind neben Margeriten, Pfingstrosen und Mohn meine Lieblingsblumen.

Meine Mutter hasste sie. Ihr Duft bereitete ihr Migräne. Und die Kembserweg-Omi kommentierte auf meine Frage, was Migräne denn sei: «Migränen sind Kopfschmerzen - auch wenn man gar keine hat!»

So kamen meine Lieblings blumen nie ins Haus. Für mich aber bedeuteten sie: Vorfreude auf die Fasnachtstage... ein Gruss vom Waggiswagen... fast schon eine Trophäe... UND NATÜRLICH: EIN BISSCHEN FRÜHLING.

Aber k e i n Frühling für mich daheim! Nein. Statt Mimosenzweige standen bei uns auf der Fensterbank bunte Gläser mit einem weiten Rand. Unter Zauberhütchen sprossen zögernd aus auberginefarbigen Zwiebeln zarte kleine Blümchen in Rosa, Himmelblau oder Weiss. Sie verströmten ein gellend süssliches Parfüm - hier bellte die Mutter nicht. Im Gegenteil. Sie brachte mir bei: «DAS IST DER WAHRE FRÜHLINGSZAUBER, MEIN SCHATZ! Hyazinthen sind die Magie unter den Blumen. Sie blühen ohne Sonne unter dem glitzernden Mantel der Blumenfee...»

Ich meine: Mit so einem Kitsch bin ich gross geworden. JA WUNDERT IHR EUCH NOCH?!

Der süssliche Duft war schon okay - aber ich hätte dennoch lieber Mimosen gehabt.

Zweite Blume im Haus: die Baccara-Rosen. Sie standen - ob Frühling oder Herbst - immer in einer schlanken Kristallvase auf der Besteckkommode.

So hektisch die Beziehung zwischen meinen Eltern auch war: Vater liess es sich nie nehmen, seine Gattin an einem Samstag mit sieben blutroten Baccara-Knallern zu beglücken.

ES WAR EIN RITUAL.

Als ich mit etwa 12 Jahren meckerte, es sei total ungerecht, dass es auf Mutter rote Rosen regnen würde und der Sohn mit einem Mickey-Mouse-Heftchen vertröstet werde, gab sich der Erzeuger einen Ruck - und brachte dem schönen Buben das ersehnte Mimosenzweiglein.

Ich musste das Ästchen auf die Terrasse stellen. Ihr wisst schon: Migräne! Und immer wenn ich daran riechen wollte, fror ich mir auf dem Balkon den Hintern schwarz.

Als wir vor über 20 Jahren damit begannen, auch die Wintertage auf der Insel zu geniessen, entdeckte ich die Büsche zum ersten Mal: Wo sonst nur Olivenblätter silbrig im Wind zitterten, funkelte es jetzt plötzlich auch goldgelb. Mimosenbäume wachsen hier wild. Im Dezember tragen sie Kügelchen - hart und winzig wie Stecknadelköpfchen.

Doch bereits nach Neujahr wechseln sie die Farbe. Es ist, als würde die Sonne in den Bäumen aufgehen - man ahnt das Gelb, die Wärme, die flaumige Blüte. Vor allem: Die harten Köpfchen werden dann plötzlich sanfter, weicher. Etwas, das den Insel- wie auch Adelbodenbauern nie passieren kann. UND DESHALB SIND WIR JETZT WIEDER AM ANFANG DIESER GESCHICHTE.

Denn schon seit über 20 Jahren prügle ich auf Gianni: «Pflanze uns drei Mimosenbäume!»

Er (mit sturem Kopfschütteln): «Geht nicht. Die kommen nur wild...»

Wie gesagt: Betongrind.

Es war dann Lorenzo, der mir den Traum erfüllte. Lorenzo ist unser Idraulico. Als der Klempner wieder einmal den Ablauf auseinandernehmen musste, sang ich ihm mein Leid-Lied der Mimosen. Drei Stunden später schleppte er mehrere Büsche an. Einer zeigte schon Blüten.

Gianni grinste höhnisch: «Non va - die kommen nie!»

Lorenzo warf ihm schon einen drohenden Blick zu: «Wehe, wenn du mit der Giftspritze kommst...»

Denn Gianni hatte auch schon meine wunderbaren Aprikosenbäume und das Beet mit den heiss ersehnten Erdbeeren ins Jenseits gespritzt.

DIES IMMER MIT DER ERKLÄRUNG: «QUI NON VA!»

ABER STETS MIT DEM EINZIGEN GRUND: ZU VIEL ARBEIT!

Da Lorenzo gut drei Äste länger ist als Gianni und dazu noch einen riesigen Boxerhund als ständigen Lebensgefährten herumführt, war die Sache klar: Gianni duckte sich.

Die Mimosenbäume gedeihen. Und jetzt weht mir Ende Januar auf der Insel die Fasnachtsvorfreude in Gold entgegen.

«Ein paar Mimosenäste nehmen wir mit nach Basel...», erkläre ich Innocent.

Er: «Der süssliche Duft macht mir Migräne!»

Immerhin - ein mieses Ästlein hat er dann erlaubt. Und setzte sich mit einer Nasenklammer auf den Beifahrersitz.

In Basel angekommen, waren die zarten, flauschigen Blüten zu senffarbigen knallharten Bauernköpfchen erstarrt. Das Glück lässt sich nicht transportieren.

Oder eben: «Non va!»

(Dieses Mal kommt der Spruch nicht vom Gärtner. Sondern von mir.)

Dienstag, 28. Januar 2020