Von «alten Tanten» und dem falschen Knackarsch ...

Illustration: Rebekka Heeb

Reden wir von alten Tanten.

NEIN - FÜR EINMAL NICHT ÜBER DEN DICKEN SCHREIBER.

ES GEHT UM DAS ORIGINAL.

UND UM DIE URFASSUNG.

Zurzeit stehen alte Tanten in der Warteschlange.

Ihre Köpfe mit den spitzen Nasen und dem süffisanten Lächeln warten in den Ateliers abholbereit auf den Larven tischen.

Die Nähmaschinen rattern bei den Schneiderinnen auf geregt an den Allerwertesten dieser Altweiber herum. Denn der Allerwerteste ist falsch. Ein aufgebauschter Fake - grade als ob Herr Trump es genäht hätte.

Man nennt die Fälschung entsprechend «faux cul». Oder auch «Cul de Paris». Und hätte der alte Trämler-Hammel selig auf seine unsensible Art hineingezwickt, wäre er auf Watte gestossen.

Die «faux culs» - um in die heutige Zeit zurückzurudern - sind heute der harten Realität gewichen: Sie heissen jetzt Knackarsch. Der wattierte Fake wurde seit den Fitnessstudios zur satten Wirklichkeit. Er ist das Resultat von vielen tausend Trimmstunden, Aufbau-Pulvern und im ärgsten Fall: einem Pfund Silikon.

Knackärsche sind keine ex klusiv weiblichen Attribute. Sie sind auch bei Männern erstrebenswert (wie immer der/die/Leser/in so etwas ausdeuten mag).

Zurück zur alten Tante im Original.

Die Basler Fasnachtsfigur - sie ist neben dem Waggis die beliebteste - geht in ihrem Charakter auf die ledige Tante zurück. Jede Basler Familie hat so etwas in der Runde. Und man bittet «s Danti» dann wohl oder übel an den Weihnachtsbaum (auch wenn alle wissen, dass bei ihr nichts zu holen und ihr kleines Vermögen bereits testamentarisch dem der Basler Mission überschrieben ist).

S Danti war schon früher das zarte Übel jeder Familie - ein Hauch bigott. Spitzzüngig. Und immer mit einem Fläschchen Melissengeist bewaffnet, dessen hochprozentige Tropfen sie auf Würfelzucker verteilte. Und sich somit auf ihre eigene Art in die überirdischen Sphären dopte.

Die ledige Tante stand abseits vom weltlichen Geschehen. Aus Pietät hat man sie dennoch auch am Muttertag zum Tisch gerufen. Es gibt nämlich keinen Tanten-Tag, worüber sich das Diskriminierungsbüro Gedanken machen sollte.

Um doch noch ein paar Takte persönlich zu werden: In unserer Familie hiess s Danti nur «s Finni» (eigentlich Josefine). S Finni war die ledige Cousine meiner Omama und wurde herumgereicht wie ein datamässig abgelaufenes Fischstäbchen. Man konnte das arme Ding nirgends für immer entsorgen. Wenn wir an der Reihe waren, ihr Geburtstagsessen auszurichten, machte sich Vater aus dem Staub. Und dem Buben wurden die Benimmregeln ein gekämpft: «...frag nicht wieder, wie sie ihre Haare so violett hinkriegt!»

S Danti war für mich auf dieselbe geheimnisvolle Art exotisch wie der Papagei von Frau Gygax auf dem Nebenboden: etwas bizarr mit den knopfgrossen starrwachen Augen, dem nasalen Geplapper und den Krallenfüssen - vor allem wusste man nie, wann die Kreatur zubiss.

Als Geschenk für das liebe Kind packte s Finni dann eine Rolle Pfefferminz aus ihrer schwarzen Lacktasche. Die milchfarbigen Bonbons hatten die Form von Fieberpillen. Und Pfefferminzgeschmack war jetzt wirklich nicht unsres - wir waren schon damals der coole Typ des Cola-Frosch.

Ich weiss nicht, ob meine geschäftstüchtige Mutter ihre Grosstante nicht doch mit einem Funken Hoffnung auf das Testament hin abfütterte (Nüüdeli und Rahmschnitzel). Jedenfalls hat s Danti sein Hab und Gut dann nicht der Basler Mission vermacht - sondern Herrn Hägeli, ihrem langjährigen Zimmerherrn, «für frohe Stunden», wie sie im Testament schrieb. Mit diesen drei Worten liess sie ein weites Feld an Spekulationen offen.

TANTEN SIND STETS EIN MYSTERIUM - sowie Wetterprognosen oder das Rätsel, weshalb mein Zitronensoufflé immer zusammensackt.

Die verschiedenen «alte Dantene», die uns in drei Wochen überfluten werden, tragen keine Pfefferminzrollen sondern chinesische Mini- Bärchen, zuckerfreie Zitronenkaramellen und hin und wieder ein Veilchensträusschen mit sich.

Sie verstauen alles in etwas, das man «Ridicule» nennt und das im angehenden 18. Jahrhundert bereits bekannt war: ein kleiner Beutel mit Zugband- Verschluss.

(Man nannte diese Dinger auch «Pompadours», obwohl die Pompadour nie so etwas gesehen geschweige denn mit sich getragen hat.)

Ganz klar - für mich war die alte Tante das Lieblingskostüm an einer Fasnacht.

Ist es auch heute noch. Das Original.

ABER WIR ALLE WISSEN, DASS MAN SICH NIE SELBER AUSSPIELEN SOLLTE.

Also wird es wohl wieder ein Waggis werden...

Dienstag, 11. Februar 2020