Von «Gluggern» und Schokolade an Kindergeburtstagen

Illustration: Rebekka Heeb

Wenn ich als Dreikäsehoch etwas nicht mochte, dann: KINDERGEBURTSTAG! Nein. Das war jetzt ganz und gar nicht mein Ding. «Willst du nicht deine Freunde einladen?» Mutter schaute mich etwas verwundert von der Seite an. WOLLTE ICH NICHT. Sie assen dann meine Schokolade auf und wollten bei «Mensch ärgere Dich nicht» immer gewinnen. Diesbezüglich war ich schon Kummer mit der Kembserweg-Omi gewohnt. Sie war die Güte in Person - aber beim Spielen kannte sie kein Erbarmen. Sie war knallhart wie ein Guerilla-Kämpfer. Und sie schummelte wie der Teufel beim Einkauf der guten Seelen. Wenn sie trotzdem verlor (weil auch WIR schummelten!), konnte es passieren, dass sie das Spielbrett auf den Boden donnerte. So hatten die meisten Figürchen Schrammen und marschierten den Parcours «geköpft» ab.

Beim Kindergeburtstag war es ähnlich. Es wurde getrickst, betrogen, getürkt - Karl war der Schlimmste. Er schielte arg, und so wusste man nie, wem er gerade in die Schwarz-Peter-Karten schaute. Später hat man seine Augen korrigiert, aber Karl schummelte eisern weiter. Er trickste jetzt in höheren Sphären. Schrieb bei den anderen ab. Und kam so durch die Matur, während die Gescheiteren «hocken» blieben. MUSS ICH MEHR SAGEN? Muss ich nicht.

Deshalb: kein Kindergeburtstag - es war den Aufwand nicht wert. Und schon gar nicht die Schokolade, die ich aus meinem Fundus spendieren musste. Die Tafel - meistens die rot-weisse Frigor - wurde fünfmal in Papier gewickelt und mit Paketschnur zusammengebunden. Würfelte man eine sechs, musste der Glückliche mit Messer und Gabel das Paket öffnen. Ich war nicht der Sechser-Typ. Die Chance, dass ich je zu einem winzigen Stück meiner eigenen Schokolade kam, war somit sehr gering. DESHALB: WAS SOLLTE DAS?!

An den ersten Frühlingstagen machte ich die Alten madig: «Ich will auf die Anlage!» Das Oekolampad-Pärkli lag vor der Haustüre. Es war noch nicht so wunderbar architektonisch gestylt wie heute, sondern ganz simpel: ein Rasen für Fussballspieler (das ging mir allerdings am Arsch vorbei). Eine Kletterstange. Und eine braune Wippe, die man in meiner Stadt «Gygampfi» nannte. Auf den hölzernen Bänkchen sassen strickend die Frauen vom Quartier. Sie klapperten mit ihren metallenen Nadeln und hechelten die Frisuren der Nachbarinnen durch. Wir Binggis aber übten auf der Kletterstange den Feldaufzug. Oder schaukelten auf der «Rytty».

Zu den Mutproben gehörte es, aufrecht auf der obersten Stange des Kletterturms zu stehen. Aber Mutproben lagen mir noch weniger als das «Schokoladenspiel». Einmal schimpften mich die anderen einen «Hösi», bis ich unter dem Gruppendruck nachgab. Ich kraxelte die Stange rauf. Und versuchte ganz oben, die Balance zu halten.

AUSGERECHNET ALS ICH AUFRECHT STAND, DONNERTE MIT LAUTEM GEBIMMEL MEIN VATER IM SECHSER-TRAM VORBEI! Er bimmelte immer, wenn er seinen grünen Schlitten an unserem Haus vorbeifuhr. Der arme Bub kam aus dem Gleichgewicht und donnerte zwischen den Eisenstäben auf die harte Wirklichkeit der Erde zurück.

Herr Bohrer, unser Familien-Zahnarzt, hielt es nicht für nötig, die halbierte Schaufel zu flicken: «Ist ja nur ein Milchzahn - in zwei Jahren kommt der richtige.» Ich sah aus wie im Horrorfilm das grosse Übel - aber wen kümmerte schon die geschundene Seele eines sensiblen Buben. Damals gab es noch kein Sorgentelefon für Kinder.

Ausserhalb der Anlage, am Trottoir zur Strasse, hatte es Dolen. Ihre kunstvollen Deckel und das Mittelloch wurden zu unserem Spielfeld. Die Strassen-Dolen waren die Star-Wars-Spiele von damals. Wir spielten mit Marmeln. Aber bei uns hiess das «Glugger». Oder «Bötsch». In den Handarbeitsstunden häkelten, nähten und strickten die Mädchen sogenannte «Gluggerseggli». Ich hätte auch gerne gehäkelt. Doch die Buben hatten sich mit Holz auseinanderzusetzen. Ich sass in einer Ecke und schmollte. Hobeln lag mir nicht. Das mit «Holz» kam erst später.

Die beliebtesten «Gluggern» jener Zeit waren die «Glaasi» - also Glasmarmeln, in deren Inneren sich ein magisches Band zur Spirale drehte. Mit «Ainerli letscht» wurde zum Spiel gerufen. «Letscht» bedeutete, dass man als letzter die Marmel spielen würde. Stundenlang haben wir damals vor der Dole in Hocke-Stellung verbracht und versucht, den «Glugger» ins Loch zu bringen. Auch punkto «ins Loch hineinstreicheln» war Silberblick-Karl unschlagbar. Er hamsterte alle unsere Bötsch ein. Und tauschte sie gegen Cola-Frösche, Caramel-Muh oder «Fünfer-Bölle» wieder zurück. Zwanzig Jahre später wurde er CEO einer Bank. Wen wunderts?

An alle diese Dinge muss ich denken, wenn ich jetzt die verwaiste Oek-Anlage anschaue - den gemütlichen Pavillon, der leer steht, die riesigen Fels steine, die keiner beklettern will. OK. DIE DOLENLÖCHER WAREN SCHON VOR DEM VIRUS VERWAIST!

Höchste Zeit, dass bald bessere Tage kommen. Auch wieder Kindergeburtstage - von mir aus sogar mit Schokoladenspiel.

Dienstag, 28. April 2020