Von dem Lächeln in den Krankenhäusern und Vanille-Eis

Illustration: Rebekka Heeb

Nein. Spitäler sind jetzt nicht unbedingt mein Halleluja. Klar. Keiner mag Spitalbesuche. Ich muss präzisieren, dass meine Erfahrungen in den Spitälern immer super waren. Ich glaube, dem Patienten geht es stets besser als seinen Besuchern: Er wird rundum «gebibääbelet». Der Besucher aber steht ratlos am Krankenbett. Weiss nichts zu sagen. Und ärgert sich über den mitgebrachten Blumenstrauss. Drei stehen nämlich schon auf dem kleinen Tischchen herum. Alle mit lustigen Karten - etwa einem grinsenden Frosch, der die Augen verdreht und eine Flasche Wein neben sich stehen hat: «ZEHN TAGE WAR DER PAPI KRANK, JETZT SÄUFT ER WIEDER - GOTT SEI DANK.»

Es gibt nichts Ärgeres als diese Sprüche auf den Gute-Besserung-Karten. So auch: «ICH SCHENKE DIR DIE ROSE, ROT, DENN SCHWARZ IST IMMER NUR DER TOD» Und: «HALTE FEST DIE OHREN STEIF, NOCH BIST FÜRS JENSEITS DU NICHT REIF». Da kannst du ja gleich in die Grube hüpfen Ich meine - da ist es weitaus besser, statt der Nelken und eines saudummen Spruchs dem bald Genesenen ein Geschenkpaket mit nützlichen Mundmasken in die Hände zu drücken. Man kann so etwas immer noch mit einem launischen Zweizeiler aufpeppen: «STEHT DER SENSEMANN AM BETT: ZWEI METER ABSTAND WÄREN NETT». Na bitte - geht doch!

Meine ersten eigenen Spitalerfahrungen gehen auf das dritte Lebensjahr zurück. Damals kursierte Scharlach in der Stadt. Und wer Scharlach hatte, musste in die Quarantäne. Ich hatte. Und musste. Meine Erinnerungen an jene Momente im Kinderspital sind allerdings schwach. Ich weiss nur, dass ich von einer Schwester betreut wurde, die wir duzen und «Lyseli» nennen durften. Sie setzte mich jeweils in meinem abgeschotteten Krankenzimmer ans geschlossene Fenster. Auf der Strasse - drei Stockwerke tiefer - heulten sich Tante, Mutter und Oma die Taschentücher nass. Und winkten.

«Du musst ihnen zurückwinken», befahl Schwester Lyseli. «Bekomme ich dann ein Geschenk?», fragte ich. Als sie mich endlich abholen durften, musste ich zuerst wieder laufen lernen. Zu Hause hatte Vater eine Eisenbahn aufgestellt, die man aufziehen konnte. Und die eine Acht fuhr. ICH MEINE: D A F Ü R HÄTTE ICH NICHT WINKEN MÜSSEN!

Dann kamen die Mandeln dran. Heute fragen sie mich immer wieder: «Haben Sie die Mandeln draussen. Oder wurden sie nur geschält?»

Wie soll ich das wissen? Man hat mir den Unterschied nicht erklärt und auch keinen Kartoffelschäler gezeigt. Mit Versprechungen waren sie jedoch ganz gross: «Wenn du brav bist, bekommst du nach der Operation drei Kugeln Vanilleglace.» ABER HALLO - DAS WAR DOCH SCHON WAS!

Man stülpte mir ein übel nach Äther stinkendes Sennenkäppi auf die Nase. Noch heute sehe ich die Spirale, die plötzlich anfing, sich zu drehen. Als die Kreise endlich stoppten und ich die Augen öffnete, quäkte ich: «Wo ist die Glace?» DIESE SCHLEIMER BRACHTEN MIR TATSÄCHLICH EINE MIESE VANILLECREME. VON EISKUGELN KEINE SPUR! Ich habe ihnen vor Wut die Bettdecke vollgekotzt.

Irgendwie ist man als Patient stets behütet. Umsorgt. Gehätschelt. Heute, wo die Hotellerie der Spitäler fast schon zum Fünfsterngaudi wird, schauen dich die Besucher leicht säuerlich an: «Und das bezahlen wir alles mit unseren Prämien.» Da musst du hurtig den Serviceknopf drücken und ihnen einen doppelten Espresso bringen lassen. Auf dem Tellerchen wippt eine Praline - DAS LÄSST SIE DANN TOTAL AUS DEN STIEFELN KIPPEN!

Auch die Schwestern, das Putzteam, die gute Fee, welche dir die Flasche leert - alles lächelnde Engel, die ich während meiner zahlreichen Krankenhausbesuche nie miesepetrig gesehen hätte. Immer freundlich. Immer zuvorkommend. Und selbst Innocent, der sie mit seinen Extrastänkereien («Könnt ihr nicht ordentlich die Kissen ausschütteln?») alle zur Weissglut getrieben hat, gab bei seinem Abgang ein Couvert mit zwei Franken («Für das freundliche Personal») ab.

DESHALB DARF ICH AN DIESER STELLE MIT IHM UND DER GANZEN WELT EBENFALLS IN APPLAUS AUSBRECHEN. Und die Frage riskieren: WESHALB SIND DIE ALLE SO MIES BEZAHLT?! Da muss sich etwas ändern - und zwar subito!

Natürlich bekommen wir ihr Lächeln geschenkt - aber die harte Plackerei daneben gehört anständig honoriert. IHR SUPERGESCHEITEN REGIERUNGSHIRNI - GEHT MAL ÜBER DIE BÜCHER! Sonst servieren wir euch bei der nächsten Mandeloperation auch Vanillecreme. Statt der versprochenen Eiskugeln...

Dienstag, 30. Juni 2020