Von hohem Fieber, Hysterie und dem Corona-Test

Illustration: Rebekka Heeb

NATÜRLICH SIND WIR JETZT ALLE EIN BISSCHEN HYSTERISCH. Ach, wem sage ich das! Wir leben mit dem Fiebermesser im Mund. Und wenn jemand auf der Strasse hustet, hüpfen wir entsetzt auf die Seite. Es kann dann schon passieren, dass uns ein Auto rammt - aber immerhin sind wir dann ohne Virus im Jenseits angelangt.

So weit. So schwarz. Natürlich würde ich meinen guten alten Innocent am liebsten unter einer Käseglocke durch den Alltag führen. ER IST JA SO ETWAS VON UNVORSICHTIG. Manchmal erinnert er mich wirklich an jene jungen Hunde, die bei jedem Hosenbein wedeln, gestreichelt werden wollen und so die Flöhe verteilen.

Deshalb darf er mir nicht ohne Maulkorb aus dem Haus! Gut. Hier ist es eine Stoffmaske, die uns seine liebe Base «Annekä thi» aus einem alten Stoff von Gartenmöbel-Schutzhüllen geschneidert hat. Und wenn da auch etwas verblasste Sommervögel (man darf bei Innocent nicht Schmetterlinge sagen, sonst macht er gleich die Birne) - also: wenn Innocent mit diesem Altstoff vor dem Mund auch immer wie eine ausgeblühte Sommerwiese aussieht: ES SCHÜTZT IHN EBEN DOCH!

Aber was tut der Hallodri, kaum dass er von der Leine ist: Er reisst sich das Zeug runter. Und bellt die Velofahrer an, die auf dem Trottoir an ihm vorbeisurren. DA BAUT ER DOCH IMMER GLEICH DIE KRISE. Er hört sie nicht kommen. Und plötzlich zischen sie haarscharf an seinem Allerwertesten vorbei - ABER HALLO! Jetzt jagt sein Puls auf diese Höhenfrequenzen, die sonst nur noch die Möpse der ausgeschämten Salzburgerin... ach ihr wisst schon... verursachen können.

Zurück zum Hallodri. Da liegt er eines Tages auf seiner Couch (natürlich hat er die Schuhe an, obwohl ich ihm das strikt verbiete) - also; er schnarcht ins Kissen, und mich überkommt diese Rührung, die vor 50 Jahren noch von Testosteron dirigiert war und heute von inniger Liebe und Besorgtheit gesteuert wird.

Ich lege mich also zu ihm (nicht ohne vorher die Schuhe von seinen Füssen geschält zu haben). Ich streichle seinen silbernen Wuschelkopf dann knuddle ich ein bisschen an ihm herum. UND OH LEUTE - ES IST, ALS WÜRDE ICH EINEN KANONENOFEN MIT ZWÖLF GLIMMENDEN EIERKOHLEN STREICHELN. Innocent glüht. Erwacht. Und schaut mich strafend an: «Hat man nie seine Ruhe?» Dann keucht er: «...im Übrigen habe ich Probleme mit der Lunge. Jeder Atemzug schmerzt wie tausend Messerstiche...» ALARM! ALARM! ALARM! Ich schleppe ihn ins Auto und zittere wie tausend Pappeln: «WIR GEHEN SOFORT ZUM ARZT!»

Nein - ich sage nicht: «Das kommt davon!» Obwohl es natürlich davon kommen könnte... ich meine: Allen schüttelt er die Hände wie in der lustigen Militärrunde... lässt kein Küsschen-Küsschen aus (obwohl die Frauen sich entsetzt davonmachen, als strecke der bucklige Glöckner von Notre-Dame die Hände nach ihnen aus), und natürlich wissen wir, dass man mindestens 90-mal am Tag die Hände waschen sollte. UND WAS TUT DER HERR? - ER MECKERT, DIES SEI NUR GESCHÄFTEMACHEREI DER SEIFENINDUSTRIE WIE DAMALS, ALS NEUN VON ZEHN FILMSTARS SICH MIT «LUX» DAS GESICHT GEWASCHEN HABEN. O.k. Ich schweige. Und rufe Marianne, meine Haustreue an: «Wo ist der nächste Arzt?»

Sie überlegt. In Adelboden überlegen sie immer ziemlich lange, bevor sie antworten. Und wenn sie dann antworten, dann immer mit einer Gegenfrage: «Isch es es Chindsbett... oder isch es Beybruch?» - «ES IST INNOCENT. MIT FIEBER UND KEUCHER!» «Gib em doch es Schnäpsi!» Ich hänge auf. Und jage zur Dorfpolizei: «Ich muss meinen Freund sofort unter suchen lassen...» «NET SO GSCHPRÄNGT, GUETS MANNLI!» - sagt der Beamte und sucht auf dem Computer das Affenschwänzchen (@). «Ihr müesst zem Kchöönig», flüstert eine Frau, die eine Busse bezahlen sollte.

Zehn Minuten später sitze ich mit tausend finstern Gedanken im Wartezimmer(«Wo hat er das Testament versteckt? hätten wir vorher nicht noch die Unterhosen wechseln sollen... ich muss denen unbedingt sagen, dass er keine Tomaten essen darf!»). Gütige Empfangsfrauen servieren mir Espresso und Wasser. Dann heule ich los. Denn ich höre Innocents Stimme: «Wenn Sie mal am Chuenisbärgli sind, heben wir einen, Herr Doktor.»

Jetzt steht er vor mir - mein guter Innocent, abgeglüht. Und abgebrüht. «Der Herr Doktor hat gesagt, es sei vermutlich eine ganz starke Erkältung. Er hat mir diese Pillen gegeben - ich fühle mich schon ganz wohl, morgen mailt er mir den Corona-Befund.»

Zu Hause hatte er schon keine Hitze mehr. Temperatur: 36,3. Und selbst die Lunge hatte die Pfeiferei abgestellt. «DU REAGIERST EINFACH IMMER HYSTERISCH...» - das musste er doch noch loswerden. Dann aber legten ihn die Antibiotika flach. «Ich lege mich aufs Sofa», sagte er noch.

Er lag bis am nächsten Mittag. Und auch noch, als die Mail kam: «TEST NEGATIV!»Ich wischte mir die Tränen weg. Und bellte zur Couch: «ZIEH WENIGSTENS DIE SCHUHE AUS!»

Dienstag, 14. Juli 2020