Von den Eiern aus Karlsbad und zwei Kisten Sliwowitz

Illustration: Rebekka Heeb

Nicht dass Mutter mit mir auf Ostern diese Eier gefärbt hätte. Basteleien waren nicht ihr Ding. Sie versteckte auch keine Hasen. Als Geschäftsfrau legte sie mir am Ostersonntag ein kleines Nötchen unter den Frühstücksteller: «Spar das Geld!»

Natürlich verpulverte ich die Pinke am Kiosk für Colafrösche und Tikki-Brausepulver. Ich schäumte zwei Wochen. Dann war wieder Trockenzeit.

Zurück zum Ei. Die Mamma, sonst jedem Kitsch abhold und nüchtern wie ein Darm vor der Spiegelung, begann sich plötzlich für Eier zu interessieren. Schuld hatte Trudy, die intime Freundin meines Vaters.

WOLLTE MAN TRUDY EINE FREUDE MACHEN, LEGTE MAN IHR EIN EI. Dieses hatte aufwendig geritzt zu sein. Oder es musste mit Applikationen aus Spitze und Glassteinchen vollgedonnert sein, als müsste das Ei zum Wiener Opernball.

Angestachelt von ihrer Konkurrentin, überkam auch Mutter das Eierfieber. Nur mussten ihre Eier prächtiger, aufwendiger und noch verrückter sein. So besuchten die beiden Frauen gemeinsam die Eiermärkte der Region. SIE HEIZTEN EINANDER ZUM EIERTANZ ZÜNFTIG EIN!

Erst als Mutter das Eisenbahnzimmer meines Vaters für ihre Sammlung in Beschlag nehmen wollte, drohte Vater für immer auszuziehen: «JA, IST DAS HIER ENTENHAUSEN?»

Schliesslich kam die Idee mit Prag auf den Tisch. Prager Eier waren die kostbarsten! Eines Morgens lag ein Flugticket neben meinem Frühstücksteller. Dazu ein Visum. Es war die Zeit des Eisernen Vorhangs. Mutter warf alle gut gemeinten Ratschläge ihres Alten über Bord: «Da kannst du nicht hin - Prag ist rote Zone!» «ACH JA? - Und was tut der Herr jedes Jahr dort?»

Vater hüstelte etwas verlegen: «Das ist Politik! Und etwas ganz anderes.»

Das «ganz andere» hiess Eliska. Und wohnte gleich hinter der Karlsbrücke. Als Grund für die Prager Reisen wurden stets «Genossenbesuche bei unseren lieben Parteifreunden» angegeben. Viele Basler Genossen haben es so genossen. Die Intourist-Dame, die uns dann auf dem Flughafen empfing, hiess Olga. Sie schaute spöttisch auf Mutters Pelzmantel. Und die grosse Hermes-Tasche: «So jagen sie die Eierpreise aber gewaltig in die Höhe, Genossin.»

Mutter überhörte es elegant: «Mein Sohn ist Schreiber. Er muss über die Schönheit eurer Bräuche berichten. Bringen Sie uns nach Karlsbad. Dort eiern die Finger am geschicktesten... und um Eier geht es hier!» Dann sehr bestimmt in ihrer kapitalistischen Art: «WIR SUCHEN DIE BESTEN KÜNSTLERINNEN - SIE SOLLEN EIERN, WAS SIE KÖNNEN!» «Karlsbad ist morgen, heute ist Prag. So will es das Programm der kommunistischen Führung», sagte Frau Olga bestimmt. So lernte ich eine düstere, dunkle Stadt kennen, deren Fröhlichstes vermutlich die blonde Eliska war. Die hinter der Karlsbrücke wohnte.

Heute ist Prag eine prächtige Theaterkulisse für Touristenströme (so sie denn wieder strömen dürfen) - bunt, mit grell aufgemotzten Jugendstil-Häusern. Und vielen fröhlichen Bierbeizen. Damals jedoch hatte die Stadt den Charme eines verrussten Schornsteins.

In Karlsbad brachte uns die Intourist-Organisation in einem riesigen Kasten unter. Das Hotel hiess Pupp - der Jugendstil schneite Gipsflocken von der Decke. Und die prächtigen Glasscheiben waren mit kommunistischer Propaganda überklebt.

In einem riesigen Saal warteten alte Frauen an langen Tischen auf die Schweizer Eierdelegation. Sie hatten ihre Kunstwerke auf Stroh ausgebreitet - ES WAREN DIE SCHÖNSTEN OSTEREIER, DIE ICH JE GESEHEN HATTE. Mutter atmete dreimal durch. Dann ging sie mit ihrem charmantesten Lächeln von Frau zu Frau. Feilschte um jedes Ei. Und gewann den Respekt der Künstlerinnen, als sie zwei Harassen Sliwowitz und Wassergläser kommen liess.

Abends hockten wir mutterseelenallein in dem riesigen Speisesaal. Ganz vorne gab es einen Samtvorhang. Verstaubt. Aber im Ausmass einer Landepiste. Sie servierten Gänsekeulen und längliche Knödel, die wie Brotscheiben geschnitten waren.

PLÖTZLICH ÖFFNETE SICH DER BLUTROTE VORHANG. Sein Staub benebelte den Saal. Auf der riesigen Bühne sass ein 60-Leute-Orchester. Und spielte für uns die sowjetische Hymne. «Immerhin», nickte Mutter anerkennend. Und erhob sich vor ihrem Glas mit Sliwowitz.

Frau Olga brachte uns am folgenden Tag mit sieben Eierkisten zum Flughafen von Prag zurück. Natürlich war Mutters grosse Hermes-Tasche zu klein. Aber vor dem Flughafengebäude wartete eine blonde Frau mit zwei alten, leeren Koffern. Sie half Mutter, die Eier darin einzubetten. Mutter umarmte sie. Dann schälte sie sich aus dem Pelz. Und schenkte ihn samt Tasche der blonden Schönen: «Danke, Eliska.»

Zu Hause musste Vater das Eisenbahnzimmer total ausräumen. Er wollte laut protestieren, da lächelte ihm Mutter zu: «Eliska lässt dich grüssen.» Er überliess ihr wortlos sein Territorium. Politisch war die Gattin ihrem Mann stets ein paar Eier voraus...

Illustration: Rebekka Heeb

Dienstag, 30. März 2021