Von Patisserie und umweltfreundlicher Entsorgung

Illustration: Rebekka Heeb

Unsre Kindheit war süss. ABER HUNDERT PRO! Und zwar: p r o Zucker. Den künstlichen Süssstoff hatte man im Krieg zurückgelassen.

Nach einer Zeit, in der die Erdbeerkonfitüre geschmacklich auch als Wagenschmiere durchgegangen wäre, wurde das Leben endlich wieder süss wie ein Heiligenbildchen. Die Frauen in unserer Familie zuckerten wild drauflos. Leider ist das Kind dann in jenem Zucker kleben geblieben.

Bis heute.

All diejenigen, die mir wegen des geschriebenen Honigs den Pfeffer an den Arsch wünschen, toben: «Ja spinnst du denn - Zucker kommt gleich nach Rauchen!» Gut. Ich r a u c h e auch. Gutfreunde toben: «Da kannst du ja direkt ab in die Kapelle!»

Sie schütten sich dann mit Alk zu. Und doppeln mit einem Blättchen LSD nach. Ich sage NULL. Und meckere NICHT. Denn eines ist erwiesen: Zucker macht den Menschen sanft. Und weniger kriegerisch. Ich möchte Herrn Putin nicht zu nahe treten: Aber er ist auch einer dieser Ungesüssten, die nur pfeffern: Er ist der asketisch-sportliche eingemachte Saure-Gurken-Typ. Wladimir kennt die Pistache-Erdbeer-Bombe nicht. Nur die andere. Und die ist weitaus gefährlicher als vier Löffel Zucker im Tee.

WILL DA IMMER NOCH EINER BEHAUPTEN, ZUCKER MACHE KRANK? Nein, ihr Dummerchen. Krank ist unsere Welt, der es an zuckrigen Momenten mangelt. UND ICH WILL KEINE WELT, DIE MIR DEN MAGEN ZUSAMMENZIEHT WIE DREI SCHLUCK ALPENBITTER. Ich bin der Cremeschnitten-Typ. Und so rosa schnittig soll auch meine Welt sein.

SO. Nun bin ich wieder mal total vom Thema weggeeiert. Dabei habe ich hier bereits 1598 Buchstaben verschleudert. Und nur 5000 zugut. Ich schreibe konstant über meine Verhältnisse - das sagt jedenfalls der verantwortliche Redaktor. Er ist Veganer auf Kunststoffbasis. Und demonstriert an den Samstagen für eine bessere Welt.

Das Thema also ist Patisserie. Schon das französische Wort mit dem rahmigen Dächlein auf dem â lässt Wonniges ahnen. Es schmilzt auf der Zunge. Vibriert am Gaumen. Und hat ganz andere Qualitäten als etwa das Verbum Ecstasy, das an Kopfschmerzmittel oder Pastillen gegen schlechten Atem erinnert.

Ein Sonntag in den 1950er-Jahren wäre ohne Patisserie so unmöglich gewesen wie eine Technoparty ohne Koks im Jetzt. Nach dem Mittagessen (meistens Rahmschnitzel und Nudeln) warf der liebe Vater einen Fünfliber in die Luft: «Und jetzt ab zu Schneiderhan - ich will die Schokorolle und das Japonais.»

Es war schon ganz grosses Sonntagsfeeling, dass der gute Papa mit uns am Tisch sass. Als Tramführer war er nämlich nur jeden siebten Sonntag daheim. Sonst auf den Schienen. «Überstunden!», jammerte er stets. Und wenn er doch jeden zweiten Sonntag freihatte, so hat er uns dies bis zu seiner Pensionierung verschwiegen. Er fuhr an jenen Sonntagen nämlich auf die Schienen seiner Freundinnen ab. Das war die andere Art der Überstunden. Und zu Hause gab es keine «Därtli». Sondern einen Kugelhopf.

Die Auswahl, mit der Bäckermeister Schneiderhan die Frommen nach dem Kirchgang zum Schaufenster lockte, liess jeden sündigen. Es war das Paradies auf silbernen Platten - und das Paradies wurde schon damals in zwei Kategorien geteilt: eines für die Reichen - das andere für die armen Schlucker. Die weniger Bemittelten mussten sich mit «Trocken-Stiggli» wie Vanillebretzel, Nussstängel oder Spitzbuben begnügen. Die kosteten zehn Centimes das Stück. Deshalb nannte man sie auch «Zähner-Stiggli».

Für die paradiesische Oberliga, die Rahm-Därtli, verlangte Frau Schneiderhan das Dreifache. Sie bot aber Göttliches fürs Geld: zarte Ofenkiechli, cremig gefüllte Marzipankartoffeln, Rahmrollen und Diplomats. Letztere waren eine mit kandierten Früchtewürfelchen angereicherte Creme patissier in Papierförmchen.

ABER HALLO! P A P I E R! CAPITO...? Keine dieser heutigen Kunststoff-Panzer-Hüllen, welche dicke Wurstfingerchen nie aufbrechen können. NEIN. Der Diplomaten-Traum steckte in gefälteltem Papier, das wir so gründlich abgeleckt haben, dass es keinen ökologischen Fussabdruck hinterliess.

Wenn Frau Schneiderhan einen guten Tag hatte, zupfte sie mit der Patisserie-Zange drei «Därtli» heraus. Es war meistens Abfallware mit angedätschtem Rahmtupfer... heruntergekullerten kandierten Kirschen... oder angerissener Cremeschnitten-Glasur: «Etwas Süsses, Hanspeterli - du hast es in deiner Familie auch nicht einfach!»

So getröstet, setzte ich mich dann auf die Bank in der Oekolampad-Anlage. Und entsorgte alle Abfallware der Schneiderhans umweltfroh auf meine Art.

Wie gesagt: eine süsse, zuckrige Zeit. DOCH DANN HAT UNS DER TEUFEL DIESER ZEIT GESUNDHEITSAPOSTEL UND VERBOTS-POLITIKER INS SPIEL GEMISCHELT. Seither: vegane Banane.

Illustration: Rebekka Heeb

Montag, 4. April 2022