Von Odermatt und der alten Bank...

Illustration: Rebekka Heeb

Sonnenuntergang. Wir sitzen auf der alten Bank. IRGENDWIE IST ES SCHÖN, IN DIESEN CHAOTISCHEN ZEITEN NOCH EINE STABILE BANK ZU HABEN.

Liesel hat das Möbel vor gefühlten tausend Jahren auf die Insel transportieren lassen. So ratterte das adlige Salzburg mit seinem hölzernen Geschenk bei uns in der Wildnis an.

«Das ist ein Billigmodell aus dem Ikea-Katalog...», gab ich gleich mal mein Gift ab. Mein Ein und Alles ging sofort auf Schleimtour: «Ach Lieselchen, du weisst doch immer, was uns Buben fehlt!»

Das Salzburger Busenstück kicherte heiser, sodass es einem bei diesem Melonengehopse unter dem satten Mieder schwindlig werden konnte: «Jo mai - ihr zwaa Hallodris. Da draufi können wir drei gemütlich olt werden...»

Daraufhin habe ich schon mal den Arsencocktail gemixt.

Okay. Die Jahre, die Sonne, der Wind - all dies hat an der Bank genagt. Und auch an uns.

Liesel verlässt seit Jahren ihre Salzburger Salons nicht mehr. Sie welkt vor sich hin - wie eine vergessene Zimmerpflanze im Altenheim.

«Wir sollten wieder mal das Lieselchen besuchen», sagt Innocent jetzt auf der alten Bank. Und schaut zum Sonnenuntergang. «Geht nicht - sie ist hinter der Schnurr...» - (ich tippe an die Stirn). «Aha», nickt Innocent. Eine Minute später: «Wir sollten wieder mal das Lieselchen besuchen...» DIESMAL SAGE ICH NICHTS. UND TIPPE NUR. «Aha», sagt er.

Er sagt immer «aha». Und beginnt jeden sonnigen Tag auf unserer Bank mit dem Satz: «Wir sollten das Lieselchen besuchen...» Wie gesagt: Die Zeit! Sie nagt.

Odermatt schleicht sich gähnend heran. Odermatt ist unser Kater. Er hat seinen Namen von jenem denkwürdigen Renntag in Adelboden, als Marco den Riesenslalom gewann. Wir hatten gebannt vor der Satellitenbüchse gehockt. Und als im Ziel unter dem Chuenisbärgli sämtliche Bierbüchsen knallten und jeder dem andern trotz Corona in die Arme fiel: Just da kam dieser Kater bei uns angemauzt.

«Wer bist DU denn?», strahlten Innocents Augen.

«ODERMATT... ODERMATT!», schrie es aus dem Fernseher. «Ist das Odermatt?», fragte mein verwirrtes Vis-à-Vis erstaunt. «Ja - das ist Odermatt!»

Seither hat der Kater bei uns freie Kost und Logis.

Früher besuchten uns unzählige Wildkatzen. Mitten in der Pampa, wo die Miniaturtiger einst Ratten zerfleischten und aus Hühnern Kebab machten, kochte ich für alle mauzenden Miezen Nudeln an Hack. So etwas miaute sich bald herum. Also konnten wir uns über Gästemangel nie beklagen. Die Beiz war rammelvoll mit rammliger Kundschaft.

DANN HABEN SIE DEN KATERN DIE KUGELN UND UNS DIE FREUDE GENOMMEN. KASTRATION! SCHNIPPSCHNAPP! O ARGE MIEZENWELT!

Wo nachts das lyrische Gejaule vor der Paarung mindestens so unter die Haut ging wie die Intromusik des «Tatort», da war es jetzt unheimlich still.

Also sassen wir die letzten zehn Jahre allein auf der Bank. Und sehnten uns nach den Rammelliedern der Katzen.

Aber jetzt der grosse Moment: ODERMATT! ER IST EINER, DER SICH UND SEINE KUGELN RETTEN KONNTE! Wir waren genauso aus dem Häuschen wie die Fans in Adelboden. Schon haute ich Hack in die Pfanne - und Herr Odermatt liess sich nicht lange bitten.

Allerdings - der Kater war so unnahbar wie ein Diktator. Jeder intimere Annäherungsversuch unsererseits wurde abgebuckelt.

Innocent wollte den Kater mit Sardellen ins Haus locken. Er legte die Fischlein Stück für Stück aus. Das Haus stank noch Wochen wie ein Altenpuff. Und wofür das Theater? ALLES FÜR DIE KATZ!

«ICH MÖCHTE ODERMATT EINMAL STREICHELN... E I N M A L NUR!» - jammert jetzt Innocent. Er singt mir dieses Liebeslied jeden Tag. «Die Katzen wollen nur eines von den Menschen: DAS FRESSEN!» - so rede ich Klartext. Aber: «Odermatt issss lieb...», lockt Innocent ihn mit Bussss-busss-busss-Rufen zur Bank. Dann ein Jauchzer: «SCHAU NUR - ER LÄCHELT MIR ZU!»

Der Kater tut nur so nett, weil ich aufstehe. Und ihm das Fressen herrichte. Dumm ist Odermatt nicht. ER WEISS SICH ZU VERKAUFEN.

Später komme ich zur Bank zurück. Innocent schaut übers Meer, das am Horizont silbern der Sonne nachweint. Er nimmt meinen Arm: «WAS KOMMT DANACH?» - er zeigt auf das stille Wasser, das sich ins Unendliche verliert. «Weiss nicht - Spanien... Amerika... dann...» Er winkt unwillig ab: «Aber danach...? Danach?» Ich nehme seine Hand: «WIR WISSEN ALLE NICHT, WAS DANACH KOMMT...»

Ich sehe ihn an. Seine Augen sind rot: «Es ist gut, dass wir die Bank haben... und einander.» Dann leise: «Wir sollten wieder mal Lieselchen besuchen...» Ich kraule sein dichtes, weisses Haar: «Ja - du hast recht. Das sollten wir...»

IN DIESEM MOMENT TAUCHT ODERMATT AUF. Er streicht mit seinem Kopf um Innocents Hosenbein. Und lässt sich von ihm streicheln.«Ja wer bist du denn?» - flüstert Innocent.

Langsam laufen wir zurück.

Odermatt tänzelt neben uns her. Vor der Tür stockt der Kater. Dann schmust er noch einmal um Innocents Hosenbeine.

Und lässt uns beide allein ins Haus hineingehen...

Illustration: Rebekka Heeb

Montag, 13. Juni 2022