Von den Skitagen in Adelboden und wies zur Hütte kam

Donnerstag Adelboden rüscht sich auf, wie die Hure vor dem Strich.
Ich meine: überall Fahnen. Überall Glühwein. Und überall das Lied vom Vogellysi.
Dazwischen dann ein paar Skifahrer, die Autogramme ausschütten wie die Novartis Dividenden. Und natürlich: die dazu passenden Fans. Sie haben ihre Gesichter angestrichen, als hätte uns Halloween doch nochmals eingeholt und es ginge zu Harry Potters Polterabend.
NA JA? JEDEM DAS SEINE UND MIR KEINEN NEID! Aber das muss ich ja nun wirklich nicht haben.
Innocent lag mir schon seit Nikolaus in den Ohren: «Dieses Jahr gehen wir zum Weltcup. Deine liebe Mamma hat doch sicherlich nicht diese Hütte auf den Kuonisbergli-Parcours gestellt, um dann nicht zu profitieren?»
«LASS DIE MAMMA AUS DEM SPIEL!»
Innocent ist noch immer sauer, weil wir unser Chalet mit dem Auto erreichen können. BEI MARIELI AUF DEM RIGI ABER IST PUNKTO VIERRADMÜHLE SENSE! Ich meine, da kannst du nur den Gaul besteigen. Und buckelst dann die 30 Büchsen Hero-Ravioli 389 Steinstufen ins Stübchen hoch. NA, DANKE. Da hat aber Innocents Mammi keine gute Idee gehabt?
Deshalb «Lass MEINE Mammi aus dem Spiel. Die hat noch strategisch geschickt kalkuliert?» Hat sie wirklich. Vor 50 Jahren schon wars schier ein Ding der Unmöglichkeit, in Adelboden einem Bauern Land abzuluchsen. Die Mammi aber hat das Ding gedreht. Bei Oeschter Gopfriedlis Jaköbli ging sie im Stall auf die Knie, streichelte die Hinterbeine einer Emmentaler Milchkuh und brach in Tränen aus: «Ach, ihr Bauern wisst doch gar nicht, wie schön ihr es habt? diese Idylle, diese Stille. Nicht wie das Ameisengewusel in der Stadt? und dann noch die segenvolle Bauernpartei. Ein Labsal fürs Gemüt. Was würde ich dafür geben, wenn ich ein Stücklein Land hier mein Eigen nennen könnte?»
Der Jaköbli reagierte hellhörig wie Guschtis Dackel auf der Jagd: «WIE VIEL?»
Die Mammi bekam verschleierte Augen (sie könnte auf Zack hin losheulen? ein Trick, den ihr schönstes Kind später adaptiert und zur Perfektion ausgefeilt hat).
Sie kniete also schluchzend im Mist und sniefte: «Ach Köbi? so etwas kann man doch nicht mit schnödem Mammon bezahlen?» Natürlich war die Mammi damals noch im knackigsten Alter. Und der Jaköbli hatte ja immer nur seine Kühe um sich herum und auch mal andere Bedürfnisse. Als sie dann aber noch das mit der Partei brachte, weil sie haargenau wusste, dass der Bauer auf der SVP-Liste für die kommenden Gemeindewahlen stand, da hat er die Mammi aus dem Mist hochgezogen: «Ehhh, Lotti? muesch doch nüd briege? isch halt gäbig hie? was wottisch de ussgeh?»
Nun war das Ausgeben nicht unbedingt Mutters stärkste Seite. Da kam sie ganz auf Innocent raus. Sie schaute dem Jaköbli tief in die Augen: «Nun ja, ein Gläslein von meiner köstlichen Quittenkonfitüre pro Quadratmeter darfs schon kosten?»
Nun klopfte ihr der Göpfi heiter lachend auf den Allerwertesten, so wie er seine Kühe auf die Weide antrieb: «Weisch, Lotti, blööd isch das Mannevouch z Adubode de öbbe ned?»
Na ja? sie trafen sich dann bei einem Mittelpreis von Quittenkonfitürenglas und Mercedes-Benz. Tatsache ist, dass wir nun 50 Jahre später mitten auf der Kuonisbergli-Piste vor dem Haus stehen und von Schweizer Fahne schwingenden sowie Bier saufenden Gröhlemeiers umgeben sind. Unser Garten wird zur Müllhalde von Sprite-Flaschen, Ketchup-verschmierten Kartontellern und zerknüllten Glühwein-Pappbechern. Hin und wieder finden wir sogar ein Fondueset samt Gabeln? Neapels Müllhalden sind ein aufgeräumter Operationssaal dagegen.
«Da hast dus!», tose ich zu Innocent. «Jeder Chalet-Besitzer in Adelboden meidet die Januar-Tage dieses Weltcups. Grund: Keine Sau hat Zeit für dich. Im Käseladen wartest du so lange auf deine Fonduemischung, bis sie dir ganz von alleine entgegenkommt. Im Dorf herrscht ein ärgeres Gedränge als bei Harrods im Schlussverkauf. UND JETZT IST AUCH NOCH DIE CALMY-REY IM ANMARSCH? Was will dieser SP-Clown inmitten der SVP-Felsen? Parallelslalom mit Ogi?? Nein, danke. Da ziehe ich mir lieber vor dem Fernseher die Simpsons rein. Da ist das Grauen zumindest nur Fiktion. Und Trick?»
«Und dafür hat deine liebe Mamma gekämpft?», schaut Innocent mich traurig an. «Und dein guter Vater hat doch seine ganze politische Umgebung dazu getrieben, Aktien für den Skilift am Kuonisbergli zu kaufen, damit dieses Rennen überhaupt durchgeführt werden kann. Ja, aktienmässig ist dieser Lift quasi in Basler Alt-Grossrats-Händen?»
Ich schaue zum Lohner. Und vergebe meinem Vater, wie so oft in diesem Leben.
«Wir kommen im Sommer wieder», rufe ich zu Lysette, unserer Nachbarin.
Diese: «Im Summer isch de aber gar net ebbis loos?»
«Eben», sage ich. Und sehe, wie beim Zielhang 20'000 Schweizer-Fahnen unter Jubelgeschrei wild rumwedeln.
Entweder hat Frau Calmy-Rey sich die Krone aufgestülpt. Oder ein Schweizer hat das Slalomtor getroffen?

Donnerstag, 24. Januar 2008