Donnerstag Sie schicken mich nach Bologna. Und sie wollen die Wurst? die Wurst und ihre Geschichte.
WESHALB MUSS ES AUSGERECHNET DIE WURST SEIN? Bologna hat auch anderes Knackiges. Schon mal den «Neptun» von hinten betrachtet?
Die Redaktorin gluckst: «Aber Hanswürstchen? die Wurst ist doch dein Thema. Vom Zipfel bis zum bitteren Ende... 4000 Zeichen. Und frag mal, was die Pistazie darin soll.»
Bologna also. Die Stadt hat einen ihrer schönsten Plätze nach Neptun benannt. Dabei ist weit und breit kein Fluss in Sicht. Nur strömender Regen. Denn: es schüttet seit Tagen. Pausenlos.
Eisige Winde und peitschende Himmelsgüsse fegen die Piazza menschenleer. Ich hocke unter den Arkaden. Und werde melancholisch. Wir schreiben bald Sommeranfang. Und feiern im Land der «o sole mio»-Töne sibirische Weihnacht. Der Einzige, der noch sonnig lächelt, ist Herr Berlusconi. Aber auch ihm prasselt der Regen das Kastanienbraun aus dem Implantat.
Das Schlimme: wenns auf dem Stiefel schüttet, ist das wie wenn den Kardinälen der Weihrauch ausgeht. ES KOMMT KEINE STIMMUNG AUF. Das Einzige, was kommt, ist eine Horde von Tamilen. Sie stehen an jeder Strassenecke. Und verkaufen Schirme.
Gierig greift eine Gruppe englischer Touristen danach. Die Leutchen aus Hastings in Sussex walken in Birkenstock-Sandalen und geblümelten Shirts durch den frostigen Wintereinbruch. Ihre sonst so schweinerosige Haut mutiert bereits ins Bläuliche über? und der erste Schnupfenanfall lässt sie näseln wie Theo Lingen in der guten alten Zeit.
O. k.? fünf Euro für einen Schirm in Notsituation ist ein fairer Preis. Da zückt jeder das Portemonnaie. Aber die Schirme müssen von diesen armen chinesischen Kinderhändchen gefertigt worden sein und diese Kinder hatten sicherlich einen schlechten Tag? denn wenn man sie aufspannt (die Schirme, und nicht die Kinder) dreht sie der erste Windstoss um. Der billige Nylonstoff flattert wie Opas Unterhose am Wäscheseil? und die feinen Drähtchen ragen anklagend wie das Gerippe eines filetierten Kabeljaus zum Himmel.
Schon näseln 120 tropfnasse Engländer auf die kleinen, armen Tamilenmännchen ein? doch die zucken die Schultern und lächeln sonnig: «Good umbrella... bad storm!»
Langsam werden Tausende von rosigen und strohgelben Dauerwellenlöckchen zu einem grausamen Matsch, der wie eine enge Badekappe die pflotschnassen Gesichtchen umrahmt. Endlich pirscht die Führerin der Gruppe vor: «Let?s go for a Cappuccino!» Sie scheucht den feuchten Haufen ins «Caffè d?Oro», wo die Kellner zuerst mit einem vorwurfsvollen Blick in Richtung Himmel schauen, wo sie die Verantwortlichen dieser Misere vermuten, das Kreuz schlagen und dann den Boden schnurstracks mit Sägemehl panieren. Nun ist Neptun wieder der Einzige, der auf der Piazza dem Regen die Stirn bietet. Sein Gesicht ist mürrisch. Kriegerisch. Ohne Lächeln? klarer Macho-Typ. Dazu zeigt sich der Herr provozierend nackt. Klar ist er gut durchtrainiert? aber in dieser regenschauerlichen Umgebung wirkt er nun so surreal wie ein Brienzer Geranien-Chalet auf dem Mars.
Endlich verirrt sich auch ein Kellner an meinen Tisch. Seine Augen schauen vorwurfsvoll, weil er den warmen Platz hinter der Theke für diesen Touri-Trottel verlassen musste? eine Zumutung, wenn da einer bei solchem Tiefkühltruhen-Klima seinen Cappuccino draussen schlürfen will. TYPISCH NORDLÄNDER!
Er sagt nichts. Aber wie ich eine heisse Schokolade bestelle, grinst er genüsslich: «Die gibts nur im Winter, Signore...»
Ich zeige zum tropfenden Neptun: «Eben?! In zehn Minuten wirds schneien...»
Der Mann versteht keinen Humor. Italiens Spass beschränkt sich eh nur auf Toto oder den unfreiwilligen Witz der heimischen Politszene.
«Wir haben Panini di Mortadella», knurrt er nun. Das hat zwar nichts mit meiner gewünschten Schokolade, aber mit dem eigentlichen Zweck meines Besuchs in Bologna zu tun.
«Wunderbar», strahle ich den Mann an, «bringen Sie mir Ihre eingeklemmte Sau!»
Wie er mir einige Minuten später ein weisses Stück Fladenbrot mit diesen bräunlichen Scheiben, in denen die weissen Fettfleckchen wie Schneefelder und die Pfefferkörner wie Onix-Splitter funkeln, serviert, bin ich mit Bologna, dem Kellner und dem Winter im Sommer ausgesöhnt.
Ich schicke der Redaktorin sofort ein SMS: «Jetzt weiss ich, weshalb Mortadella die Königin der Würste ist...»
Sie piepst umgehend zurück. «Frag nach den Pistazien!»
In meiner Wurst waren jedoch keine Pistazien. Ich mache den Kellner auf den Fehler aufmerksam. Der zuckt zusammen. Dann wird er ganz Fachmann: «Signore? eine typische Bologneser Mortadella hat so wenig Pistazien wie ihre Schweizer Schokolade Senffrüchte drin...
Er lächelt: «A propos? wir haben für Sie eine heisse Schokolade zubereitet!»
In diesem Moment hört der Regen auf. Der Himmel öffnet sich. Er zeigt einen Fetzen Blau. Und ich hätte fast schwören können, dass auch der mürrische Neptun für einen kurzen Moment gelächelt hat.
Vom Neptun in Bologna und Mortadella ohne Pistazien
Donnerstag, 5. Juni 2008