Von Fliederbüschen und diversen Allergien...

Illustration: Rebekka Heeb

Die Nähe fehlt mir. Ich bin jemand, der gerne knuddelt. Ich bin auch jemand, der beim Gespräch die Leute berührt - einfach mal die Hand nimmt. IST UNTER DEM CORONA-DIKTAT NATÜRLICH NICHTS DAMIT! Big Shit!

NUN SIND MÄNNER IN DEN BERGEN EH KEINE KNUDDEL-TYPEN. SIE SIND ZÄRTLICHER ZU KUHEUTERN ALS ZU IHREN FRAUEN. Aber sie schleppen mir Rahm an. «Niidle», sagen sie. Es ist «erste Sahne» - im wahrsten Sinne des Wortes. Wenn man die dicke Flüssigkeit schlagen will, muss man sie mit Milch verdünnen. WÄRE ABER JAMMERSCHADE. Diese euterfrische, sanfte Double Crème ist eine Offenbarung.

Ich löffle sie jeden Morgen statt Joghurt. Meine Hosengrösse gibts schon nicht mehr in der Konfektion. ICH WERDE DEM BUNDESRAT EINEN ANTRAG AUF COVID-ENTSCHÄDIGUNG FÜR NEUE LATZHOSEN STELLEN MÜSSEN.

Aber natürlich ist solches Gejammer so was von daneben. Innocent schaut mich entsprechend genervt an: «Spinnst du denn - wir habens doch gut!» JA. HABEN WIR. Aber dann schicken sie mir Whatsapp-Fotos von meinen Insel-Aprikosen, die wie feurige Sonnen kugeln an den Ästen hangen. Dazu ein Bild vom leeren Strand vor der Hütte.

JA, WUNDERTS EUCH, DASS EINER IN SOLCHEN MOMENTEN ZUR SCHOKOLADE GREIFT! Keine 90-prozentige. NEIN. VOLLSÜSS. VOLLFETT.

Als ich meinem Arzt ein Mail schickte: «Könnte es sein, dass man auch mit über 70 noch im achten Monat sein kann...», mailte er zurück: «WIR KENNEN DEIN PROBLEM...!»

So. Und nun zum Flieder. Er fliedert, dass einem die Tränen kommen. Hier in den Bergen ist natürlich alles etwas später dran. ABER DER FLIEDER GIBT SCHON SEIN GANZES FEUERWERK AB. UND ICH STEHE VOR DEN BLÜTEN. UND WILL MIR STRÄUSSE SCHNEIDEN.

Innocent lässt sein ganzes Theater los: «Ja, hats dich!! Freu dich draussen an den Blumen - die gehören nicht in irgendeine Stubenvase. Und...» «ICH HABE DEMNÄCHST GEBURTSTAG!» Er winkt ab: «Ich auch. Und das ist noch lange kein Grund, die Hütte mit meinem Flieder zu füllen!» «D e i n e m ? Der Baum wurde noch von meinem lieben Vater, dem blühenden Sechser-Trämler, gepflanzt. Und zwar für meine Mutter. Carlotta liebte Flieder über alles...»

Wir hatten Flieder im Vorgärtchen. Wir hatten Flieder auch hinter dem Haus. Und meine ansonsten eiskalt-nüchterne Mutter konnte die Nase dranhalten. Die Augen verdrehen. Und seufzen: «Das sind Himmelsgrüsse. Solche Wonnen schicken uns die Engel direkt hernieder...» Im Mai und Juni standen überall Vasen herum - voll von Flieder. Nur lila. Weissen gab es nicht. Weisser Flieder erinnerte Mutter an Brautkleider. Und auf Bräute hat sie allergisch reagiert.

Meine Grossmutter - die von der Schickimicki-Seite - nannte die Bäume «Lila». Also: «Du könntest mir einen Strauss von eurem Lila abschneiden, Carlotta...» Mein Vater reagierte dann ähnlich allergisch wie Innocent: «Kommt nicht in die Tüte - die Bäume habe ich für Carlotta gepflanzt. Nimm den abgesägten Ast dort - und reite darauf ins Höllenloch!» Ganz klar: Die Schwiegermutter war Innocents Tomate für meinen lieben Vater: ALLERGIE PUR!

Die Düfte der Lilas (oder eben der Fliedersträusse) schwebten wie ein allzu süssliches Bordell-Parfum durch die Zimmer. Uns war es egal. Und Mutter, die sich sonst mit Düften schwertat («Wer hat hier in Fenjal gebadet? - ich bekomme Migräne davon!»), steckte alle vier Sekunden wieder ihre Himmelfahrtsnase in die Blüten.

Mein Vater war stolz auf seine Flieder - besonders auf den Baum in Adelboden. Als meine Mutter schon nicht mehr unter uns war, bekam er jedes Mal nasse Augen, wenn sich die ersten Knöspchen zeigten und zu hell-auberginefarbigen Sternchen wurden. Er schnitt einen Kofferraum voller Äste ab. Und brachte sie Mutter aufs Grab: «Ach Lotti», sagte er dann, «du warst immer meine Fliederfee...»

NUN DIES: STURM IN DEN BERGEN! ES KÜBELT.

Am andern Tag liegt unser Baum am Boden. Die Nachbarn helfen beim Wegräumen. Ich fülle Eimer und Blumenvasen: UNSER STÜBCHEN IST EIN EINZIGES LILA BLUMENMEER. A b e r - die Blumen haben ihren wunderbaren Duft verloren. Vermutlich hat ihn meine Mutter ins Nirwana mitgenommen.

Innocent schaut sich all die riesigen Sträusse an. Und knurrt: «So. Jetzt hast Du deinen Flieder UND DEINEN GRIND WIEDER MAL DURCHGESETZT. Damit sind aber alle Geburtstagsgeschenke abgehakt!» Morgen mische ich Tomaten unter den Gemüsesugo.

Dienstag, 9. Juni 2020