Rezept: Fischsuppe mit Tapioka
Tapioka sieht ein bisschen aus wie Froschlaich und war einst das Bindemittel für Suppen, Desserts und anderes. Zwischenzeitlich in Vergessenheit geraten, erleben die Perlen eine Art Renaissance.
Wenn Mutter die grosse Suppenschüssel mit dem Goldrand auf den Tisch stellte (und die Suppe war in den 50er und 60er Jahren das Antipasto oder Hors d'Oeuvre einer Trämler-Familie), wenn also der Deckel abgehoben wurde und eine weisse Dampfwolke zur Küchendecke stieg, da freuten wir uns riesig. Suppen waren die Kinderfreuden der damaligen Zeit. Zwar erzählten die Tanten den Binggissen immer mal wieder diese grauenvolle Geschichte vom Kaspar, der seine Suppe nicht essen wollte («nein, diese Suppe ess' ich nicht») und der dann unter einem Suppentopf-Grabstein endete. Bei uns hätten sie sich diese Struwwelpeter-Mär sparen können. Wir suppten auch so gern. Mit einer Ausnahme: Tapioka!
Tausend Mal haben uns die Alten mit «mmmmmh - das schmeckt doch köstlich» den Appetit auf diese glasigen Kügelchen heiss machen wollen. Umsonst. An jenem Tag, als Onkel Alphonse die Sache mit «Froschlaich» bezeichnete, weigerten wir uns, auch nur einen Bissen davon zu essen - Suppenkaspar und Grabstein hin oder her. «Das ist kein Froschlaich, das sind wunderbare Blütenknospen», erzählte uns Mutter und schoss eisige Blicke zu ihrem Schwager. «Diese Perlen hier kommen aus ganz fernen Ländern und werden dort von wunderschönen Prinzessinnen mit zarten Fingerchen aus den Blüten gepflückt...» «Ja, und diese Prinzessinnen dürfen nie Nägel kauen, weil sie sonst keine Prinzessinnen mehr sind und mit Wurstfingern die Perlen nicht ernten können...», gab Kembserweg-Omi noch etwas edukativen Horror in die Suppe.
Überzeugt. Uns wars egal. Tapioka war ein für allemal out. Und die Blütenknospen, die schönen Prinzessinnen in fernen Ländern und die schlanken Fingerchen interessierten uns Nagelkauer einen Dreck. Wir waren überzeugt, dass in dieser gelblichen Fleischbrühe, welche Mutter mit etwas geschlagenem Ei und Rahm sowie den Tapioka-Perlen gebunden hatte, Froschlaich schwamm. Genau diesen Laich hatten wir nämlich im Allschwiler Weiher entdeckt, und Onkel Alphonse hat uns erklärt, wie daraus Kaulquappen, später Frösche und dann die von ihm so heiss begehrten Froschschenkel entstehen würden. Wir haben damals noch in tierungeschützter Naivität diese Froschschenkel mitgegessen. Und auch in grenzenloser Gutgläubigkeit Hunderte von Allschwiler-Weiher-Fröschen durchgeküsst in der märchenhaften Hoffnung, sie würden zu einem Prinzen explodieren. Aber bei Froschlaich mussten wir die Segel streichen. Das dann nicht auch noch.
Überführt. Nun hatte es die Kembserweg-Omi, wie erwähnt, mit dem Erzieherischen. Sie fürchtete eine anhaltende Tapioka-Hysterie und wollte uns auf süssem Weg davon befreien. Also erwartete sie die Jungmannschaft an einem schulfreien Nachmittag mit einer Süssspeise, welche sie «rote Grütze» nannte. In einem glasigen Pudding erkannten wir Himbeeren und Erdbeeren - Köstlichkeiten, nach denen unsere süssen Gaumen meist umsonst gierten, weil wir mit den Äpfeln auf der Kellerhurd abgespiesen wurden. «Ich habe euch eine rote Grütze gemacht», säuselte die Omi. Dazu nimmt man von dieser herrlichen Vanillecrème... und da hatten wir auch schon alles intus! Nachdem der letzte Bissen verschlungen war, zeigte uns die Omi das Päckchen mit den kleinen, feinen Perlen: «Hier. Pudding wie Sauce sind mit diesem Stärkemittel angereichert worden. Und jetzt tut nächstes Mal nicht so weich, wenn eure Mutter diese Perlen in der Suppe serviert - verstanden, ihr Dummis?!» Wofür die Kinderpsychiatrie heute 38 Sitzungen und drei Analysen braucht, hat die Omi mit einer roten Grütze und Vanillesauce erledigt.
Überlebt. In den 70er Jahren ist sowohl Tapioka wie auch die Suppe von den Tischen verschwunden. Erst die Jungköche von heute haben den einstigen «Froschlaich» neu entdeckt - und zaubern herrlich leichte Desserts, Gemüseflans oder Fischsaucen damit. Tapioka wird oft mit Sago verwechselt. Die Wirkung ist dieselbe: Bei beiden handelt es sich um ein geschmackneutrales Bindemittel. Doch während Tapioka aus der Wurzelknolle der Maniok-Pflanze gewonnen wird, kommt der Sago aus dem Stamm der Sagopalme. Die gewonnene Konsistenz wird bei beiden granuliert und schliesslich in Perlen von 1-3 mm Durchmesser angeboten. In allen Asien-Geschäften, Drogerien und Reformhäusern stehen sie im Regal - und erleben in der europäischen Cuisine eine Hausse, während sie in der asiatischen Küche schon seit über 2000 Jahren als Basis-Bindemittel und auch als Mehl verwendet werden. Deshalb: Pflückt euch die Perlen der Natur. Und kocht das Froschlaich-Süpplein pur...
Fischsuppe mit Tapioka
Für Suppenkasper. Wer in der Haute Cuisine von Suppen spricht, kommt unweigerlich auf Anita Rauch. Die Basler Kochbuch-Autorin und Gastro-Fachfrau verwendet auch heute noch für verschiedenste Gerichte Tapioka. In ihrem neusten Buch über Suppen, das demnächst im Wegwarte-Verlag herauskommen wird, brockt uns Anita Rauch auch einige Tapioka-Suppen ein. Für uns hat sie schon mal eine vorgekocht - et voilà:
Zutaten: 2 dl Weisswein, 1 EL Pernod oder Noilly Prat, 5 dl Gemüsebouillon, 6-7 Safranfäden, 1 Lorbeerblatt, 200 g Seeteufel-Filet (in Häppchen), 4 Kabeljau-Bäggli, 4 Jakobsmuscheln, 150 g Dorschrückenfilet (in Häppchen), 1 gehäufter EL Tapioka, Kerbel oder Peterli zum Garnieren.
Zubereitung: Weisswein, Pernod (oder Noilly Prat) mit der Bouillon und dem Lorbeerblatt aufkochen. Die Fischstücke in einem Siebaufsatz darüber garen, und zwar zuerst die Seeteufelstücke auf das Sieb legen und nach 3 Minuten die restlichen Fische und Muscheln beigeben. Wenn die Fische al dente sind, vom Dampf nehmen und warm halten. Nun die Tapioka in die Brühe einrühren und so lange leise kochen, bis die Perlen glasig sind. Achtung: immer wieder rühren! Die Perlen sitzen gerne auf dem Pfannenboden fest. Jetzt gibt man die Fische nochmals kurz in die Suppe und serviert diese mit Kerbel oder Peterli garniert.