Umweltsau

Hier zum Nachhören: 

Rosa liebte ihre Enkel.

ISSJAKLAR!

WELCHE GROSSMUTTER WIRD NICHT PFLUDDERWEICH, WENN DIE KINDER «OMI – RÜCK MAL EIN NÖTCHEN RAUS!» RUFEN.

Nun – Rosa war mit Nötchen nicht üppig gesegnet. Schon eher im Gegenteil. Sie holte die magere Rente am Monatsanfang auf der Bank ab. 20 Franken davon liess sie direkt auf ein Sparkonto überweisen – DAS WAR FÜR FÜR DIE BEERDIGUNG.

Rosa wollte nichts Grosses: Kapelle 2. Und Pfarrer Christ. Dann die Urne neben ihrem Karl.
Sie vermisste ihn zwar nicht allzu sehr. Karl war ein arger Weinschlauch gewesen. Dazu noch ein hitziger Weiberheld. Also schickte sie ihn ohne grosse Emotionen ins Feuer – und liess sich die Asche in der Staatsurne übergeben.

Das winzige Familiengrab pflegte sie selber: Im Sommer rote Knollenbegonien, die an Karls roten Weinzinken erinnern sollten. Im Winter: Lila Erika.

Kam Rosa mit ihrer mageren Rente nach Hause, teilte sie die Noten auf Couverts auf: Kleidung… Mietzins…Versicherungen… Essen. Schlauchten sie die Enkel um einen Zehner an, griff sie zum ESSEN-Couvert.

Bei Kleidung und Essen konnte Rosa gut sparen:
Fleisch hatte es schon früher kaum gegeben. Zwei Mal im Monat. Und «blöde» Stellen ihrer Werktags-Jäckchen stopfte sie auch heute noch selber.

Nur Karl war stets wie aus dem Ei gepellt herumstolziert. Er musste präsentieren. Schliesslich war er Vertreter für Lockenwickler.

Lockenwickler waren damals ein gutes Geschäft. Die Frauen liessen sich ihren Kopf von einer Freundin waschen. Diese wickelten dann die nassen Haare mit Karls Rollen. Und zogen die Metall-Wickler mit einem Gummiband fest.
DIE DINGER ZWICKTEN UNANGENEHM.
«Friseure mit Trockenhauben» lagen nicht im Budget. Immerhin hatte Rosa noch drei Kinder grosszuziehen.

Die Krise kam, als der elektrische Stabwickler erfunden wurde. Der Umsatz an den Metall-Röhrchen ging zurück. Für eine kurze Zeit gab es sie noch in Plastik. Aber man hätte genauso gut darauf verzichten können. Die Haarpflege entwickelte sich rasant – Frauen, die mit Lockenwicklern und einem Tuch darüber die Türen öffneten, wurden belächelt.
MAN BÜRSTETE JETZT- «Brushing» hiess das.

Walter und seine lockenden Wickler hatten ausgedient.

Rosa ging Putzen, um die Familie über Wasser zu halten. Sie schrubbte Böden. Und am Sonntag half sie im Service aus – immerhin sparte sie so ein Tagesessen und brachte im Blechkanister Resten von «Nüüdeli mit Rahmschnitzeln» heim.

Trotz allem – es war kein schlechtes Leben gewesen. Zwar hatte sie immer wieder von einer Reise ans Meer geträumt. Sie hätte gerne einmal Mimosenbäume gesehen. Ihr Sohn hatte ihr eine Karte aus Cannes geschickt. Darauf hatten die schwefelgelben Blumen an der Küste geblüht.
Nun ja – als sie sich ihre beiden abgearbeiteten Hüften operieren und danach in das Erholungsheim ausserhalb der Stadt musste, war das auch fast wie Ferien.

UND JETZT D A S: die Enkel stehen vor ihrer Grossmutter. Und schauen sie streng an. «Omi – du und Deine Generation sind Umweltsäue! Weshalb habt ihr für uns die Zukunft nicht ökologischer verwaltet?»

Dann im Schmeichelton: «WIR MACHEN PARTY. HAST DU UNS…?»

Rosa wusste nicht genau, was die Kinder mit «ökologischer» meinten.

Sie lächelte etwas unsicher. Und öffnete dann das Couvert «ESSEN».

Und war wieder für ein Nötlein gut…

Veröffentlicht am : 
Freitag, 4. September 2020