Heinz und Felix waren Call-Boys.
Man konnte sie mieten.
Zumindest am Klausentag.
Die beiden hatten in zwei rote Klausen-Mäntel investiert. Nun bimmelten sie sich durch die Strassen.
Die fröhlichen Kläuse mahnten nun freche Kinder (sie hatten die Notizen der Eltern in einem dicken Buch eingeklebt). Und leerten den grossen Sack mit den Süssigkeiten aus: Zuckerfreie Karamellen. Und Zombie-Figürchen.
Früher hatte man den Kleinen mit der Rüeblisuppe im Schwarzwald gedroht. Nun packten die Kläuse biologische Karotten und ungespritzte Äpfel in den Sack. Mandarinen kamen aus Spanien. DAS WAR UNKORREKT. Also griff man zu Dörrpflaumen aus der Region. Natürlich Bio.
Die Kläuse hatten als letztes eine alte Villa besucht: Eine Patchwork-Familie mit sechs Kindern war der Auftraggeber.
Als erstes haben ihnen die Kleinen mit lautem Gebrüll den Bart abgezupft. Und sie mit „verklemmte Betschwestern“ tituliert.
Dann hatte sich der Kleinste in Pose gesetzt: „Jetzt rattert mal Euren Vers runter - ihr beiden Bilderbuch-Clowns!“
Max und Heinz hatten grimmig den Sack geleert: „Euch gehört der Arsch versohlt“, hatte der rote Klaus grün vor Wut geknurrt.
Dann verliessen sie fluchtartig das Haus.
Draussen erwartete sie ein alter Mann.
Er sah etwas schäbig aus - abgetragener, grauer Mantel. Schuhe mit offenen Schnürsenkeln. Und ein dünnes Hemd, das er über den viel zu weiten Hosen trug.
Er zeigte auf die alte Villa: „Ich wohne hier…“
„Aha“, sagte Heinz. „Herzlichen Glückwunsch!“
Der Alte: „Es ist Klaras Haus. Sie hat mich HIER sitzen lassen. Wegen eines Gescheiteren… ich war ihr nicht gut genug. Der andere war so ein Wichser aus der Chemie…“
„Aha“, sagte Heinz wieder.
„Ja – schön, dass ich Euch hier treffe. Ich komme mit. Ihr wohnt doch in der Schwarzwaldallee?“.
Felix warf Heinz einen Blick zu. Er tippte verstohlen an die Stirn. Dann lächelte er zum Alten: „Wir müssen noch zu vielen, vielen Kindern…“
Der Mann schaute auf seine offenen Schuhe: „Bin ich euch nicht fein genug?“.
Pause.
Dann: „Ich habe sonst niemanden, mit dem ich reden kann…“
Wieder warfen Heinz und Felix einander Blicke zu: „Aber Sie müssen doch irgendwo daheim sein, lieber Mann?“
„Ja – in diesem Haus! Sie haben nur gelacht, als ich aufkreuzte. Dann haben sie mich rausgeworfen!“
In diesem Moment parkierte ein kleines Auto an der Strasse. Eine Frau kam herbeigehastet: „Aber, aber Herr Stampfli… sind Sie wieder bei der alten Villa?“
Sie lächelte den beiden Kläusen zu: „So lieb, dass sie ihn aufgehalten haben. Er weiss mitunter nicht mehr, wo er daheim ist… aber den Weg zu diesem Haus findet er immer…“
„Er hat hier gewohnt“, sagte Heinz.
Die Frau lachte: „Aber nein. Herr Stampfli lebte in einer Zweizimmerwohnung. Hierher führt ihn nur die Erinnerung… doch nun lebt er bei uns im Heim. Und in seiner eigenen Welt, nicht wahr Herr Stampfli…“
Sie nahm die Hand des Alten.
Dann flüsterte sie den beiden Studenten zu: „Er kommt immer hierher…“
Heinz bückte sich. Und zupfte aus dem Sack eine goldene Rolle mit Schokoladentalern hervor: „Damit wollten wir meine Freundin überraschen… aber bitte, für Sie! Es ist uns eine Ehre, Herr Stampfli!“
Er drückte dem Mann die Glitzerstange in die Finger.
Dessen Augen strahlten jetzt. Aus dem Auto winkte er den beiden Kläusen zu. Und kurbelte hastig das Fenster runter: „Der von der Chemie hat K l a r a sitzen lassen – wegen einer Jüngeren. Geschah ihr ganz recht!“.
Leise hatte es zu schneien begonnen.
Die Kläuse machten sich still davon. Ihre Glocken waren verstummt.
Herr Stampfli winkte noch immer.