Meine Mutter war das, was man eine «nicht unbedingt begnadete Köchin» nannte. Es waren die Worte meines Vaters. «Lotty hat andere Qualitäten» - ergänzte er sein Statement augenzwinkernd. Aber der nackte Fakt: SIE KOCHTE UNTER JEDER SAU!
Mimpfeli
Die Mimpfeli erscheinen immer am Dienstag im Kulturmagazin der BaZ.
Er wollte weg. Abhauen. Anfang Dezember stand er in Trainerhosen und dem gelben Sommerkittel vor dem Lift: «Wann kommst du endlich? Ich habe gepackt!» - «Wohin willst du denn?» - «Auf die Insel.
Ich war kein begnadeter Bastler. ABER SO WAS VON NICHT! Mutter nahm mich streng ins Visier - obwohl sie ahnen konnte, dass die Sache als Katastrophe enden würde: «So. Jetzt gehts an die Weihnachtsgeschenke! Was gedenkst du dem Gotti unter den Baum zu legen?»
Herr Dreher war unser Apotheker. Er drehte noch selber. Und salbte auch. Wenn ich mit meiner Mutter die alte Apotheke an der Ahornstrasse betrat, holte er ein grosses, schweres Glas. Drinnen verstaubten dunkle Stängel: Süssholz. Ich durfte mir so ein Süssholzästlein aussuchen.
Wir haben eine neue Karre. Nein. Keinen Flitzer. Auch kein Wohnmobil, obschon dieses jetzt ziemlich hipp wäre. WIR FAHREN EINEN ROLLSTUHL. Und werdet jetzt nicht gleich melancholisch: «Ach Gott - wie tragisch. Das Alter rollt nur noch auf Holpersteinen...» ÜBERHAUPT NICHT!
ABER SO WAS VON! Es ist sicher nicht die Vaterseite, die mir den Bücherwurm vererbt hat. Vater besass nur drei Bücher: «Meine Berge» - ein kolossaler Bildband mit allen Kletterpartien Europas. Die Touren waren mit Schwierigkeitsgraden angegeben.
Das Verkaufen liegt unserer Familie in den Genen, Das heisst: Es rollt durchs Blut der Mutterseite. Wir stehen in London vor Harrods und wissen, wie wir ihn besser eingerichtet hätten. Oder wir geben dem Hühner-Max tausend gute Tipps, wie er die Hennen besser über den Tresen bringt.
Meine Mutter verkaufte. Und sie verkaufte sich gut.
Als sie an einem Familientag ihrer Sippe verkündete, dass sie mit ihrer Schwester ein Spezereiwarengeschäft eröffnen werde, waren die Reaktionen, als würde eine überhitzte Dose Ravioli explodieren: Tante Julchen: «Ach Lotti - wo du doch Petersilie nicht vom Schnittlauch unterscheiden kannst...» Die Omama: «Es liegt in den Genen - ihre Urgrossmutter hat schon im letzten Jahrhundert den Lebenden Totenhemden angedreht!» Und Onkel Alphonse: « dann miete ich mich gleich mal im Weinkeller ein. Ihr habt doch einen Weinkeller?»
Fegerli war ein Hammer-Mann! «Immer so aufgeputzt!», schwärmte die Omi. «Kein Flecklein rundum. Finde mir einen zweiten, so reinlichen Russer!»
Meine Erinnerung: ein grosses geschlossenes Fenster. Die Krankenschwester - ich durfte sie «Schwester Lieseli» rufen - nahm mich auf. Und weit unten auf der Strasse winkte eine Frau zum Fenster. Sie weinte.