Gavin Gnanavasagam: «‹Daheim›, denke ich. Und meine Basel, die Clique und die Fasnacht»

Foto: Kostas Maros

«…Und wenn ich der Laterne um drei Uhr morgens das weisse Tuch runterreisse, wenn ich weiss: in einer Stunde wirst du leuchten. Ich glaube, das ist der grösste Glücksmoment für mich…» Die schwarzen Augen schauen mich lange an: «Ich bedanke mich dann stumm bei der Fasnacht, bei meiner Clique – sie haben mir geholfen, die Wurzeln hier wachsen zu lassen.»

Gavin Gnanavasagam ist Tamile. Seine Eltern flüchteten 1988 aus Sri Lanka in die Schweiz. Acht Jahre später kam Gavin auf die Welt. «Sie erzählen immer wieder, dass ich nur 17 Tage alt war, als sie mich zum Cortège mitnahmen. Ich soll einfach immer nur gelächelt und schon damals jede einzelne Fasnachtsminute genossen haben…»

Aufgewachsen ist er im «Sanntihanns»: In der Wohnung war «Sri Lanka». Draussen wartete Basel. «Mit vier Jahren bin ich dann erstmals bewusst mit der Fasnacht konfrontiert worden. Wir standen am Cortège. Die Waggis-Wagen waren das Höchste der Gefühle – die Waggis schenkten uns Süssigkeiten. Viele Jahre lang wollte ich ein Wagen-Waggis sein. Sicher ist, dass ich schon als Binggis fühlte: Dieses grosse Fest in unserer Stadt, d a s ist es . Ich möchte ein Teil davon sein…»

Ursula Hiss war dann die gute Basel-Fee: «Sie kümmerte sich im Quartier um tamilische Flüchtlinge. Sie tat dies ohne staatlichen Auftrag. Freiwillig – aus purer Menschenliebe. «Ich nannte sie ‹Oma›. Sie wurde die wichtigste Bezugsperson in meinen Kinderjahren – ausserhalb der Wohnung. Draussen in der Basler Welt…
Als ich ihr dann erklärte, ich wolle unbedingt Fasnacht machen, brachte sie mich zu den ‹Rhygwäggi›. Dort habe ich Trommeln gelernt. Ich war nicht supergut – aber ich war ‹dabei›. Und ich fand hier Freunde … habe diese Freunde immer noch: die Cliquen-Familie eben…»

Gavin zeigt mir Fotos, wie er bereits als Dreikäsehoch mit Minischlegeln als Waggis auf eine Büchse eindrischt: «Es steckte einfach in mir… meine Eltern konnten damit nicht viel anfangen, aber sie brachten mich in die Trommelstunden. Holten mich wieder ab. Und sie kamen mit mir auch an meinen ersten aktiven Morgestraich zum ‹Storchen› – ich war damals acht Jahre alt. Als ich heimkam, lächelte mein Vater: ‹Deine Mutter und ich haben mit deiner kleinen Schwester im Café Spitz eine Mehlsuppe gelöffelt. Ich habe dort als Tellerwäscher angefangen. Und an einem Montag Hunderte von Mehlsuppentellern abgespült …› Dann hat er leise hinzugefügt: ‹Jetzt sass ich vorne als Gast – das hat mich fast ein bisschen stolz gemacht!›»

Gavin hat mit zwölf Fussball gespielt, Leichtathletik gemacht – aber die Fasnacht war wichtiger: «Besonders die Monate des Vorbereitens, des Bastelns, Zusammenseins – ich reparierte Kopfladäärnli. Half bei der Kinderlampe. Und hörte: ‹Den Gavin kann man für alles brauchen … der ist super!› Ich weiss noch, wie mir diese Worte den Rücken gestärkt haben. Sie machten mich selbstbewusster. Ich gehörte jetzt dazu – dieses Gefühl ist für junge Menschen wichtig. Besonders wenn sie eine dunkle Hautfarbe haben…»

Gab es diesbezüglich Diskriminierungen?

«Eigentlich nie. Schon gar nicht, als ich noch ein Kind war – Kinder gehen mit Andersartigkeit leichter um als Erwachsene. Später, als ich zum Stamm kam, hat schon manchmal einer einen Spruch fallen gelassen. Aber das war nie böse gemeint. Ich wusste, ich kann mich auf meine Clique verlassen. Und sie sich auf mich. Dieses Wissen darum war und ist wichtig…»

Er hat die Gewerbeschule absolviert und wurde Polymechaniker. Dann schaffte er nach dem Militärdienst die Berufsmatur. Und macht seit Oktober ein Studium als Aviatik-Ingenieur. Das Studium in Winterthur ist happig: «Es bleibt nicht viel Zeit für die Fasnacht… aber ich hänge mich trotzdem für die Clique rein…»

Er ist da Materialchef. Und sollte er die nächsten drei Studienjahre nicht richtig zum Üben kommen, so würde er an der Fasnacht 2022 als Tambour pausieren: «Ich gehe dann im Vortrab mit. Und werde mir ein verrücktes Requisit bauen, das zum Sujet passt…»

Diese Fasnacht?

Er trifft sich mit Bryan, seinem Cliquenfreund, und drei anderen zu einer «Stubete». Das muss einfach sein: «Der Zusammenhalt ist das A und O in einer Clique – deshalb sind die Vorbereitungswochen auch so enorm wichtig. Da kittet sich alles zusammen. Ganz speziell in den jungen Garden. Diese Zeit kann man nicht nachholen – und sie ist ein Leben lang ins Herz gemeisselt…»

Und? Noch immer die Sri-Lanka-Kultur in der Wohnung – und draussen Basel mit seiner Fasnacht? «Ja. Ich bin mittlerweile einige Male bei meinem Grossvater im Norden Sri Lankas gewesen. Er pflanzt Früchte an. Ich habe ihm dabei geholfen – zusammen mit meinen tamilischen Cousins. Wenn ich aufs Meer schaue oder im Sand sitze, vergesse ich dort mein anderes Leben. Ich brauche kein Handy, kein Skype – ich bin glücklich. Doch plötzlich kommt der Moment, wo ich unruhig werde. Und überlege: Was machen sie wohl daheim? – ‹DAHEIM›, denke ich. Und meine Basel, meine Clique, meine Fasnacht…»

Noch Erinnerungen an den allerersten Morgestraich? Er lächelt: «Ja. Ich habe nicht geleuchtet – wir hatten zu wenig Kopfladäärnli. Und ich blieb dunkel…»

Auch dieses Jahr wird sein Kopfladäärnli nicht leuchten. Doch es kommen wieder andere Morgestraich-Momente. Und als Material- sowie Laternenchef seiner Clique wird er dafür besorgt sein, dass j e d e r leuchtet. Und seine Lampe, die er eine Stunde vor dem Vier-Uhr-Schlag vom Tuch befreit hat, in die Nacht hinausstrahlt…

Foto: Kostas Maros

Donnerstag, 11. Februar 2021