Vorspiel
SMS: «Karli - kommst du mit mir an den Tisch?»
SMS: «Klar - Donati. Donnerstag - dann gibt es Manzo brasato...»
Anpfiff
Der italienische Kellner schaut fragend auf den zweiten, leeren Platz.
«Karli», sage ich. Und: «Nostro grande calciatore... Numero uno della palla.»
Nun geht die Sonne auf:
«Ohhh - Signore Odermatt » Er strahlt: «Bestimmt wählt Signore Odermatt den Manzo. Er nimmt immer den Manzo...»
Die Italiener lieben unseren Carlo. Als er noch die gefährlichen Schüsse draufhatte, brachte ihn der «Corriere dello Sport» in einer Karikatur: Odermatt schoss den Ball an eine Mauer und sprengte sie - dazu las man: «Attenzione - il grande Carlo!»
Später, beim Manzo, erzählt Karli: «In Italien sind Fussballer die zweiten Heiligen. Und nicht nur die mit den grün-weiss-roten Trikots - egal, woher sie kommen. Sie müssen ganz einfach diese Fussball-Aura um sich haben - und schon fallen alle auf die Knie...»
Kleines Beispiel - als Weinkenner hätte er gerne die Keller von Angelo Gaja besucht:
«...aber da war nichts zu machen... die liessen mich nicht rein. Abends fuhr ich nach Vezza d’Alba, um einen Teller mit Pasta zu essen. Die Pinte war klein. Als ich den Raum betrat, schwieg alles. Die Leute stierten mich an. Dann stierten sie zur Wand - dort hing ein grosses Poster. Darauf waren Luigi Riva und ich abgebildet. Wir tauschten als Captains die Nationen-Fähnchen.
Tu sei... tu sei...?, stammelte der Wirt. - Karli, sagte ich. Dann brach ein Riesentumult los. Alle umarmten mich. Nach vier Pasta-Gängen und zwei Flaschen Barolo brachte mich der Wirt zu Gaja. Und der Padrone öffnete den Keller persönlich...»
Natürlich möchte ich mit Karli n i c h t über Fussball reden. Auch nicht über den FCB. Das ist nicht das Thema. Und dennoch kam schon in den 60er-Jahren niemand an diesem Fussballgott vorbei: Karl war einfach zu perfekt, um übersehen zu werden. Er spielte den Schweizer Rolling Stone auf dem Rasen. Nur schöner.
Er war sicher der grösste Schweizer Fussballer aller Zeiten - 182 Zentimeter lang. Dazu: Augen, stahlblau wie Bergseen. Und blonde Locken, die bei seinen Angriffen wild herumwehten.
1. Halbzeit
Er taucht auf: die Augen noch immer strahlend. Das Lachen wie immer - als würde gerade die Sonne aufgehen. Nur die wehenden Locken, die sind gefallen. Ansonsten steht alles noch.
Gut, er ist ein bisschen rundlicher, ein bisschen knalliger geworden - nicht mehr das dünne Gestell mit dem Waschbrettbauch. Aber er hat noch immer dieses starke Charisma, das die Figur «Karli Odermatt» ausmacht.
«Manzo brasato» also. Und eine lange Diskussion über den Wein. Alle wissen, dass er einem Gläschen nicht abgeneigt ist... Er winkt ab: «Früher haben wir Sauf-Feten durchgezogen. Aber im Alter entwickelt man sich zum Geniesser...»
Er wählt einen piemontesischen Prunotto aus dem Jahr 2015. Und zum Manzo einen Risotto. (Tipp an den Cameriere: «...da müsst ihr aber Gas geben! Karli bringt das weltbeste Risotto auf den Tisch.»)
Kochst du wirklich so gut?
«Mein Risotto ist sicherlich speziell. Ich nehme nur 3-jährigen Parmesan. Einen sehr guten Wein - welchen, verrate ich nicht. Am Schluss ziehe ich eine Ziibeleschwaizi unter alles. Manchmal bereite ich den Risotto auch mit meinen Pilzen zu.»
Du bist «Pilzler»?
«Ja. Fanatisch. Mein Freund Richard hat es mir beigebracht. Wir haben unsere geheimen Plätzchen. Und bringe auch schon mal Morcheln heim. Weisst du, was das Geheimnis einer guten Morchelsauce ist?»
Die Morcheln gut waschen!
«Schon - aber für eine wirklich geschmackvolle Sauce brauchst du auch g e d ö r r t e Morcheln. Ihr Aufweichsaft bringt das eigentliche Aroma!»
Du hast deine Ausbildung nicht auf der Gastroschiene absolviert.
«Ich musste sehr früh Geld verdienen. Meine Mutter war auf meinen Zustupf angewiesen. So kam ich als Offset drucker zu Coop. Wir machten da auch die Lithos und Plakate für Hans Erni. Ich musste die Farben mischen. Und er stand daneben. Jeder Ton musste stimmen. Erni war sehr kritisch. Aber er war zufrieden mit mir. Eines Tages sagte der Chef der Druckerei: Odermatt - mach endlich die Lehre...»
So hat er mit 23 Jahren noch das Diplom als Offsetdrucker gemacht.
Karli lacht: «Ja. Und gut abgeschlossen - mit 4,9...»
2. Halbzeit
Neben der Lehre war das Fussball training:
«War ganz schön hart - ich arbeitete von morgens um sieben Uhr bis abends um sechs. Dann musste ich ab zum Training. Pause gab es nie. Wenn wir einen Match gewannen, bekamen wir eine Prämie von 130 Franken. Damit konnte ich meine Mutter etwas unterstützen...»
Du wolltest immer Fussballer werden?
«Klar. Aber mein Vater prügelte mir solche Gedanken aus. Er war grob - nun ist er gestorben. Die Sache ist abgehakt...»
Du hast dann hinter seinem Rücken trainiert?
«Ein Talentsucher pflückte mich direkt vom Schulhof weg zu den Congeli: Du kannst zu uns kommen... - Kann ich nicht - mein Vater ist dagegen, dass ich Fussball spiele! - Wir sagen es ihm nicht. - Ich habe keine Kickschuhe! - Wir besorgen sie dir... So habe ich heimlich trainiert - meine Fussballschuhe wurden nach jedem Training in einem Kasten eingeschlossen...»
Du kamst dann zum FCB - und in den grossen Geldregen?
Karli lacht: «Schön wärs. Das lief damals anders. Wir hatten nicht die Löhne von heute - wir verdienten 130 Franken im Monat. Dann noch die 130 Stutz Prämie bei einem Gewinn.
1962/63 wurden wir Cupsieger - und gewannen 2:0 gegen GC. Der Club-Präsident - das war Lucien Schmidlin - steckte mir nach dem Spiel eine Tausendernote zu: Du warst grossartig, Karli - und ich weiss, dass ihr es daheim finanziell nicht einfach habt. Nimm es als grosses Dankeschön!»
Karlis Blick schweift jetzt ab:
«Wir haben heiss gefeiert. Als ich heimkam, weckte ich meine Mutter - ihr ging Fussball so ziemlich kalt am Rücken vorbei. Wir sind Cupsieger! Sie wachte auf und blinzelte mir zu: Ach ja - bei den Junioren? - Nein - richtige Cupsieger - da schau!. Ich legte ihr die tausend Franken auf die Bettdecke. Und sie klebte mir eine: Ein Odermatt stiehlt nicht! Fünf Minuten später hat sie den Präsidenten telefonisch aus dem Bett geschellt, um sich zu vergewissern, dass das Geld von ihm stammt.»
Du hast dann in der Nati gespielt - wurdest ihr Captain:
«Sie haben damals Köbi Kuhn abgewählt. Und ich habe zu ihm gesagt: Wenn du nicht willst, mache ich es nicht!. Er hat abgewinkt: Du bist der bessere Schnöörri - mach es!»
Eure Freundschaft war sehr speziell.
«In der Schweizer Meisterschaft waren wir harte Gegner - er FCZ, ich FCB. Aber die Nati schweisste uns zusammen. Wir waren unzertrennlich.»
Seine Frau Jadwiga hat dich angerufen, als er im Sterben lag.
«Ich besuchte ihn im Triemli. Er lag kerzenbleich in den Kissen - über dem Bett hatte er ein Zeitungsfoto, das eben im Blick von mir erschienen war, an die Wand gepinnt. Ich nahm seine Hand: Köbi - was machst du für Sachen...? Er: Wir haben viele gute Sachen zusammen gemacht, Karli... - Du kommst da raus, Köbi - du schaffst das - Ja. Und dann feiern wir mit einer Doppelflasche Sassicaia... - Mit den Frauen? - «Nein - nur wir zwei alleine. Ich habe ihn umarmt. Und wusste: Ich werde ihn nie mehr sehen.»
Karlis blaue Augen sind jetzt gerötet. Er nimmt einen Schluck: «Auf Köbi!», sagt er.
Die Fasnacht steht vor der Tür - du bist immer ein grosser Fasnächtler gewesen.
«Zuerst bei den Knillepfuuser. Immer mit einem Halt beim Kanne selig. Jetzt führe ich die Clique als Mittwuchspfuuser weiter. Am Dienstag haben wir ein Familien ziigli - meine erste Frau, die zwei Töchter und einige Freunde. Wir sind eine richtige Patchworkfamilie. Alles Prachtmenschen. Ich bin unglaublich stolz auf sie... fast noch mehr als auf alle meine Goals...»
Vorlieben und Abneigungen
Er mag: Weine aus dem Piemont und der Toskana, Basel («das ist eine Liebe wie zum Fussball»), die Fasnacht und Pilze
Er mag nicht: unkompetente Schiedsrichter («Das war früher, als es noch keine Videokontrollen gab, ziemlich arg»), schwachen Kaffee und Light-Desserts