Ihre Schreibe ist der Knaller: das Beste, was Helvetien an deutschsprachigen Kolumnen zu bieten hat.
Sie ist gescheit. Witzig. NEUGIERIG.
Sie beobachtet die Menschen wie Miss Marple ihre Nachbarn. Meist sind es ältere Leute - «die haben mehr zu sagen!». Aus den Gesprächsfetzen knüpft sie Theaterstücke. Soap-Operas. Kolumnen - allerfeinste Klöppel-Literatur. Katja Früh gilt heute als die berühmteste Drehbuch- und Fernsehautorin der Schweiz. «Lüthi und Blanc» war IHRE Schöpfung. Die meistgeschaute TV-Serie des Schweizer Fernsehens. Geplant war ein Jahr. Alle unkten: DAS wird gar nix! Wurde es aber. 288 Sendungen:
«Anfangs habe ich alles allein geschrieben. Woche für Woche. Dann kamen Co-Autoren hinzu. Das war nicht immer einfach - und ich war es vermutlich auch nicht...»
Ihr Vater, die Regielegende Kurt Früh, und ihre Mutter, die Wiener Schauspielerin Eva Langraf, legten die Latte hoch:
«Das künstlerische Milieu, der intellektuelle Rahmen - dies alles setzte meine Schwester und mich unter Druck. Wir MUSSTEN anders sein. Werdet nur keine Filialleiterinnen - war das Credo. Meine Schwester hätte gerne Krankenschwester gelernt. Das ging in unserem Umfeld natürlich nicht. Also wurde sie Schauspielerin - erfolgreich. Mit 40 hängte sie ihr ganzes Glamourleben an den Nagel. Und holte die Krankenschwesterlehre nach. Jetzt erst war sie glücklich.»
Das «MUST», aus dem Alltagsrahmen zu fallen, hat dein Vater ja vorgelebt...
«Er war der Letzte von fünf Söhnen. Meine Grossmutter war enttäuscht. Sie hätte gerne endlich eine Tochter gehabt. Also liess sie ihn als Mädchen aufwachsen - lange Haare, Röckchen, das ganze Programm. Mit acht Jahren hat mein Vater im Stadttheater die Prinzessin in Don Carlos gespielt. Irgendwie hat ihn das geprägt. Die Weicheiseite in mir - so nannte er es...»
Wir sitzen in der Zürcher Kronenhalle - direkt unter Hulda Zumsteg, die uns durch ihr Lorgnon kritisch beobachtet.
Weshalb die Kronenhalle?
«Weil ich als kleines Mädchen mit meinem Vater hier Leberknödelsuppe gegessen habe. Das war ein Fest. Niemand durfte von dem Besuch erfahren - wir sollten ja sparen!»
Du bist früh von zu Hause weg.
«Ich wollte mich abnabeln. Ging nach Berlin an die Max-Reinhardt-Schule. Und hatte ziemlich Heimweh. Aber natürlich hielt ich durch - etwas anderes hätte es bei meinem Vater nicht gegeben...»
Er projizierte Grosses in dich?
«Ich war sein Liebling. Und er war meine Welt - eine wunderbare Welt: bunt. Verrückt. Ungewöhnlich. Dennoch war diese Kindheit nicht nur glücklich. Die Alkoholsucht von Kurt, sein psychisches Up and Down - das lag wie ein schwarzer Schleier über der Familie... Manchmal musste ich ihn nachts in den Beizen suchen. Beim Film zu Dällenbach fungierte ich als seine Aufpasserin. Ich war 15. Und durfte die Klappe schlagen. Aber eigentlich war ich nur da, um zu verhindern, dass Kurt nach dem Dreh mit den andern abstürzte. Ich musste ihn sofort heimbringen. Das hat mich bei der Crew nicht unbedingt beliebt gemacht... Ich war die grässliche Spassbremse!»
Zurück nach Berlin - du wurdest sofort engagiert.
«...aber ich merkte bald: Schauspiel ist nicht mein Ding. Überdies fehlte mir die künstlerische Freiheit, wie ich sie aus Zürich vom Neumarkt kannte. Die deutschen Staatstheater waren Beamtentempel. Stur geführt. Also kam ich in die Schweiz zurück. Und wollte Hörspielmacherin lernen - Basel wurde zum Glücksfall...»
Inwiefern?
«Das Radiostudio auf dem Bruderholz mit dem legendären Hausi bot mir alle Möglichkeiten. Hans Hausmann warf mich - allez, hop! - ins kalte Wasser. Zuerst verbannte er mich an die Stoppuhr. Dann ins Geräuscharchiv. Bald aber durfte ich selber Regie führen. Er liess mir freie Hand...»
Und dann kam «Memo-Treff»...
«Zuerst die Mutterschaft. Ich stellte mir das einfacher vor. ZU einfach: mit den Kindern auf dem Spielplatz... Daneben Texte fürs Hörspiel schreiben... Aber es blieb neben den Kindern nicht viel Zeit zum Texten - allerdings haben mich die Momente auf dem Spielplatz inspiriert. Ich lauschte den Konversationen älterer Menschen auf den Bänkli. So entwickelte ich ein Ohr für Alltagsgeschichten - im Tram. Am Postschalter. Im Supercenter. Voilà - der Memo-Treff war geboren...»
Auch diese Serie lief einmal mehr gegen alle bösen Prophezeiungen jahrelang. FÜR DIE KRITIKER MANGELTE DEN DIALOGEN DAS INTELLEKTUELLE...
«Das ist es doch: Die Menschen sollen authentisch sein. Alte Menschen reden am Kaffeetisch nicht wie auf dem Literatur-Sofa. Und es ist harte Knochenarbeit, die Personen so reden zu lassen, dass sie ECHT rüberkommen. Das Einfache ist oft das Schwierigste...»
Mit andern Worten: Intellektuell können wir alle sein - aber den Zuschauer, Zuhörer oder Leser mit einfachen Dialogen zu fesseln: Das wird zum Hochseilakt!
«DAS IST IMMER SO - HINTER ALLEM, WAS LEICHT UND FLÜSSIG WIRKT, STECKT VIEL ARBEIT...»
Du bist ein Arbeitstier - am 3. Dezember ist Kulturmarkt-Premiere von «Addio Amor». Ab 18. Januar geht im Bernhard-Theater «Supertheo» ab - und dann schreibst du mit Patrick Frey das Jubiläums-Play fürs Casinotheater. Daneben: Kolumnen... Interviews... Sendungen. Wie stemmst du das?
«Irgendwie brauche ich den Druck. Im Grunde genommen bin ich faul, hänge lieber auf der Couch herum. Mit dem Schreiben warte ich immer bis zum letzten Abgabetermin - dann aber lege ich ohne Pausen los.»
Du bist auch die Hausschreiberin beim Casinotheater - worum geht es beim Jubelstück in Winterthur?
«Eine reiche Sponsorin - Traumrolle für Viktor Giacobbo - will den Abend im Casinotheater mit vielen VIP aufrollen...»
Also wieder einmal eine Kiste für alle, die lachen möchten?
«Soll ich für einen Casino-Geburtstag Tristan und Isolde umtonen? Die Menschen WOLLEN lachen! Die Zeit ist zu ernst, um auch noch im Theater Trübsal zu blasen...»
Aber du nimmst auch todernste Themen wie etwa EXIT mit viel Humor ins Visier.
«Ich glaube, dass das Ernste am besten durch den Humor herauskristallisiert wird. Meine Mutter wollte mit 88 den Selbsttod durch Exit. Sie rief uns an: Ihr solltet euch nächste Woche am Freitag um 17 Uhr frei halten. Ich werde dann sterben! - Nun ja: so ungefähr. Die Situation beim Exit-Prozedere hat dann weder bei meiner Schwester noch bei mir die tiefe Psychokrise ausgelöst. Aber die Tatsache, dass man heute den Tod, der früher unangemeldet angeklopft hat, einfach auf die Minute genau zum Abholen bestellen kann - diesen Umstand fand ich doch sehr speziell. Also habe ich eine Sterbenskomödie daraus gemacht: Exit retour.»
Wolltest du deine Mutter nicht «zurückholen»?
«Natürlich - eine Viertelstunde bevor sie über den Regenbogen ging, habe ich zu ihr gesagt: So. Jetzt brechen wir das alles ab. Dann gehen wir in die Kronenhalle. Und essen ein Wiener Schnitzel...»
UND?
«Sie protestierte: Das geht doch nicht. Ich habe die Spargelbrötchen für die Exit-Leute schon bestellt...»
Du bist verheiratet. 34 Jahre. Dies mit einem Medienmann, dem einstigen SRF-Bundeshaus-Korrespondenten Hans Bärenbold. Für ein kreatives Medienpaar sind 34 Jahre eine lange Spanne...
«Irgendwie stimmt es eben. Punkto Familie kommen wohl meine jüdischen Gene zum Zug - big mamma! Seit mein Mann pensioniert ist, kocht er für uns. Das ist eine Erleichterung in meinem Stundenplan. Gemeinsames Essen, Feiern mit der Familie: Dies alles ist mir sehr, sehr wichtig...»
Deine Tochter Lisa Maria Bärenbold ist Schauspielerin... Hat «big mamma» nicht geraten: Werde Filialleiterin, Krankenschwester - aber NICHT Schauspielerin? Es ist verdammt hart verdientes Brot...
«Klar habe ich abgeraten. Umsonst. Als bei den Dreharbeiten zu Lüthi und Blanc bei uns die Schauspieler und Schauspielerinnen ein und aus gingen, war sie vom Virus bereits angefixt.»
Und Ciro - dein junger Enkel?
Nun strahlen Katjas Augen auf: «Ich habe eine Kolumne für ihn geschrieben - im Magazin. Dort habe ich ihm als liebende, alte Oma ein paar Lebensratschläge aufgelistet...»
Stimmt. Ich kann mich an Katjas Schlussworte an den kleinen Enkel erinnern: «...glaub nicht, du musst etwas Besonderes sein. Das ist jeder Mensch...»
SIE ist es bestimmt.
Vorlieben und AbneigungenSie mag: das Spielen mit Worten, Leberknödelsuppe in der Kronenhalle, Lesen und Herumlümmeln auf der Couch.
Sie mag nicht: vorgefasste Meinungen, Inflexibilität und Intrigen.
Foto: Mara Truog - zVg