Lukas und Remigius Faesch: «Wir sind neun Monate im Bauch eng aufeinander gehockt»

Foto: Lucia Hunziker

Die Zwillingsbrüder Lukas und Remigius Faesch gehören einer der ältesten Basler Familien an. Bei den Vorfahren gab es enge Bande zu Napoleon. Einem anderen Faesch ist der Weltruhm unseres Kunstmuseums zu verdanken.

Wir sind froher Hoffnung. Und erwarten Zwillinge.

Das Doppelpack trägt einen berühmten Namen. Irgendwo tauchen auch ein Prinz, ein Kardinal und Napoleon im bäumigen Stamm auf. DAS IST NICHT NICHTS!

Erich Kästner hat es in guter Laune so getitelt: «DAS DOPPELTE LOTTCHEN!» Bei uns also: «die doppelten Flottchen!»

Flott sind sie. Schon das äussere Erscheinungsbild hat Klasse: der eine im eleganten Leinen-Kittel: am Hals ein dazu passender Shawl (bei 24 Grad!). Der andere hingegen schlipslos: auf dem Stadtvelo. Aber: «Mein Vater hätte mich wieder heimgeschickt - ohne Krawatte ging bei ihm gar nichts!» Oben dann diese beiden Köpfe: strahlend, lachend - das berühmte Zwillings-Lied: «ein Ei wie das andere!» Remi und Luggi Faesch also - Ersterer Medicus. Der andere Jurist.

Jurist ist ein «MUSS» in dieser Familie: Während vieler Generationen hatten die Faeschs die Professur für Jurisprudenz an der Basler Universität inne. Das Faesch-Vermögen war legendär - das üppigste Polster der Stadt: 1659 wurde es auf 242’000 Gulden geschätzt. «DIE REICHSTEN BASLER!» - würde die «Bilanz» heute titeln.

Nun sitzen die Nachkommen also vor mir im Schützenhaus. Sie bestellen Wienerschnitzel (der Jurist). Und Risotto (der Arzt). Da stellt sich dann doch die Frage: «WO IST ALL DAS VIELE GELD HIN?»

Sie lachen synchron - so wie vieles die nächsten zwei Stunden in der wunderbar simultanen Harmonie von Synchronschwimmerinnen aufgeht: «Ach - einer der Faesch-Vorfahren rasselte durchs Jus-Examen. Wegen dieses Hirni ist dann alles an die Stadt gegangen und weg war das Vermögen.»

DIE ARMEN! ICH WERDE SIE WOHL ZU SCHNITZEL UND RISOTTO EINLADEN MÜSSEN.

Und wie war das mit Napoleon?

«Nun - wie so oft in den alten Familien jener Zeit ging das übers Heiraten. Franz Faesch war Offizier auf Korsika. Er stand in genuesischen Diensten. Er ehelichte die Witwe Ramolino - diese brachte aus erster Ehe eine Tochter mit: Laetitia. Der Sohn aus der neuen Verbindung, also Joseph Faesch, wuchs mit seiner Halbschwester Laetitia auf. Laetitia wiederum wurde später die Mutter Napoleons - und Joseph Faesch dessen Onkel...»

Gehts noch etwas komplizierter?

«Klar doch - der Faesch wurde ein enger Vertrauter von Napoleon. 1807 wurde er von ihm zum französischen und acht Jahre später zum römischen Prinzen ernannt. Überdies war er Kardinal und Erzbischof von Lyon. Es gibt dort noch ein Faesch-Museum mit den Reliquien unseres Ahnen...»

Und nun wieder synchron: «Was man vielleicht nicht weiss - aber an Familientagen erzählt alles immer wieder die Geschichte: von Napoleon. Als er in Basel war, gab er im Trois Rois einen Empfang, zu dem auch die Faesch-Sippe eingeladen war...» - Nun strahlen beide: «"Mes Cousins..." hat er sie willkommen geheissen!»

Also bitte!

Für unsere Stadt war allerdings euer Vorfahre Remigius der grosse Gewinn - er hat der Stadt 1667 eine riesige Kunstsammlung hinterlassen. Ähnlich wie Amerbach (fast gleichzeitig) sein Kuriositäten-Kabinett: «Remigius war ein Sammler wie Amerbach auch. Beide tourten in ganz Europa herum, um ihre Sammlungen von Raritäten und Curiosa zu erweitern...» Später haben die Amerbach’sche Sammlung sowie auch das Faeschische Kabinett die Museen damit bespickt.

Die Familienstiftung gibts noch?

«Ja klar - sie wurde durch Legate von Familienmitgliedern immer wieder aufgestockt. Heute kann die Stiftung doch einiges für soziale und kulturelle Zwecke ausschütten - ein Faesch, der ein Studium beginnt, wird mit einem Studienbeitrag unterstützt!»

Remi unterbricht: «Wir haben damals auch 900 Franken bekommen...» Luggi: «Ja. Und du bei deiner Hochzeit das Schleiergeld... auch das ist eine Familientradition. Überdies hat die Stiftung vor einiger Zeit alle Familien-Epitaphien im Münster und seinem Kreuzgang restaurieren lassen.»

Themenwechsel. Ihr seid als Zwillinge geboren - wie stark verbindet euch das?

Langes Schweigen. Dann beide gemeinsam. «Schon sehr stark... Ich will meinen Bruder anrufen. Und er ist bereits am Handy, weil er in diesem Moment auch mit mir sprechen wollte Wir denken oft synchron, fühlen auch so... es gibt kaum Geheimnisse...»

FÜR EURE FRAUEN MUSS DAS GEWÖHNUNGSBEDÜRFTIG SEIN!

Wieder kurzes Schweigen. Dann: «Es ist für sie nicht einfach. Wir sind immerhin neun Monate in einem Bauch eng aufeinander gehockt Das verbindet... Das kann man nicht einfach wegfegen...»

Ihr hattet keine Geschwister?

«Wir genügten einander. Natürlich kam das Zwillings-Phänomen zum Tragen. Niemand konnte uns unterscheiden. Sogar die Stimmen waren gleich...»

DAS DOPPELTE FLOTTCHEN!

«Wir waren arge Lausbuben. Wenn die Eltern ausgingen, nutzten wir das aus: Einer blieb daheim. Der andere ging in den Ausgang. Prompt kam das väterliche Kontrolltelefon: "Alles gut?" - "Alles bestens!" - "Schön. Dann gib mir jetzt seinen Bruder an den Apparat" "...Hallo Papa..." Klar, dass ich auch den Bruder spielte. Unser Vater konnte uns selbst zu Hause nicht voneinander unterscheiden.

In der Mathematik-Matur im HG haben wir die Plätze gewechselt (Remi war der bessere Rechner). Keiner merkte es. Wir hatten nur e i n Tram-Abo und tauschten es einfach aus...»

Probleme mit Verwechslungen?

Beide lachen: «Beim Offizier-Brevetierungsmarsch von Remi wurde der ahnungslose Lukas in der Stadt von einem Divisionär verhaftet - wegen unerlaubter Entfernung von der Truppe!»

Ihr seid in einer der ältesten Familien der Stadt aufgewachsen - in einer Familie, die mehr Geschichte gemacht hat als die meisten aus dem sogenannten Daig. War euch das auch bewusst?

«Nun - der Daig war kein Thema. Er ist es immer nur bei den andern. Die Familien-Geschichte war wohl da - aber das «Dazugehören» zu einem bestimmten Kreis nicht. Sicher nicht so, dass man sich hätte Mühe geben müssen...»

Dennoch gabs die grossen Familienfeiern. Weihnachten?

«Unsere Mutter zog da alle Register: das teure Silber, das alte Service... Wir waren jeweils über 20 Leute am Tisch. Eines Tages entschied mein Vater, dass man seine Gattin an diesem Fest entlasten müsse. Er bestellte bei Bell in Kleinhüningen «Schüfeli». Und Kartoffelsalat. Man konnte das dort fixfertig am Mittag des 24. abholen. Aber man musste ziemlich lange warten...»

GROSSES LACHEN: «Es gab beim Anstehen Glühwein à discrétion. Und Bellwürstli. Mein Vater und wir zwei Buben schlugen zünftig zu... Als wir heimkamen, hatten wir gut 12 Würstchen und einigen Alkohol intus. Danach übernahm Mutter wieder das Zepter.»

Heute?

«Wir feiern den Neujahrstag. Unser Vater wäre in diesem Jahr an diesem Datum 100 geworden. Er hat seinen Geburtstag stets gross gefeiert - und die Familie zu einem Gabelfrühstück eingeladen. Auf den Tellern standen rosige Marzipanschweinchen. Statt des Glücksräpplers hatten sie ein Goldvreneli im «Schnöörli»...»

Wie sein grosser Vorgänger, der Sammler und Uni-Rektor Remigius Fesch, ist Lukas Jurist geworden - sein Bruder Remi wiederum arbeitete lange Zeit als Oberarzt im Universitätsspital. Und ist seit einem Vierteljahrhundert Hausarzt.

Allerdings: «Meine beiden Töchter sind auch Anwältinnen - ganz in der Familientradition. Ich bin stolz auf sie...». Daneben ist Remi Vorgesetzter in der Vorstadtgesellschaft zur Krähe.

Luggi Faesch sitzt seit Anfang dieses Jahres im Grossen Rat. U n d seit langem im Bürgerrat, ist Präsident der CMS und Zunftmeister E.E. Zunft zu Hausgenossen.

«Ich kann schwer «Nein!» sagen. Aber natürlich sind es grosse, interessante Aufgaben. Besonders der Grosse Rat. Manchmal macht mir dort die heutige politische Kultur Kummer: Gehässigkeiten, Schwarz-weiss-Malereien. Mancher will nur für sich und seine fest betonierte Meinung punkten. Es gibt oft kein Zuhören mehr, kaum einen Dialog. Die Medien sind nicht unschuldig daran - und natürlich auch Social Media. Es gibt Politiker, die würden nackt durch den Ratssaal rennen, nur um 20 Likes auf Facebook zu bekommen! Das ist keine gute Entwicklung»

Die wichtigste Frage: Wer ist der Erstgeborene?

Remi grinst: «Luggi - aber da die 242’000 Gulden weg sind, spielt das auch keine Rolle mehr.»

Vorlieben und Abneigungen

Sie mögen: Markgräflerland, Ticino, mediterrane Küche

Sie mögen nicht: Littering, Alleswisser und Allesversteher

Foto: Lucia Hunziker

Montag, 4. Oktober 2021