Gaby Gasser: «Ein Glückskind, wenn man so will»

Foto: Lucia Hunziker

Eigentlich heisst sie: Gabriela Maria Lucia.

MIT DIESEM NAMEN KANNST DU OPERN SINGEN!

Macht sie nicht. Ihr Fach ist das Leichte.

Und: «...das Leichte ist immer schwerer. Das Schwierigste überhaupt. Komödie kann man nur ganz ernst spielen.» So hat die Schauspielerin Gaby Gasser ihre Kunst der «Comédie» vor meinem Mandarinensorbet (letzte Reste von Weihnachten) erklärt.

Ich wäre gern mit ihr in die Beiz gegangen. Welcher alte Dickbauch gibt bei anderen Pfeffersäcken nicht gern mit einer flotten Schlanken an. Aber nein!

«Weisst du eigentlich, wie wir Schauspieler auf Tournee essen? Vor dem Auftritt: NICHTS. Mit vollem Bauch spielt es sich wie in einer Zwangsjacke. Dann Schlussverbeugung. Und du willst nur eines: SOFORT DAS KALTE BIER. DENN DEIN HALS IST JETZT TROCKENER ALS DAS LÄCHELN DER QUEEN!»

Schliesslich wie der Schuss aus der Pistole: «Ich möchte an einen privat gedeckten Tisch - wie bei Mamma daheim!»

Zu Befehl! Wir decken.

Aufgewachsen ist die Schweizer Schauspielerin im Gundeli. Ihr Vater führte das Restaurant Dreispitz. Prägender war aber die Mutterseite: Italien! Deshalb die klingenden Vornamen.

Auch die italienische Linie hatte es mit der Gastronomie: «Mein Grossvater ging von Bergamo weg. Er war Koch. Zusammen mit meiner Grossmutter übernahm er das Klybecker Schlössli. Nur: Nach dem Krieg hatte er als Italiener eine miese Zeit in der Schweiz. Später führte er in der Basler Rheingasse den Bären. Und die Sonne. Beim Nonno bekamen arme Leute immer eine Gratissuppe... Gassenkuchi damals schon!»

«Ich hockte also stets mitten im Milieu. Mein erster Auftritt fand so in der Obhut eines Zweimann-Orchesters im Bären statt. Morgens wurde das Restaurant geputzt. Das Duo probte. Ich krabbelte auf die Bühne. Und tanzte. Meine Mutter seufzte: Das Mädchen hat zu viel Energie - stecken wir es in eine Ballettschule. Dort kann es sich austoben. So kam ich ans Basler Theater...»

Sie haben dich sofort entdeckt?

«Nun ja - das war keine grosse Sache. Wir Kinder wurden überall dekorativ eingesetzt: von Schwanensee bis Schwarzwaldmädel. Die kurzen Momente im Scheinwerferlicht reichten jedoch, das Virus ausbrechen zu lassen: «DAS IST MEINE WELT - ICH WILL AUF DIE BÜHNE!»

Du gingst zu Egon Karter an die Schauspielschule in die Basler Komödie.

«Ich hatte Glück - er hat mich sofort engagiert. Und ich war erst 18, als mich das Stuttgarter Staatstheater unter Vertrag nahm. Mein Vater reiste mit mir hin. Nach ein paar Tagen reiste ich per Autostopp wieder zurück. Ich hatte Heimweh nach meiner Familie. Die italienischen Gene halt. Mein Vater schimpfte: Zeig denen, was du drauf hast! So spielte ich als erste grosse Rolle die Cleopatra in George Bernard Shaws Stück Cäsar und Cleopatra.»

Sie legt die Gabel weg: «So etwas vergisst man nicht - mein Herz bummerte, dass man es im dritten Rang hören konnte. Alles war riesig... die Bühne der Zuschauerraum. Der Vorhang öffnete sich. Dunkelheit. Nur die Sphinx war beleuchtet. Ich sass als winzige Person auf ihren riesigen Tatzen. Und plötzlich war ich nur noch Cleopatra... "Alter Herr...", das war mein erster Satz. Danach folgten viele Rollen in Klassikern wie Lessings "Emilia Galotti" oder Goethes "Stella".»

Berlin hat dich sofort wegengagiert.

«Ja. Und ich habe mein halbes Leben dort verbracht - gelebt, geliebt. Und gespielt. Immerhin mit grossen Kolleginnen und Kollegen wie Maria Becker, Karl Heinz Schroth, Rudolf Platte, Helmuth Lohner... an den Wölffer-Bühnen am Kurfürstendamm war ich zu Hause.»

Das war vor dem Mauerfall.

«Eine verrückte Zeit. Ich spielte am Ku'damm - en suite. Manchmal ein ganzes Jahr dasselbe Stück. Und natürlich zog es uns auch in den Ostteil. Wir hatten dort gute Gespräche. Aber immer ein mieses Gefühl. Wir hätten nie unsere Marlboro geraucht oder ein Feuerzeug auf den Cafétisch gelegt. Man fühlte sich ziemlich schlecht...»

Du drehtest für den «Tatort», auch für «SOKO», bekamst Hauptrollen in Fernsehserien... Jetzt ehrlich: Gab es nie sexuelle Übergriffe von Produzenten, Regisseuren, du weisst schon: #MeToo?

«Ich hatte nie ein Problem. Natürlich legte mir schon mal ein Produzent oder Regisseur die Hand aufs Knie. Ich sagte dann: Noch einmal - dann wird es verdammt teuer! Schon zogen sie ihre Schwänzchen ein.»

Du reistest jeden Tag in eine andere Stadt. Immer dasselbe Stück, dieselben Kollegen - aber immer ein anderes Hotelzimmer.

«Tourneetheater verlangt eiserne Disziplin - überhaupt ist unser Beruf nichts für Weicheier. Du stehst hier für das Publikum. Du hast eine Aufgabe - und die Verträge müssen erfüllt werden. Es gibt keinen Liebeskummer, kein Familiendrama. DU MUSST DA ABEND FÜR ABEND EINFACH RAUS! Als mein Vater plötzlich krank wurde, konnte ich nicht zu ihm. Von seinem Tod erfuhr ich im Tournee-Bus. Ich weiss noch, dass ich meine Kapuze über den Kopf zog. Und nicht mehr hier sein wollte. Du kannst die Gefühle nicht abstellen - aber als Schauspieler darfst du sie nicht zeigen.»

Sie lacht bitter auf: «Die alten Kolleginnen haben uns junge Hühner schon früh gerupft: ALLES WAS PRIVAT IST, MUSS DRAUSSEN BLEIBEN!»

Du hast trotz der Todesnachricht gespielt.

«Natürlich. Das Stück hiess "Mein Freund Harvey". Ich agierte einfach irgendwie. Die Bühne lässt dich für einen Moment die Wirklichkeit und allen Schmerz vergessen... Ich weiss nicht, wie ich es damals geschafft habe. Aber nach der Vorstellung haben mich alle umarmt. Da erst konnte ich heulen.»

Du bist auch mit Harald Juhnke monatelang auf der Bühne gestanden - ihr wart Freunde.

«Er war wunderbar. Wir hatten viel Spass. Schwierig wurde es, wenn er zu trinken anfing. Manchmal habe ich ihn aus dem Hotelzimmer geschleppt. Die Minibar war dann meistens leer. Auf der Bühne habe ich auch noch seinen Text gesprochen. Zumindest bis zur Pause. Dann hat der Inspizient erklärt, man müsse die Aufführung beenden. Herr Juhnke habe einen Schwächeanfall - es war der grösste Lacher des Abends!»

Als er nach Basel in die Universitären Psychiatrischen Kliniken kam, hast du ihn ebenfalls betreut:

«Die Presse war schrecklich - du entschuldigst: Aber Ihr Schreiberlinge könnt manchmal echte Stinker sein. Die Paparazzi kletterten sogar in der Klinik aufs Dach, um von Juhnke ein Bild zu schiessen. Als er zum ersten Mal ausgehen durfte, habe ich bei Donati gebucht. Wir fuhren in einem Klinik-Wäschewagen, inmitten von Leintüchern sitzend, hin. Sprangen raus. Marianne Donati öffnete die Restauranttür. Und schloss hinter uns ab. Das vergesse ich ihr nie.»

Als Deine Mutter krank wurde, hast du alles an den Nagel gehängt. Und bist nach Basel gekommen.

«Sie brauchte mich - ich war acht Jahre für sie da. Wurde ihre Gesellschafterin. Die Krankenschwester. Die Köchin. War einfach nur Tochter - la figlia eben! Es war die innigste Zeit, die ich mit ihr verleben durfte.»

Ist so eine Auszeit in deinem Beruf nicht tödlich?

«Schon. Aber es gibt nichts Wichtigeres als die Mutter. Ich wollte dasselbe wie bei meinem Vater nicht noch einmal erleben. Wenn man mich besetzen wollte, winkte immer einer ab: Die Gaby? - vergiss es. Die pflegt ihre Mutter!»

Kurz vor Corona bist du wieder auf Tournee gegangen.

«Ja. Mit Bis zum Horizont - dann links! Es ist ein Stück über eine Seniorenresidenz. Gespielt wird es ebenfalls vorwiegend von einer Senioren-Schauspielgeneration - alles ziemlich grosse Namen. Die alten Herrschaften entführen ein Flugzeug - wunderbar. Wir werden nach der Corona-Pause demnächst in München wieder neu starten.»

Dann ist wieder nichts mit einem sozialen Leben?

«Die Truppe ist das soziale Umfeld - alles Bühnentiger wie ich. Aber tiefe Freundschaften?»

Sie überlegt lange - dann zögernd: «Meine Freundschaften kann ich an einer Hand abzählen. Und diese Freundschaften habe ich immer gepflegt. Diese Freunde sind mir auch nah - selbst wenn ich nicht bei ihnen bin. Sie begleiten mich durch mein Leben - wie etwa Onorio Mansutti. Manchmal singen wir Opernarien im Auto. Die Gene der Azzuri verbinden uns.»

TRAUMROLLE?

«Maria Stuart war es nie. Und so hatte ich das Glück, immer nur Rollen spielen zu dürfen, die mich fasziniert haben. Ich hatte überhaupt viel Glück in meinem Leben.»

Sie lacht jetzt: «Gaby - ein Glückskind, wenn man so will.»

Vorlieben und Abneigungen

Sie mag: Tiere, ein Bier nach der Vorstellung und die Stimmung eines Schauspiel-Ensembles auf Tournee

Sie mag nicht: Pelze («da sehe ich rot»), Intoleranz und einen vollen Bauch auf der Bühne

Foto: Lucia Hunziker

Samstag, 28. August 2021