Es gibt Kollegen, die verwerfen die Hände: «Die Jenny? - DIE IST SCHWIERIG. ZICKIG. HYSTERISCH. LASS DIE FINGER VON IHR.»
Schwierig? In diesem Moment sitzt die Bestsellerautorin in der Napoleon-Suite des Hotels «Les Trois Rois». Fotografin Lucia Hunziker porträtiert sie. Und Zoë Jenny zeigt eine Engelsgeduld. Nix Zicke. Vielmehr eine schöne Frau mit sanften Augen und einem scheuen Blick - ein bisschen das Reh, das plötzlich die Waldlichtung sieht.
«Mein Selbstbewusstsein war null. Am Boden», sagt sie später, «es brauchte viel Zeit, es aufzubauen.» Sie wohnt im «Drei Könige». Ist hier seit Jahren Hausgast. «Als Kind habe ich das Palais mit seinen Lichtern und Terrassen immer von der Kleinbasler Rheinweg-Seite aus bewundert. Wir wohnten ärmlich. Chaotisch. Das grosse Haus an der andern Flussseite strömte irgendwie Beständigkeit aus. Und Luxus. Ich sehnte mich nach beidem.»
Das Fotoshooting ist fertig. Die kleine Frau im Kleid mit den zarten Pastellfarben - «habe ich nur für dich ausgesucht» - erscheint in der Brasserie des Hotels. Sofort ist die Direktorin zur Stelle. Auch der CEO. Sie führen sie zum Tisch.
Ein Star eben.
Zoë schaut über die Menükarte: «Erinnerst du dich an unser erstes Treffen hier? Das ist gut 20 Jahre her - im alten Trois Rois noch. Du hast eine Sendung gedreht - und mir in einer der alten Suiten Muschelhörner serviert.»
Klar erinnere ich mich. Es war die vierte Folge für die Telebasel-Serie «Kuchiklatsch». Und Zoë Jenny war damals der jüngste Star der Literaturwelt - ihr «Blütenstaubzimmer» war in 27 Sprachen übersetzt worden. Danach schrieb sie «Der Ruf des Muschelhorns» - also habe ich ihr Muschelhörner gekocht.
Zoë Jenny lebte als junge Frau in diesem Trois-Rois-Luxus - das war ungewöhnlich für eine Autorin, die eigentlich noch ein Mädchen war.
«Ich schrieb an meinem dritten Buch Ein schnelles Leben. Und ich hatte eine Wohnung am Rheinsprung: winziger Raum - schuhschachtelgross. Bett. Schreibtisch. Fertig. Daneben leistete ich mir hier dann ein Zimmer im Prunk - es war eine unglaubliche Diskrepanz. Aber auch spannend. Zwei Welten eben.»
Du bist in der kleinen Welt an der Oetlingerstrasse aufgewachsen.
«Klein war diese Welt nicht. Einfach krass chaotisch. Wir atmeten in Büchern. Und für Bücher. Mein Vater war ein wunderbarer Mensch. Aber ihn kümmerte dieses Chaos nicht. Er lebte für die Literatur. Für seinen kleinen Verlag. Im Waschhaus war die Druckerei - Geld hatten wir keines. In der Wohnung ging immer mal wieder das Licht aus, weil wir den Strom nicht bezahlen konnten. Geheizt wurde mit einem Brikettofen - nur das Kinderzimmer. Und die Stube. In der Schule schlich ich in den Kleidern der Winterhilfe herum. Wollstrümpfe. Diese kratzten. Ich wollte nur eines: RAUS HIER!»
Wieder haben ihre Augen dieses schöne Träumen: «...und dennoch hat mir mein Vater das Schönste auf dieser Welt geschenkt: die Liebe zur Literatur. Zum Schreiben. Ich hätte gern Klavierstunden gehabt. Wir hatten kein Geld dafür. Er drückte mir ein Blatt Papier in die Hand - und einen Stift. So habe ich schon sehr früh mit dem Schreiben begonnen.»
Und sehr früh Erfolg gehabt...
«Ja. Das Blütenstaubzimmer wurde plötzlich zum Eintrittsticket in die grosse Welt. Alle wollten mich - luden mich ein: China, Japan, Amerika. Die New York Times schrieb in ihrer Kritik: Dieses Buch ist wie der Stein, den man in einen stillen See wirft. Ich sollte in New York aus meinem Erstling vorlesen. Zwei, drei Tage nur - aber ich bin ein Jahr geblieben. Es war ein spannender Anfang, die Welt zu entdecken.»
Trotzdem hat es dich immer ein bisschen nach Hause gezogen, zu deinem Vater Matthias Jenny.
«Nicht ein bisschen - meine Wurzeln sind hier. Das spüre ich immer wieder, wenn ich nach Basel komme. Ich habe hier diese sinnlichen Wahrnehmungen, laufe durch die Strassen, nehme die Gerüche auf - und alles ist Erinnerung. Manchmal kommen mir Tränen - ich gehe zur Helvetia am Brückenkopf. Schon als Mädchen habe ich auf ihrem Koffer gehockt. Und habe auf den Rhein geschaut, der unten vorbeizieht. Diese Figur, der Koffer, der Fluss dieser Stadt - dies alles schenkt mir Sicherheit. Ich atme auch heute noch diesen eigenartigen Geruch des Wassers. Und weiss, dass Helvetia zu meinem Vater schauen wird - wir haben seine Asche dem Rhein mitgegeben.»
Er hat dich von A bis Z bei deiner Schreiberei begleitet.
«Er hat alles von mir gelesen. Meine ersten Schreibversuche. Und er hat nicht mit Kritik gespart. Er hat mich sehr sachlich, wie eine erwachsene Schriftstellerin behandelt - obwohl ich noch ein Kind war.»
Du gingst hier zur Schule - und hast keine guten Erinnerungen.
«Ich war eben ein Kind der 80er-Jahre. Mein Vater schickte mich in die Freie Volksschule Basel. Alternativ. Links. Motto: freie Erziehung. Das war beim Claraplatz. Die Lehrer kamen in Latzhosen. Sie führten uns in den Wald: So, Kinder, jetzt macht Augen und Ohren gut auf. Hört ihr die Vögel? Seht ihr die Bäume? Wenn ihr gross seid, ist das alles weg. Gestorben.»
Sie schweigt einen Moment. Und man spürt, dass ihr die Gedanken an jene Zeit immer noch Mühe machen: «Das war Terror. Sie haben uns einfach nur Angst gemacht. Ich lebe heute im Wienerwald. Die Bäume stehen noch. Die Vögel pfeifen. Alarmismus bringt gar nichts - er ist kein guter Begleiter, um Probleme zu lösen.»
Das Faszinierende an deinen Büchern - du hast immer die Sprache des Jetzt gesprochen. Die Probleme von heute gesehen. Und oft warst du deiner Zeit voraus. Hast du ein Rezept?
Sie winkt ab: «Ich schreibe einfach über alles, was ich selbst auch gern lesen würde. Und mich interessiert. Ich betreibe keine Marktforschung, obwohl das heute im Literaturbetrieb üblich ist.»
Im neusten Buch Der verschwundene Mond tauchst du in die ziemlich einsame Welt eines Astrophysikers ein.
«Ich habe mich über sechs Jahre auf dieses Buch vorbereitet. Je mehr ich das wissenschaftliche Gebiet betrat, desto mehr faszinierte es mich. Es bleibt die Frage nach dem kosmischen Bewusstsein. Überhaupt: Nichts ist, wie es scheint. Man muss immer hinterfragen. Wir haben nicht viel Zeit hier. Deshalb müssen wir das Wichtige jetzt machen. Mein Vater hat mir einmal erklärt: Jeder Moment ist jetzt. Und nur einmal.»
Er hat das Manuskript zum neuen Buch noch gelesen?
«Ja. Und das macht mich glücklich. Er hat mich und meine Tochter Naomi oft in Wien besucht. Als er krank wurde, fuhr ich immer nach Basel. Es ist eine lange Zugfahrt: Acht Stunden. Aber ich wollte so viel wie möglich bei meinem Vater sein. Es war nicht schön. Sterben ist nie schön. Wir stellen uns alle dieselbe Frage: Was ist danach? Und niemand hat eine Antwort.»
Naomi ist zwölf. Wie empfindest du diese nachrückende Generation?
«Ich finde die Entwicklung wunderbar. Die grossen Themen von einst werden hier einfach von der kommenden Generation weggefegt. Das traditionelle Familiensystem wird sich auflösen: Nicht mit wem lebe ich zusammen, sondern wie leben wir zusammen. Alles geht rasant schnell. In einem kürzeren Zeitraum passiert immer mehr. Ein Geschlechterkampf findet nicht statt. Dieses Männli-Wibli-Denken empfinden die Jungen als dumm. Und kleinlich.»
Zoë Jenny schaut nun aus dem Fenster zum träge vorbeiziehenden Fluss: «Schau, der Rhein! Er hat etwas Beständiges. Auch wenn wir gestorben sind. Irgendwie ist das tröstlich.»
Foto: Lucia Hunziker
Vorlieben und Abneigungen
Sie mag: Bücher, Fisch, den Rhein und Basel
Sie mag nicht: Alarmismus, vorgefasste Meinungen, Missbrauch von Macht