Colette Greder: «Ich hatte null schauspielerische Erfahrungen»

Foto: Lucia Hunziker

«Wollen wir essen gehen?» Heiseres Lachen. Dann: «Du weisst aber schon, dass unser letztes Interview ein halbes Jahrhundert zurückliegt - du warst der Erste, der mich damals in der Garderobe mit Fragen gelöchert hat » Sie sagt es in diesem wunderbaren Elsässer Dialekt, der de Gaulle die Schuhe aufgehen liess - und uns Baslern das Herz.

Ich warte im Schützenhaus auf diese kleine Frau mit der grossen Stimme. Sie wirkt unscheinbar - ist aber, noch bevor sie an meinen Tisch kurvt, bereits von Fans in Beschlag genommen. Damals, als ich an jener ersten Basler Revue im Fauteuil elektrisiert von der gewaltigen Stimme und dem sprudelnden Elsässer Dialekt hinter die Bühne rannte, kannte sie noch kein Mensch. Die Basler Revue war der Anfang - der Start in einen Traum, den Colette Greder schon als Kind gesponnen hat: «Einmal mit Chansons auf der Bühne stehen...!»

Sie hat sich in dem halben Jahrhundert kaum verändert: Da ist immer noch dieses Leuchten in den Augen, dieser Charme, der jeden Münsterkäse zum Schmelzen bringt - und die Stimme! NATÜRLICH DIE STIMME! Damals, nach dem Erfolg bei Rolli Rasser in der ersten Revue, hat man sie «den Spatz vom Spalenberg» genannt. Jeder sah in ihr die Piaf.

Später ist sie dann auch mit einem Stück über die legendäre Sängerin durch die Länder getingelt: «Ich war todunglücklich damit. Frank Gerk hatte den Text geschrieben - irgendwie war das Stück morbid. Düster. Ich habe mich nächtelang in die Figur der Piaf eingelesen. Alle ihre Biografien studiert. Die Berichte über sie reingezogen. Ich kannte die kleine Frau durch und durch. Es war die erste Chanson-Sängerin, die ihre Lieder wie eine Schauspielerin interpretierte. Aber diese Edith Piaf war nicht diese Sängerin, die ich auf der Bühne spielen sollte.»

Weshalb hast dus gemacht? «Es waren punkt 20 Jahre, dass ich im Fauteuil mitwirkte. Zu der Zeit fegte ein Piaf-Boom über Europa. Und so beschlossen Einar Grabowsky und Rolli Rasser, mit mir ein eigenes Piaf-Singspiel zu produzieren - alles unter der Regie von Klaus Zintgraf. Rolf Lansky wurde leider krank.»

«Ich habe die Piaf gespielt, ihre Lieder gesungen - und durchgehalten.» Die Kritiken waren gut. Ein deutscher Schreiber kommentierte gar: «Es sind zurzeit viele Piafs unterwegs - die Greder aber ist heute die beste Annäherung an den Piaf-Mythos.»

«Nach der Tournee habe ich der Rolle Adieu gesagt. Ich beschloss, weiterhin Piaf-Chansons zu singen. Nicht aber die Sängerin zu imitieren.» Keine rollenden -r- mehr. Sie lacht: «Ich singe ihre Chansons heute mit Andrei Ichtchenko am Akkordeon auf meine Art. Das gefällt dem Publikum - und mir.»

Zurück ins Fauteuil. «Rolli Rasser startete die erste Basler Revue. Hat dich engagiert.»

«So einfach engagiert hat er mich nicht. Ich musste zum Casting. Das war in seinem kleinen, engen Büro. Plötzlich ging die Türe auf: Eine Traumfrau mit ellenlangen Beinen kam herein. Das wars dann!» - dachte ich. «Gegenüber solchen Beinen hast Du kein Brot. Aber die Traumfrau war fürs Ballett engagiert. Wir hatten in der ersten Revue noch Tänzerinnen.»

«Du bekamst also den Vertrag.» «Ja - und ich bin ins eiskalte Wasser gesprungen. Ich hatte null schauspielerische Erfahrungen - ein paar Stunden bei Cibollini. Sonst nichts. Aber - und das war das Wunderbare - die Schauspielkollegen wie Rolli Rasser, René Besson oder Trudi Roth haben mir geholfen. Sie haben mich korrigiert. Verbessert. Dann war da vor allem Lansky mit seiner Regie und der Idee: Im zweiten Teil redest du Elsässisch - das macht die Sache baslerischer.»

Baslerischer?

«Nun ja - der erste Teil der Revue war von Baslern getextet. Er war bezaubernd - der zweite Teil war von Hans Gmür. Dem Zürcher fehlte jeder Bezug zu dieser Region. Die Sache hing durch. Also meinte Lansky: «Mit deinem Dialekt kommen wir wieder in die Region zurück.»

«Die Leute waren begeistert - sie gaben dir stehende Ovationen.»

«Irgendwie habe ich das alles gar nicht richtig mitbekommen. Als Lansky mich jedoch nach dem letzten Vorhang umarmte: «Mädchen - jetzt habe ich sechs Probewochen lang versucht, dir etwas beizubringen. Du hast es nie gebracht. Und am heutigen Abend lässt du alles raus!»

«Da wusste ich: Der Traum ist Wirklichkeit geworden. Ich werde künftig auf der Bühne stehen.»

«Gehen wir noch weiter zurück. Zur Familie. Die führte die legendäre Weinhandlung in Hegenheim.»

«Nun - es war nicht so goldig, wie du denkst. Der Grossvater hat seine beiden Buben ins Geschäft hineingestossen. Sie waren beide nicht glücklich. Es gab immer Spannungen. Und natürlich musste ich - wie meine Cousinen auch - eine kaufmännische Lehre hinter mich bringen.

«Du bist Bürolistin?»

«Buchhalterin! Ich habe in einem Basler Getreideunternehmen die Zahlen zusammengerechnet. Frage mich über die Silos von Basel bis Soyhières - ich kenne jedes! Als ich eines Tages den Mut hatte, meinen Traum zu leben, und nur noch halbtags arbeiten wollte, um bei Cibo an die Schauspielschule zu gehen, schaute mich meine Mama kopfschüttelnd an: Andere machen in deinem Alter vorwärts - du gehst rückwärts!»

«Der Wunsch zu singen, die grosse Stimme - war das schon immer da?»

«Die Stimme, das Musikalische - das kommt von Mutter. Sie sang im Kirchenchor. Inszenierte die Cecilien-Abende mit Operetten-Potpourris. Sie sang Arien von Lehar und Strauss. Entwarf und schneiderte die Kostüme für die Show - alles auf ihrer alten Pfaff-Nähmaschine.»

«Ihr fiel dann auch die starke Stimme der Tochter auf?»

«Nun. Ich wurde auf den Tisch gestellt. Und trällerte als Sechsjährige schon «je voudrais un mari, mignon et sans reproches». «Natürlich hatte ich null Schimmer, was ich da sang. Ich genoss einfach die Bewunderung der Menschen und gab schon sehr früh die Rampensau. Für meine Mutter war diese Stimme gut für den Kirchenchor oder für den Heiligen Abend an der Tanne - aber nicht für einen Beruf. Da hiess es: Blödsinn - du musst etwas Rechtes lernen und dein sicheres Einkommen haben.»

«Du hast dann doch deine Stimme professionell am Konservatorium von Mulhouse ausbilden lassen.»

«Und habe sogar einige Gesangswettbewerbe gewonnen. Ich tingelte auch mit Bands in Basel und im Elsass herum. Lange war ich mit den «Allumettes» unterwegs und kam so eines Tages zum Showchor von Arth Paul. Maya Brunner war auch dabei.

«Aber die grosse Show startete im Fauteuil bei Rolli Rasser...»

«Ja - das war der Beginn. Der Durchbruch. Plötzlich wurde alles auf meine Stimme aufmerksam. Und selbst der grosse Charles Lewinsky hat Songs für mich geschrieben.»

«Du warst dann in Radio und Fernsehen - mit Bernhard Baumgartner animiertest du die erfolgreiche Kindersendung «Triggs und Gäggs.»

«Ja. Wir spielten auch viel Cabaret, das aus seiner Feder stammte. Er war ein Visionär - ich denke an das Lied ab uff d Insle - aber numme wo... numme wo... numme wohi soll me goo?. Passt doch auf heute.»

Sie wird stiller: «Und immer wieder waren da Pfyfferli, das Fauteuil. Und etwa 180 Tage im Jahr, die ich so am Spalenberg verbracht habe.»

«Das hat dir immerhin zusammen mit Arth Paul die Ehrespalebärglemer-Auszeichnung gebracht.»

«Stimmt - ich bin stolz darauf, als Elsässerin zusammen mit einem Wiener am Spalenberg-Boden verewigt zu sein.»

Auch stolz auf die Auszeichnung der französischen Regierung zum «Chevalier de l’ordre des Arts et des Lettres?»

«Bien sûr» Nur: «Die Medaille ist irgendwo bei meinem Krimskrams in einer Schachtel. Aber natürlich tut eine solche Auszeichnung gut - besonders auch, weil Paris für einmal ans Elsass gedacht hat.»

«Du trittst heute kürzer - hast aber immer noch deine Glanzauftritte im «Stärnestaub» oder an Fasnachtsveranstaltungen - aber das Pfyfferli?»

«Das geht kräftemässig einfach nicht mehr. Jeden Abend im Scheinwerferlicht - dies bis zu sechs Wochen en suite! Das zerrt. Ich bin dankbar, wie alles gelaufen ist. Ich möchte jetzt aber meine Zeit noch geniessen. Ich denke, Corona hat uns alle verlangsamt - es war oder ist auch eine Chance, zu sich selber zu finden, zu reflektieren.»

Sie lächelt. Und zückt die vergilbte Kritik vom 29. Januar 1975 hervor: «Da schau, was du zum Schluss geschrieben hast.»

«Ihr Lachen tönt wie das Schäbbern eines alten Milchtopfs - und dieses Lachen hat eine Stimme, die sie berühmt machen wird.» Diese Stimme wird nun leise: «Es war ein fulminantes Leben. Aber irgendwann fällt der Vorhang. Und man muss darauf vorbereitet sein.»

Vorlieben und Abneigungen

Sie mag: Schokolade, Schoggimandeln, die Farbe Orange, l’heure bleue, Jonas Kaufmann und Baumsilhouetten im Winter.

Sie mag nicht: Free Jazz, Häuserfassaden in Anthrazit oder schwarz, Unwahrheiten.

Samstag, 18. Dezember 2021